Chlor und Brom ersetzen – wertvolle Chemikalien aus verseuchtem Erdreich

Mit Elektrolyse Dichloride und Dibromide sicherer und umweltfreundlicher herstellen

Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich sogenannte Grundchemikalien wesentlich ungefährlicher herstellen lassen als bisher. Laut zweier Medienmitteilungen vom 29.01.2021 entwickelten sie eine neue Methode, um molekulares Chlor und Brom bei der chemischen Synthese durch weniger giftige Moleküle zu ersetzen. Die Technologie hilft, chemische Prozesse sicherer und nachhaltiger zu gestalten sowie verunreinigte Böden zu sanieren.

Chlor und Brom in ihrer molekularen Form (als Cl2– und Br2-?Moleküle) sind giftig und ätzend. Auf tragische Weise veranschaulicht wurde das beispielsweise bei der Verwendung von Chlor als chemische Waffe, vom Ersten Weltkrieg bis hin zu jüngsten Einsätzen im Irak und in Syrien. Auch sind instabile chlor-? und bromhaltige Chemikalien in Tausende von gemeldeten Chemieunfällen verwickelt gewesen. Und trotzdem gehören sie immer noch zu den am häufigsten verwendeten Industriechemikalien, aus denen wertvolle Flammschutzmittel, Schädlingsbekämpfungsmittel, Polymere und Pharmazeutika hergestellt werden.

Wie die Forscher in der aktuellen Ausgabe von Science berichten, nutzen sie Elektrolyse, also die Zufuhr von elektrischem Strom, um sogenannte Dichloride und Dibromide zu gewinnen und damit Grundchemikalien herzustellen. „Chlorgas und Brom sind vor allem für kleine Labore aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen schwierig zu handhaben“, sagt Prof. Siegfried Waldvogel, Sprecher des Spitzenforschungsbereichs SusInnoScience der JGU, der das neue Verfahren mitentwickelt hat. „Unsere Methode macht Sicherheitsvorkehrungen größtenteils überflüssig, weil wir dafür kein Chlorgas oder Brom nutzen und sich auch die Reaktion zur Synthese der Grundchemikalien über die Zufuhr des elektrischen Stroms leicht steuern lässt.“

Nach Angaben von Waldvogel lassen sich durch die Elektrolyse Dichloride und Dibromide unter anderem aus Lösungsmitteln gewinnen, die sonst zur Herstellung von PVC verwendet werden. „Das ist wesentlich einfacher, als die Dichloride und -bromide aus Chlorgas oder Brom herzustellen.“ Das Forschungsteam habe nachgewiesen, dass das neue Verfahren bei mehr als 60 Reaktionen wie gewünscht funktioniere. „Der Prozess lässt sich auf Moleküle verschiedener Größe anwenden und ist somit generell von Bedeutung. Auch lässt er sich leicht hochskalieren, wir konnten schon größere Grammmengen umsetzen“, so Waldvogel. Besonders erfreulich findet er die Entdeckung, dass sich mithilfe der Elektrolyse auch die Chloratome aus den Molekülen von mittlerweile verbotenen Insektenschutzmitteln trennen und sich dadurch Dichloride gewinnen lassen. „Auf natürliche Weise werden solche Insektenschutzmittel praktisch nicht abgebaut“, so Waldvogel. „Sie bleiben deshalb extrem lange in der Umwelt und finden sich inzwischen sogar in der Arktis wieder. Wir können nun bei der Entsorgung helfen und dabei die giftigen Substanzen wertschaffend nutzen.“

Shuttlesystem mit Elektrizität

Um diese alternativen Verbindungen in der chemischen Synthese zu nutzen, entwickelten die Wissenschaftler ein „Shuttlesystem“, das mit Elektrizität funktioniert: Ähnlich wie ein Shuttlebus Personen von A nach B transportiert, hilft Elektrizität in dieser Reaktion, Chlor und Brom von den Ausgangsstoffen Dichlorethan und Dibromethan auf andere chemische Verbindungen zu übertragen. Die Methode hat noch einen weiteren Vorteil: Während herkömmliche Reaktionen mit molekularem Chlor und Brom nur in eine Richtung ablaufen, funktioniert die neue Shuttle-?Reaktion in beide Richtungen. „Wir können die Reaktion daher auch nutzen, um bestimmte giftige chlor-? und bromhaltige Verbindungen in weniger schädliche Verbindungen umzuwandeln“, sagt Bill Morandi, Professor für Synthetische Organische Chemie an der ETH Zürich und einer der Hauptautoren der Studie.

Lösung von Umweltproblemen

Ein Beispiel für eine solche giftige Verbindung ist das chlorhaltige Lindan, das während Jahrzehnten im Ackerbau als Insektizid verwendet wurde. 2009 wurde es wegen seiner hohen Toxizität und Umweltpersistenz verboten. Doch in vielen europäischen Ländern, auch in der Schweiz, sind noch große Deponien vorhanden, in denen Lindan gelagert ist. Diese Deponien gelten als Umweltrisiko, weshalb Behörden und Wissenschaftler nach Lösungen suchen, das Lindan aus den Deponien zu entfernen. „Unsere Methode eignet sich, um mit Lindan kontaminierte Böden zu sanieren“, so Morandi.

Der Chemiker sieht die neue Methode nicht nur als ein gutes Beispiel dafür, wie chemische Prozesse nachhaltiger gestaltet werden können, sondern auch als Beitrag an eine künftige Kreislaufwirtschaft. „Die Rohstoffvorkommen auf der Erde sind begrenzt. Mit unserer Methode können wir Abfallstoffe nach dem ‚waste to value‘-?Konzept so umwandeln, dass wir sie erneut als Rohstoffe nutzen können“, sagt Morandi.

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