Stimmen zu sinkenden THG-Emissionen

Zusatzmaßnahmen noch 2021 gefordert – vor allem bei Gebäudesanierung

Die Veröffentlichung der Klimabilanz 2020 durch Umweltbundesamt und Bundesumweltministerium am 16.03.2021 hat, wie zu erwarten war, ein gemischtes Echo hervorgerufen. Während 29 CDU-Bundestagsabgeordnete in einem gemeinsamen Papier mit dem Titel „Politik für eine grüne Null“ ein Ende der Subventionen auf Diesel und Kerosin sowie eine Erhöhung des CO2-Preises forderten, verlangten die Grünen im Bundestag und die Umweltschutzorganisation Greenpeace den massiven Ausbau von Ökostrom, eine klimaneutrale Industrie und mehr E-Autos. Solarify dokumentiert Stimmen von Verbänden und NGO zur Bilanz.

Deutschland schafft Klimaziele aufgrund von Corona – BEE fordert mehr Ambition

Fridays4Future-Demo pro Klimaschutz in Berlin – Foto © Solarify

Mit einer Reduktion der Treibhausgase um 70 Millionen Tonnen gegenüber 2019 wurde das Ziel für 2020, 40 Prozent Treibhausgase verglichen mit dem Jahr 1990 einzusparen, leicht übertroffen. Gut ein Drittel der Minderungen sind aber auf die Folgen der Corona-Pandemie zurückzuführen. „Wir dürfen uns beim Klimaschutz nicht auf Krisen mit wirtschaftlichen Einbrüchen stützen, sondern müssen im Gegenteil Klimaschutz mit Standortpolitik und breiter Wertschöpfung verbinden. Die Ziele müssen zuverlässig erreicht werden. Für die Zukunft bedeutet das, dass in allen Sektoren die Energiewende verstärkt voranzutreiben ist, und besonders der Gebäudesektor als Schlusslicht auf dem Weg zur Klimaneutralität aufzuholen hat“, so Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie e.V. (BEE).
Ganz besonderes Augenmerk müsse nun daraufgelegt werden, dass die errungenen Fortschritte im Klimaschutz durch den notwendigen Konjunkturaufschwung nicht aufgefressen werden. „Besonders im Stromsektor, aber auch im Mobilitätssektor zeigt sich die starke Rolle der Erneuerbaren Energien. Hier ist im Stromsektor der Ausbau der Erneuerbaren Energien durch nach oben angepasste Ausbauziele (80 % bis 2030) und -mengen im EEG im Rahmen des Entschließungsantrags voranzubringen, sowie Flächen und Genehmigungen bereitzustellen, um dem höheren EU-Klimaziel und steigenden Strombedarfen Rechnung zu tragen. Im Verkehrssektor ist kurzfristig ein ambitionierteres Treibhausgasminderungsgesetz erforderlich, das einen Anteil von 50 Prozent Erneuerbaren im Jahr 2030 erlaubt. Und im Gebäudesektor ist neben einer Erhöhung des CO2-Preises ein optimierter Mix aus Ordnungsrecht und Förderung notwendig, um die Wärmewende voranzubringen. Hiermit sind auch enorme Konjunkturimpulse verbunden“, sagt Peter.

VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing: „Dass Deutschland sein Klimaziel 2020 erreicht hat, ist eine gute Nachricht für den Klimaschutz. Auch wenn ein Teil der Emissionsminderungen auf die gegenwärtige Pandemie zurückgeht, ist der der überwiegende Teil der CO2-Einsparungen unabhängig davon erfolgt. Im Energiesektor sind dabei die größten Emissionsminderungen zu verzeichnen. Dies zeigt: Die Anstrengungen der Branche für den Klimaschutz zahlen sich zunehmend aus.
Die aktuelle Klimabilanz ist jedoch kein Grund, sich zurückzulehnen. Mit Blick auf dieses Jahrzehnt müssen wir unsere Anstrengungen intensivieren. Noch in dieser Legislaturperiode müssen wichtige Entscheidungen für die Energiewende gefällt werden. Dazu gehören unter anderem die zügige Erhöhung der Ausbaukorridore für die erneuerbaren Energien, die Stärkung des Windenergieausbaus sowie die Beschleunigung des Repowering. Nur wenn bestehende Investitionsbremsen zügig gelöst werden, können auch die Klimaziele für 2030 erreicht werden.
Die Klimabilanz zeigt: Im Gebäudesektor besteht akuter Handlungsbedarf. Deutschland muss mehr für die Wärmewende tun. Vor allem für den Gebäudebestand spielt dabei die Nah- und Fernwärme eine Schlüsselrolle. Um die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung zu beschleunigen, brauchen die Stadtwerke verlässliche Rahmenbedingungen. So etwa sollte endlich die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze vorgelegt werden, auf die die Stadtwerke nun schon seit Monaten warten.
Die Klimabilanz 2020 belegt auch, dass CO2-Bepreisungen funktionieren. So hat der europäische Emissionshandel eine wichtige Lenkungswirkung hin zu klimafreundlichen Technologien entfaltet. Die Bundesregierung sollte daher zügig die Reform der Steuern, Abgaben und Umlagen im Energiebereich angehen. Künftig sollte die Energiewende auf Basis eines sektorübergreifenden CO2-Preises finanziert werden.“

Deutsche Umwelthilfe: Unzureichend

Anlässlich der heutigen Veröffentlichung der Treibhausgasemissionen 2020 in Deutschland kritisiert die Deutsche Umwelthilfe (DUH) die Maßnahmen der Bundesregierung für mehr Klimaschutz sektorenübergreifend als unzureichend. Die Einhaltung der Klimaziele im vergangenen Jahr sind auf den Einmaleffekt durch die Corona-Pandemie zurückzuführen. Die DUH fordert deshalb die vorgesehenen Maßnahmen zur Erreichung der Ziele aus dem Klimaschutzgesetz nachzubessern. Hierzu hat die DUH eine Klage gegen die Bundesregierung eingereicht.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Die CO2-Emissionen des Verkehrssektors sind seit 1990 praktisch gleichgeblieben. Der leichte Rückgang im vergangenen Jahr geht auf Kosten der Covid-19-Pandemie und der dadurch verursachten verringerten Mobilität. Es zeichnen sich für die zweite Jahreshälfte 2021 sogar ein Rebound-Effekt und deutlich ansteigende CO2-Emissionen ab. Diesem muss die Bundesregierung wirkungsvoll entgegensteuern: Wir brauchen ein sofortiges Ende der Förderung von Dienstwagen mit Verbrennungsmotoren bzw. Plug-In-Hybriden, die im realen Fahrbetrieb mehr als 95 g CO2/km emittieren, dem EU-Grenzwert für Neufahrzeuge. Zudem brauchen wir eine Neuausrichtung der Mobilitätspolitik auf eine Halbierung der Anzahl an Pkw in unseren Städten und gleichzeitig die Verdopplung der Fahrradwege. Diese Regierung steckt im klimapolitischen Lockdown – das können wir uns nicht länger leisten.“
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH ergänzt: „Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien verpasst die Bundesregierung ihre selbstgesteckten Ziele. Vor allem für die Flaute der Windenergie ist kein Ende in Sicht. Die angekündigte Revision des EEG – die eigentlich noch im ersten Quartal erfolgen sollte – ist wieder verschleppt. Wir brauchen dringend eine Anhebung der Ausbaupfade und eine Erhöhung des Ausbauziels auf mindestens 75 Prozent im Jahr 2030. Ohne einen Neustart für die Erneuerbaren droht die Ökostromlücke immer größer zu werden – und damit auch der Ökostrom für Elektroautos, Wärmepumpen und grünem Wasserstoff zu fehlen.“
Barbara Metz, Stellvertretende Bundesgeschäftsführerin zu den Emissionen aus dem Gebäudesektor: „Die Bilanz der Bundesregierung im Gebäudebereich ist dramatisch. Es ist der einzige Sektor, in dem die Bundesregierung ihre Ziele verfehlt. Wie im Klimaschutzgesetz festgehalten, muss die Bundesregierung jetzt ein Sofortprogramm für den Klimaschutz im Gebäudebereich aufsetzen. Eine Blaupause dafür haben wir heute in einem Aktionsbündnis mit Architekten und Bau-Experten vorgelegt. Kernpunkte sind die schnellstmögliche Umsetzung von klimagerechten Standards für Neubau und Sanierung. Die Förderung für energetische Sanierung mit ausreichenden Effizienzstandards ist aktuell viel zu niedrig und wird falsch investiert. Die Fördersumme muss auf 25 Milliarden Euro im Jahr ansteigen.“

BUND: Jetzt neues Klimaschutzziel von mindestens 70 Prozent bis 2030 im Klimaschutzgesetz festschreiben

Antje von Broock, Geschäftsführerin des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Die heute präsentierten Zahlen zeigen leider keinen echten Fortschritt beim Klimaschutz. Denn ohne die Corona-Lockdowns mit den Einschränkungen bei Produktion und Mobilität hätte Deutschland sein Klimaziel für 2020 klar verfehlt. Außerdem beziehen sich die Zahlen auf ein veraltetes Klimaziel.
Deutschland muss sein Klimaschutzziel dringend an das erhöhte EU-Ziel und vor allem an die tatsächlichen Herausforderungen der Klimakrise anpassen. Umweltministerin Schulze muss jetzt vorangehen. Corona-Effekte ersetzen keinen echten Klimaschutz.
Eine Erhöhung der Ziele erst nach der Bundestagswahl kommt zu spät und erschwert die Umsetzung in konkrete Maßnahmen. Deshalb fordern wir zusammen mit insgesamt 85 anderen Verbänden, Organisationen und Kirchen in einem heute veröffentlichten Appell, das deutsche Klimaziel noch vor der Sommerpause des Bundestags deutlich anzuheben. Wir brauchen mindestens 70 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2030 gegenüber 1990.“

Graichen: „Dürftig“

Patrick Graichen, Direktor Agora Energiewende: „Trotz des insgesamt erreichten 2020-Klimaziels ist die Klimabilanz bei genauerem Hinsehen dürftig. Der Gebäudesektor verfehlt sein Sektorziel, ohne die Corona-Pandemie hätte auch der Verkehrssektor sein Ziel verfehlt. Horst Seehofer muss jetzt laut Klimaschutzgesetz ein Maßnahmenpaket vorlegen, damit der Umstieg auf klimafreundliche Wärmepumpen und die energetische Sanierung endlich in Fahrt kommt. Und tatsächlich müsste auch der Verkehrsminister deutlich nachlegen, um die CO2-Emissionen im Verkehr nachhaltig zu senken. Für 2021, 2022 und 2023 ist zu befürchten, dass Deutschlands Treibhausgasemissionen wieder steigen. Grund sind Corona-Nachhol-Effekte und der fehlende Ausbau von Wind- und Solaranlagen. Der aktuelle Ausbau von Erneuerbaren Energien reicht nicht aus, um den Atomausstieg 2022 zu kompensieren. Wir brauchen dringend ein Klima-Sofortprogramm, um das Risiko steigender Emissionen abzuwenden. Außerdem muss die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz überarbeiten. Denn die auf EU-Ebene beschlossenen höheren 2030-Klimaschutzziele sind da noch nicht berücksichtigt.“

DENEFF-Vorstand Christian Noll: „Deutschland ist weiterhin nicht auf Kurs, die Klimaziele für 2030 zu erreichen. Dass im Gebäudebereich die 2020-Ziele verfehlt wurden, ist nicht verwunderlich, da die Menschen im letzten Jahr mehr Zeit in größtenteils unsanierten Gebäuden verbracht haben. Hingegen wurden im Industriesektor die Ziele vor allem am durch krisenbedingt gesunkene Energienachfrage erreicht. Ohne die Auswirkungen der Corona-Krise hätte die Bundesregierung ihre selbstgesteckten Ziele krachend verfehlt. Das zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist. Die Bundesregierung muss mit dem Sofortprogramm den Rahmen dafür schaffen, schnell die Gebäude mit den höchsten Verbräuchen zu modernisieren. Darüber hinaus muss die Bundesregierung konsequent Klimaschutz und konjunkturelle Wiederbelebung verbinden. Nur so können wir die Klimaziele 2030 erreichen und unsere Wirtschaft klimafreundlich umbauen. Innovative und wirtschaftliche Energieeffizienzlösungen dafür stehen längst in den Startlöchern.“

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