Klimakrise und ökonomische Theorie

(1.) Vortrag von Irene Schöne vor „Fridays for Future“ und „Scientists for Future“ im Mai 2020

Irene Schöne, „ökologische“ Ökonomin, geht davon aus, dass die Klima- und Umweltkrise menschengemacht und keine natürlichen Erscheinungen sind, sondern Folgen unserer heutigen Wirtschaftsweise. In der Folge sieht sie die 17 SDGs für Wirtschaft und Politik im Rahmen der bisherigen ökonomischen Denkweise bleiben, wodurch unsere Probleme erst verursacht würden: „Ich schlage Ihnen damit vor, andere Wege zu gehen, auch wenn diese heute noch so neuartig erscheinen mögen. Und die sind durchaus machbar.“ (Foto: Irene Schöne – © boell.de )

Irene Schöne stellte ihrem Vortrag drei Zitate voran:

  1. „Es stünde schlecht um die Wissenschaft, wenn es Späteren nicht gestattet sein sollte, zu dem, was Frühere gefunden haben, noch Neues hinzuzufügen.“ (Georgius Agricola, De Re Metallica, 1548)
  2. „How fleeting are the wishes and efforts of man! how short his time! and consequently how poor his products be, compared with those accumulated by nature during whole geological periods. Can we wonder, then, that nature’s productions should be far ‚truer‘ in character than man’s productions; that they should be infinitely better adapted to the most complex conditions of life?“ (Charles Darwin, The Origin of Species By Means of Natural Selection, 1859)
  3. „Anyone who believes in indefinite growth in anything physical, on a physically finite planet, is either mad or an economist.“ (Kenneth E. Boulding, 1910 – 1993)

I.

Ich habe über den Arbeitsbegriff der heutigen Ökonomie promoviert und ihn zu einem ökologischen Begriff weiterentwickelt, um endlich exakt zu definieren, was „Arbeit“ ist. Gleiches muss auch mit dem Begriff „Boden“ = „Natur“ geschehen, weil er eine künstliche Trennung von Mensch und Natur voraussetzt. Bei beiden Definitionen handelt es sich auch heute noch um bloße Modellannahmen, wie „Natur“ und „Arbeit“ aus der Sicht der Unternehmenstheorie sein sollen, aber sie berücksichtigen nicht, was sie in der Realität sind.

Ich bin eine „ökologische“ Ökonomin, weil ich wechselseitige Prozesse zwischen Menschen so-wie Mensch und Natur zur Grundlage meiner Arbeit mache, gemäß dem Begriff „Ökologie“, den Ernst Haeckel 1866 in seiner „Generellen Morphologie der Organismen“ wie folgt geprägt hat: Ökologie ist „… die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle Existenzbedingungen rechnen können.“ Ökologie ist also kein Synonym für Umwelt, für Grün oder für Natur.
Im Gegensatz dazu besteht das Grundprinzip der heutigen ökonomische Theorie in der Annahme einer einseitigen Verfügung über Objekte, über käuflich erworbene Objekte.

Nach langjähriger Tätigkeit im Marketing habe ich in Hamburg studiert und in Kassel promoviert, war gewähltes Mitglied im Vorstand des Öko-Instituts in Freiburg und habe das IÖW Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin mitgegründet. Ich war Bürgerschaftsabgeordnete in Hamburg und wissenschaftliche Referentin für Wirtschaft, Verkehr und Finanzen beim Landtag in Schleswig-Holstein sowie 17 Jahre lang im Aufsichtsrat der UmweltBank AG, Nürnberg.

II.

Bei dem, was ich Ihnen nun vortragen werde, möchte ich Sie ganz herzlich bitten, offen zu sein für eine Analyse der heutigen ökonomischen Theorie, gerade weil meine Erkenntnisse für Sie neu sein werden. Vergessen wir nicht die Aussage von Albert Einstein, an den ich erinnern möchte: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Daraus werden sich dann Forderungen nach einer Umgestaltung unserer bisherigen Wirtschaftsform ergeben.

Ich gehe dabei davon aus, dass die Klima- und Umweltkrise menschengemacht und keine natürlichen Erscheinungen sind, sondern Folgen unserer heutigen Wirtschaftsweise. Wenn das so ist, dann dürfen wir uns nicht nur mit unserer Wirtschaftspraxis, sondern müssen uns auch mit der ökonomischen Theorie befassen, die solches Handeln legitimiert. Es wird endlich Zeit, die 300 Jahre alten Modellannahmen der „Ökonomie“ zu überprüfen und zu modernisieren, und nicht nur aufgrund ihrer Folgewirkungen auf Natur:

Erstens sollten Kultur- und Naturwissenschaften in ihren grundlegenden Definitionen übereinstimmen, und zweitens sollten wir längst überholte Annahmen auf den Müllhaufen nicht funktionierender Theorien legen. Dennoch halten wir sie nach wie vor als Basis dafür, wie wir unsere Wirklichkeit gestalten, wie wir mit Natur und arbeitenden Menschen zum Zweck der Kapitalverwertung umgehen. Doch dabei handelt es sich lediglich um die Sichtweisen und Interessen von Unternehmungen und nicht um wissenschaftliche Aussagen.

Ich möchte noch darauf aufmerksam machen, dass ich in einem solchen, zeitlich begrenzten Vortrag nicht ausführlich auf alle Bereiche eingehen kann, wie das wünschenswert wäre. Bei Interesse können Sie diese Details in meinem Buch „FAIR ECONOMICS – Nature, Money and People beyond Neoclassical Thinking“, erschienen bei Green Books, Cambridge/UK, 2015, nachlesen.

Die meisten Ökonomen, die sich mit der Klimakrise befassen, halten die Krise für ein Thema, mit dem sich die Naturwissenschaften zu befassen hätten, die aber mit der Wirtschaft  nichts zu tun hat. Und wenn sich doch einige Ökonomen damit beschäftigen, dann gehen sie davon aus, dass Klimawandel und Umweltschädigungen schon immer aufgetreten und unvermeidlich seien, weil Menschen, um zu leben, immer in ihre Umwelt eingreifen müssten. Diese sogenannten Umweltökonomen sagen weiter, dass die bisherige ökonomische Theorie vergessen habe, „Natur“ oder auch „intakte Natur“ in ihr Denkmodell mit einzubeziehen.

Die Lösung der Probleme bestehe dann darin, „Natur“ als einen weiteren, als vierten  Produktionsfaktor zu definieren, ihre Nutzung zu bepreisen und den Schadensverursachern ihre bisher externalisierten Kosten aufzuerlegen. Beispielsweise müsste die Emission von Klimagasen teurer werden, dann würde ihre Freisetzung auch eingespart. Es sei klar, dass Umweltschutz teuer sei und wenn man ihn ausweiten würde, würde er nur zu Wettbewerbsnachteilen für die Wirtschaft führen. Und dies könne niemand wollen. Zu den Umweltökonomen gehören übrigens auch die Vertreter der sogenannten „grünen“ Ökonomie, die 2015 bei den Vereinten Nationen die 17 Sustainable Development Goals beschlossen hatten.

Die 17 SDGs für Wirtschaft und Politik bleiben jedoch im Rahmen der bisherigen ökonomischen Denkweise, wodurch unsere Probleme meiner Ansicht nach erst verursacht wurden. Ich verweise dazu auch auf das Buch: „Kritik der Grünen Ökonomie“ von Thomas Fatheuer, Lili Fuhr und Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung.

Ich bin einen anderen Weg gegangen und komme dann auch zu anderen Lösungsvorschlägen: Erst einmal ist die Aussage, dass wir Menschen, um leben zu können, in unsere Umwelt (Jakob von Uexküll) eingreifen müssen, eine richtige Feststellung. Aber ob es sich bei „Natur“ lediglich um unsere Umwelt handelt, ist eine Frage, die zu behandeln sein wird. Zweitens stellt sich auch die Frage, in welcher Form wir in die uns äußere Natur eingreifen. In der menschlichen Geschichte gab es ja unterschiedliche Formen des Wirtschaftens. Und drittens müssen wir untersuchen, ob die ökonomische Theorie nicht doch einen Begriff von „Natur“ hat, schließlich wirtschaftet sie ja ständig mit Naturstoffen. Und wenn sie den hat, dann müssen wir herausfinden, wie dieser aussieht und ob es sich dabei um eine exakte, objektive und realitätsgerechte Beschreibung der Wirklichkeit und nicht nur um Modellannahmen handelt.

Beginnen wir mit der letzten Frage. Ich stütze mich dabei auf die Erkenntnisse von Karl Polanyi in seinem Buch „The Great Transformation“ von 1944: Die ökonomische Theorie kennt bisher drei sogenannte Faktoren der Produktion: „Boden“, „Arbeit“ und „Kapital“. Sie sind von Adam Smith (1723-1790), einem schottischen Professor der Moralphilosophie und Steuereinnehmer des britischen Königs  Georg III., erstmalig so benannt worden. Smith wird als Begründer der Politischen Ökonomie angesehen.

Karl Polanyi weist nach, dass der Produktionsfaktor „Boden“ nur ein anderes Wort für „Natur“ ist. Naturstoffe werden dem „Boden“ entnommen und zu neuen Produkten zusammengesetzt. Mit dem Verkauf der hergestellten Güter müssen höhere finanzielle Einnahmen erzielt werden, als Ausgaben für die Produktion. Daraus ergibt sich ein finanzieller Gewinn für das herstellende Unternehmen. Und damit ist das Ziel der heutigen Wirtschaftstheorie erreicht.

Das bedeutet, dass die andere Seite der Produktion, die Konsumtion, von der Wirtschaftstheorie bisher ausgeschlossen wird. Wir haben es mit einer bloßen Produktionstheorie zu tun. Diese kommt zudem zu unterschiedlichen Erklärungen und Empfehlungen, je nachdem, ob die sie vertretenden Menschen aus dem rechten oder linken politischen Spektrum kommen und ob sie eher an der Angebots- oder der Nachfrageseite interessiert sind.

Und diese Form des Wirtschaftens war nicht zu allen Zeiten so, sondern wir können wenigstens drei Formen unterscheiden:

  1. Form 1: ist der direkte, unmittelbare und unvermittelte Austausch, die Naturökonomie (so bezeichnet von Aristoteles, Alexander von Humboldt und Charles Darwin), die die Regeln des Hauses beschreibt. Aus dieser Hauswirtschaft entstand:
  2. Form 2: der indirekte Tausch, der durch ein allgemeines Tauschmedium = Geld vermittelt wird. Geld wurde vor rund 7.000 Jahren von Menschen erfunden – eine bemerkenswerte Kulturleistung. Diese Form des Wirtschaftens bezeichnen wir als Kulturökonomie (Peter Bendixen). Und daraus wiederum können wir eine weitere Form ableiten:
  3. Form 3: die Vertauschung des allgemeinen Tauschmittels mit dem Ziel des Tausches, eine Mittel-Ziel-Vertauschung. Ich nenne sie Ökonomiekult. Die Mittel-Ziel-Vertauschung stellt unsere heutige Ökonomieform dar. Sie ist vor rund 300 Jahren entstanden und erscheint uns heute quasi als selbstverständlich, ja natürlich.

Damit machen wir das Geld, das von Menschen erfundene Mittel des Tauschs, zum alleinigen Ziel des Tauschs. Das hat aber mit Natur nichts zu tun. Für ihre Austauschprozesse hat Natur nie ein Tauschmittel erfunden. Für Natur hat Geld keine Bedeutung. Mit einer angeblich natürlichen Form des Wirtschaftens kann man diese Form also nicht begründen. Die Verwechslung einer kulturellen Erfindung mit Natur ist im übrigen einer der größten Fehler, den man machen kann. Dennoch wird immer wieder so argumentiert. Und wir nehmen es hin.

Eine Folge der Mittel-Ziel-Vertauschung ist, dass „Natur“ und „Arbeit“ zu Objekten, zu reinen Mitteln der Kapitalverwertung gemacht werden. Sie werden als Waren betrachtet1. Dies sind sie in der Realität natürlich nicht, aber in unserer Modellvorstellung vom Wirtschaften setzen wir voraus, dass sie welche seien. Das ist wissenschaftlich nicht haltbar. Leider wird das jedoch von kaum jemandem in Frage gestellt.

Wir können also festhalten: Bei der heutigen Produktionstheorie geht es um eine „Technik“ der Kapitalverwertung, um eine Kunst, aber nicht um Wissenschaft (Ekkehard Kappler). Damit stellen sich die Fragen, wie denn wissenschaftlich begründbares Handeln und eine realitätsgerechte Auffassung von „Natur“ und „Arbeit“ aussehen können:

  • In der Realität ist Arbeit ist eine an den Menschen gebundene Fähigkeit und kein von ihm trennbares, beliebig einsetzbares Objekt, das zudem auch nur dann etwas wert scheint, wenn es für Geld eingetauscht wird. Im privaten Bereich arbeiten wir, wenn auch unentgeltlich – ein Problem, das, weil es genderabhängig ist, von der ökonomischen Theorie nicht berücksichtigt wird. In den Betrieben finden wir arbeitende Menschen und keine Faktoren.
  • Und in einer Wissenschaft kann es auch nicht verschiedene Definitionen von „Arbeit“ geben, als Aufgabe, Vorgang, Ergebnis oder als Summe der abhängig Beschäftigten, sondern nur eine exakte, die zudem in Naturwissenschaften und Kulturwissenschaften übereinstimmen muss.
  • Und bei Natur handelt es sich ebenfalls nicht um ein beliebig verfügbares Objekt, sondern um unsere Lebensgrundlage. Denn wir Menschen sind als natürliche Lebewesen Teil von Natur. Wir schaffen allerdings in historischen Zeiträumen und Regionen unsere eigenen unterschiedlichen Kulturen, die uns dann zur „zweiten“ Natur werden. Bei Natur handelt es sich daher nicht nur um unsere Umwelt, sondern um unsere Mitwelt (Klaus-Michael Meyer-Abich).

Die lebendige Natur hat sich aus der anorganischen Natur in einem Jahrmilliarden andauernden Evolutionsprozess entwickelt, zuerst Pflanzen, dann Tiere und dann den sich bewusst werden könnenden Menschen, den Adam Smith bereits rund 70 Jahre vor Darwin als human animal bezeichnet hat. Natur hat, wie uns seit dem 18. Jahrhundert bewusst geworden ist, eine Geschichte. Sie ist ein selbstorganisierter offener Prozess in Wechselwirkungen (Erich Jantsch).

Natur zu zerstören, bedeutet zurück zur unlebendigen Natur zu gehen. Das ist nicht besonders klug.

Wir können nun festhalten, dass wir damit nicht nur Täter, sondern auch die Opfer einer solchen Vorgehensweise sind. Denn wir  benötigen, um leben zu können, frische Lebensmittel, sauberes Trinkwasser und reine Luft – mit jedem Atemzug. Ohne die Erfindung der Natur von Stoff-Wechsel-Prozessen gibt es kein Leben.

Wie man die bisherige verengte und unhistorische Sichtweise der ökonomischen Annahmen von der einseitigen Objektverfügung zu wechselwirkenden Prozessen erweitern kann, zeigen die folgenden Grafiken (aus meinem Buch Fair Economics, S. 154):

Das ist die Vorgehensweise industrieller Produktion. Sie ist wird immer noch als das typische, ja das naturgesetzliche wirtschaftliche Vorgehen angesehen. Alle Wirtschaftssektoren sind nach diesem Muster industrialisiert worden und werden es weiter, der primäre Sektor von Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei sowie der tertiäre Sektor der Dienstleistungen. Industrie, der sekundäre Sektor, ist jedoch längst nicht mehr der bedeutendste Wirtschaftssektor, sondern dies ist der Dienstleistungssektor, aus dem heute drei Viertel unserer Wirtschaftsleistungen kommen. Und dies ist weltweit so. Die immer noch auf den industriellen Sektor der materiellen Güterproduktion konzentrierte Sichtweise muss daher modernisiert werden.

Wie wir uns bewusst werden, kommt eine Objektanalyse immer durch ein Subjekt und sein Interesse zustande – das Objekt zerlegt sich ja nicht selbst in seine Bestandteile. Der Erkenntnsgewinnungsprozess wird jetzt durch die Einführung eines Subjektes und die sich daraus ergebenden Konsequenzen erweitert. Damit wird es möglich, erstmalig die Voraussetzungen wie Folgewirkungen unserer wirtschaftlichen Vorgehensweise aufzuzeigen wie zu beachten. Die bisher einseitige Objektverfügung wird zum wechselwirkenden Interaktionsprozess (Fair Economics, S. 157f.):  Wir befinden uns als Erkenntnisgewinnende in einem reziproken Prozess mit dem Objekt unserer Erkenntnis. Und wir können dadurch die Einsicht zulassen, dass wir uns letztlich selbst schädigen, wenn wir Klima- und Umweltkrise als angeblich unvermeidlich weiterhin in Kauf nehmen; wir sind – wie gesagt – nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer.

Fazit:

Die bisherigen Modellannahmen der ökonomischen Produktionstheorie, ihr Menschen- und Naturbild, müssen modernisiert, die Konsumtion muss mit einbezogen werden. Allein die Produktion in Gang zu bringen und dadurch Gewinne, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen, wie es die derzeitigen Programme der Bundesregierung beabsichtigen, die aufgelegt wurden, um nach dem Abflauen der Coronakrise die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, reicht keinesfalls, denn die Menschen müssen die hergestellten Produkte auch kaufen. Und ob man wirklich immer mehr Produkte kaufen und nutzen möchte, wenn die Natur dadurch immer unlebendiger und ärmer wird, ist die nächste Frage, die sich stellt. Warum beschäftigt uns das nicht?

Wir müssen heute von realitätsgerechten und exakten Ansichten ausgehen und nicht alte Annahmen fortschreiben. Damit gewinnen wir wissenschaftliche Legitimation für zukunftsfähiges Handeln. In der Diskussion darüber erscheint es jedoch immer wichtiger, 300 Jahre alte, längst obsolet gewordene Fiktionen beizubehalten statt dafür zu sorgen, dass Natur, unsere Lebensgrundlage, am Leben erhalten wird. Wir brauchen auch keine großtechnischen Lösungen, die lediglich innerhalb des bisher verengten Ökonomieverständnisses Sinn machen. Und wir brauchen auch keine Denkverbote. Sondern wir müssen andere, sinnvollere Formen für unseren Umgang mit Menschen und Natur entwickeln, legitimieren und praktizieren.

Die lebendige Natur und arbeitende Menschen dürfen nicht länger nur aus der Sicht der Kapitalverwertung als bloße Objekte der Produktion angesehen werden. Wenn das so weiter betrieben wird, müssen wir uns nicht wundern, dass unsere individualistische westliche Kultur immer mehr narzisstische Züge annimmt.  Und schließlich arbeiten wir auch im Konsumtionsbereich, wenn auch unbezahlt. Und Menschen sind bestimmt auch kein „Humankapital“.

Ich möchte besonders auf eine Studie der Leopoldina-Akademie hinweisen, worüber im aktuellen SPIEGEL berichtet wird. Wir müssen in der Tat „mehr Wildnis wagen“. Natur muss ein Eigentumsrecht an sich selbst zugestanden werden, so wie seit der Aufklärung alle Menschen ein Eigentumsrecht an sich selbst erhielten. Und daher sind die Begründungen des englischen Arztes und Philosophen John Locke (1632-1704) hinsichtlich eines Eigentumsrechts des Menschen an der ihm äußeren Natur weiterzuentwickeln.

Und hatten nicht bereits die Philosophen der Aufklärung gefordert, dass kein Mensch lediglich Mittel sein dürfe, sondern immer als Ziel aufgefasst werden müsste?  Davon sind wir im 21. Jahrhundert noch immer weit entfernt. Mit solchen Fragen befasse ich mich auch nicht allein, sondern beispielsweise auch die amerikanische Philosophin Elizabeth Anderson in ihrem Buch „Private Regierung – wie Arbeitgeber über unser Leben herrschen (und warum wir nicht darüber reden)“ von 2017.

III.

Ich stelle daher folgende Forderungen:

  1. Die bisher verengte Wirtschaftstheorie muss modernisiert werden hin zur einer auf Wechselwirkungen beruhenden ökologischen Wissenschaft, die sowohl Herstellung als auch Konsumtion umfasst. Dann kann eine andere Umgangsform mit Natur und arbeitenden Menschen begründet werden. Bisherige ökonomische Instrumente müssen ebenfalls modernisiert und neue entwickelt werden.
  2. Der Deutsche Bundestag sollte eine Enquetekommission einsetzen, die Vorschläge für eine Status- und Strukturreform der abhängigen Beschäftigten erarbeitet. Die bisherigen Wirtschaftsobjekte müssen zukünftig als kooperierende Subjekte aufgefasst werden.
  3. Die menschlichen Arbeitsleistungen müssen vom Statistischen Bundesamt als eigenständige Kategorie im Dienstleistungssektor der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgewiesen werden, während sie heute als bloße Kostenfaktoren in der Güterproduktion verschwinden. Die bisher unsichtbaren Arbeitsleistungen müssen sichtbar werden.
  4. Ein bedingungsloses und unversteuertes Grundeinkommens ist einzuführen. Damit würde endlich die bisherige Trennung von unbezahlter Tätigkeit und bezahlter, aber abhängiger Beschäftigung aufgehoben. Wir würden das, was wir selbst tun, endlich schätzen.
  5. Die auf Arbeitseinkommen fällige Lohn- und Einkommenssteuern sind abzuschaffen, weil sie eine Doppelbesteuerung bedeuten, denn zusätzlich zu ihnen werden noch Steuern auf Produkte und Dienstleistungen erhoben. Eine solche Warnung vor Doppelbesteuerung hatte bereits Adam Smith im 18. Jahrhundert erhoben und die Streichung der Besteuerung von Arbeit gefordert.
  6. Es ist eine erweiterte Rechnungslegung für Unternehmen, eine „Integrierte Berichterstattung“ einzuführen. Damit würde nicht nur der jährliche finanziellen Profit eines Unternehmens bilanziert, sondern auch der Profit für die Natur = die jährlich eingesparten Klimagase. Klimafreundliche Produktion und Produktnutzung kann damit zum gleichberechtigten Geschäftsziel werden.

Die ökologische Seite der „Integrierten Berichterstattung“ wird in Betriebs-, Produkt- und Humanökologie gegliedert. Sie wird nicht in Geld, sondern in einer physikalischen Größe ausgedrückt, in CO2e/kg, wie es das Statistische Bundesamt vornimmt. Denn, wie gesagt, Geld ist kein Mittel für unseren Austausch mit Natur.

Die „Integrierte Berichterstattung“ (Englisch „Integrated Balancing“ oder „Integrated Reporting“) wurde von der UmweltBank AG, Nürnberg, mit Beginn ihrer Geschäftstätigkeit 1996 eingeführt und ständig weiterentwickelt. Den Begriff habe ich erfunden und dieses neue Instrument in vielen Aufsätzen, erstmalig 2006 in der „Politischen Ökologie“, vorgestellt. 2019 konnte die UmweltBank AG durch ihre Geschäftstätigkeit, die sich auf die Finanzierung von Umweltvorhaben konzentriert, eine Einsparung von 620.000 Tonnen CO2e (nach den heutigen Möglichkeiten in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt in Dessau) erzielen. Die „Integrierte Berichterstattung“ ist ein direktes, marktwirtschaftliches Instrument, entwickelt von der Wirtschaft selbst, nicht vorgeschrieben von der Politik, wie die finanzielle Bilanzierung.

Es geht dabei auch nicht nur um die klimaschonende Nutzung von Produkten, sondern auch um ihre nachhaltige Herstellung und ihre Recyclierfährigkeit. Produkte müssen lange haltbar sein und leicht repariert werden können, um Naturressourcen von vornherein einzusparen. Umweltschäden können so von vornherein vermieden werden. Das ist billiger als nachträglich Reparaturkosten aufzuwenden.

  1. Das Brutto-Inlands-Produkt (BIP) ist nicht länger nur als Aufsummierung aller Marktumsätze zu verstehen, denn darin sind auch Reparaturkosten von Schäden enthalten, d. h. Aufwendungen, die lediglich einen vorherigen Zustand wiederherstellen, aber kein zusätzliches Wachstum sind. Diese rein kompensatorischen Kosten müssen abgezogen, statt hinzugezählt zu werden. Damit kommen wir endlich zu einer realitätsgerechteren Wohlstandsberechnung.

Zur Sinnhaftigkeit einer solchen Aufsummierung von Marktumsätzen als Maß für steigenden Wohlstand gibt es, das verwundert nicht, folgende Anmerkungen:

– Wenn eine Professorin einen Putzmann einstellt, dann steigt das BIP um seinen Verdienst. Wenn aber diese Professorin ihren Putzmann heiratet, dann sinkt das BIP, weil er seine vorher bezahlte Leistung jetzt unbezahlt erbringt.

– Oder ein noch absurderes Beispiel:

Wenn zwei Männer jeweils umschichtig auf ihre Kinder aufpassen, dann hat das erst mal keine Auswirkungen auf das BIP. Das ändert sich erst, sobald die beiden Männer einander ein Gehalt zahlen würden. Obgleich dies ein Nullsummenspiel wäre, weil der eine, der etwas gibt, erhält das ja von dem anderen wieder zurück, steigt das BIP zweimal, weil zwei Gehälter gezahlt wurden. Und außerdem profitiert auch noch das Finanzamt, denn beide Gehälter sind einkommensteuerpflichtig.

Wir hatten in Schleswig-Holstein bereits vor vielen Jahren den Grundstein für eine realitätsgerechtere Erfassung und Bewertung des BIP gelegt, wie in Drucksache 12/729 des Schleswig-Holsteinischen Landtags nachzulesen ist. Aber öffentlich ist nicht bekannt, dass unser Bundesland hier Vorreiter ist. Die Wachstumsgläubigkeit von Wirtschaft und Politik, allein gemessen in Geld, wird zwar immer wieder zu Recht hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Natur kritisiert, aber dann muss man auch endlich Öffentlichkeitsarbeit über bereits vor Jahren in Gang gesetzte Strukturreformen machen und sie nicht verstecken.

  1. Der Investitionsbegriff der öffentlichen Verwaltung muss so erweitert werden, dass nicht länger das billigste Angebot für die Vergabe einer einmaligen Investition den Zuschlag erhält, sondern das langfristig kostengünstigste. Einmalige Installationskosten, z. B. für Wärmedämmung oder Solarpaneele zur Stromgewinnung könnten die Erstinvestition sogar teurer machen, wenn dadurch die Verbrauchskosten für Wärme und Strom langfristig geringer ausfallen.

Ich schlage Ihnen damit vor, andere Wege zu gehen, auch wenn diese heute noch so neuartig erscheinen mögen. Und die sind durchaus machbar. Ich hoffe, dass ich Ihnen durch meine Analyse der heutigen verengten kulturellen Form unseres Wirtschaftens einige neue Einsichten vermitteln und eine neue Logik einer nachhaltigeren Produktion und Konsumtion aufzeigen konnte, die Natur als unsere Lebensgrundlage endlich respektiert.

Und, um das noch hinzuzufügen, aus der Akzeptanz von Natur als unsere Lebensgrundlage und als Subjekt wird es möglich, eine Wirtschaftsform zu legitimieren, die weniger in Naturabläufe eingreift, weniger intensiv ist, vor allem mit nachwachsenden Rohstoffen wirtschaftet, langlebigere Produkte herstellt und die Abfall-„Beseitigung“ ebenfalls zu ihrer Sache macht.

Dazu war und ist Theoriearbeit erforderlich. Es geht um Wissenschaft. Und damit können wir von einer Theorie der wirtschaftlichen Objekte zu einer Wissenschaft wirtschaftender Subjekte übergehen. Sonst bleiben wir in der Sackgasse längst überholter Annahmen, als hätten wir nichts aus den selbstverursachten Problemen von Klima- und Umweltkrise gelernt. Und weil es Kenneth E. Boulding so gut auf den Punkt bringt, möchte ich mit einem seiner Gedichte enden:

Eonomy is understood to study goods,
but not the Good.
Although the goods, we often find,
are pale abstractions of the mind.

Und weil es so wichtig ist, das Muster der industriellen materiellen Produktion endlich ad acta zu legen und zum tertiären Sektor wechselwirkender Leistungen überzugehen, werde ich meine Ausführungen nach der Sommerpause noch durch eine Analyse des tertiären Sektors fortsetzen.

Eine Auswahl von Büchern zum Weiterlesen:

  • Georgius Agricola, De Re Metallica, 1548
  • Elizabeth Anderson, Private Regierung – wie Arbeitgeber über unser Leben herrschen (und warum wir nicht darüber reden, 2017
  • Gregory Bateson, Geist und Natur. Eine notwendige Einheit, Frankfurt, 1984
  • Ernst Bloch, Die Lehren von der Materie, Frankfurt, 1978
  • Gernot Böhme,
    – Die Natur vor uns, Graue Reihe, 2002 und G. Böhme,
    – Das Andere der Vernunft, Frankfurt, 1985
  • Charles Darwin, The Origin of Species By Means of Natural Selection, 1859
  • Thomas Fatheuer, Lili Fuhr, Barbara Unmüßig, Kritik der Grünen Ökonomie, hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung, 2015
  • Marie-France Hirigoyen, Die Toxische Macht der Narzissten und wie wir uns dagegen wehren, München, 2020
  • Martin Jänicke, Wie das Industriesystem von seinen Mißständen profitiert, Opladen, 1979
  • Erich Jantsch, Die Selbstorganisation des Universums, Reinbeck, 1979
  • Horst Kurnitzky, Triebstruktur des Geldes, Ein Beitrag zur Theorie der Weiblichkeit, Berlin 1974
  • John Locke, Second Treatise of Government von 1690, Indianapolis, 1980
  • Carolyn Merchant, The Death of Nature. Women, Ecology and the Scientific Revolution, San Francisco, 1980
  • Klaus-Michael Meyer-Abich
    – Wege zum Frieden mit der Natur, München/Wien, 1984
    – Wissenschaft für die Zukunft, Holistisches Denken in ökologischer und gesellschaftlicher   Verantwortung, München, 1988
  • Rudolf Wolfgang Müller, Geld und Geist, Zur Entstehungsgeschichte von Identitätsbewußtsein und Rationalität seit der Antike, Frankfurt, 1977
  • Elinor Ostrom, Governing the Commons, The Evolution of Institutions for Collective Action, New York, 1999
  • Georg Picht, Ist Humanökologie möglich? in: Humanökologie und Frieden, Stuttgart, 1979
  • Karl Polanyi, The Great Transformation, Frankfurt, 1977 Projektgruppe Ökologisches Wirtschaften beim Öko-Institut, Freiburg,
    – Arbeiten im Einklang mit der Natur, 1985
    – Produktlinienanalyse, 1987
  • Carlo Rovelli,
    – Sieben kurze Lektionen über Physik, 2015
    – Die Wirklichkeit, die nicht so ist, wie sie scheint, 2016
  • Adam Smith,
    – An Inquiry into the Nature ad Causes of the Wealth of Nations, 1776
    – Theory of Moral Sentiments, 1790
    – Early Writings, New York, 1967
  • Alfred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche Arbeit, Frankfurt, 1973
  • Irene Schöne,
    – Ökologisches Arbeiten, Zur Theorie und Praxis ökologischen Arbeitens als Weiterentwicklung der  marktwirtschaftlich organisierten Arbeit, Wiesbaden, 1988
    – Vom Eigenwert der Natur, Ein Beitrag zur Ökologisierung der Ökonomie, in: Neue Bewertungen   in der Ökonomie, Pfaffenweiler, 1995
    – Fair Economics = Nature, Money And People Beyond Neoclassical Thinking, Cambridge/UK,   2015
  • Jakob von Uexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere, Berlin, 1909
  • Viktor von Weizsäcker, Der Gestaltkreis, Theorie der Einheit von Wahrnehmen und Bewegen, Frankfurt, 1973
  • Karl Georg Zinn, Die Selbstzerstörung der Wachstumsgesellschaft, Politisches Handeln im ökonomischen System, Reinbek, 1980

1 vgl. die Verbesserung der Rechtstellung von Tieren im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1990, § 90a, dass Tiere keine Sachen sind. § 90 lautet: „Sachen im Sinne des Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände.“
Siehe auch: ag-kiel@albert-schweitzer-stiftung.de, eine offene Aktionsgruppe, die sich für mehr Respekt für Tiere einsetzt.