Blitz-Nachbesserung des Klimaschutzgesetzes umstritten

SZ: „…So wird das nichts“

„Fast könnte man meinen, die Regierungsparteien genießen die Ohrfeige, die sie vergangene Woche vom obersten deutschen Gericht bekommen haben“, belustigte sich die Tagesschau auf ihrer Webseite über die Klimaschutz-Hektik von Union und SPD – kaum eine Woche nach dem vernichtenden Spruch des Bundesverfassungsgerichts. Beobachtern war sofort klar: Die Großen wollen vor allem den Grünen das Wahlkampfthema Klima aus der Hand nehmen. Petra Pinzler konstatiert in der Zeit, die Parteien schöben einander die „Schuld zu, zugleich ist offen, ob daraus noch Politik wird.“ Laut Michael Bauchmüller von der Süddeutschen verdiente die Koalition Applaus für ihre neue Aktivität – „sähe es nicht in ihrem Maschinenraum so viel chaotischer aus als oben auf der Brücke“. Lakonisches Verdikt: „Schöne Ziele, aber keine Wege dorthin – so wird das nichts.“

Kohleausstiegs-Demo von Greenpeace – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Medienberichten zufolge hat sich die Bundesregierung auf Eckpunkte für die Nachbesserung des Klimaschutzgesetzes geeinigt. So soll der CO2– Ausstoß bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken, bisher waren nur 55 Prozent vorgesehen. Zudem soll Deutschland schon 2045 klimaneutral werden, fünf Jahre früher als eigentlich geplant. „Wir werden alles daran setzen, bereits 2045 das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen“, sagte Merkel am 05.05.2021 bei einem Online-Kongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion laut Ludwigsburger Kreiszeitung.

Offen bleibe, so das Blatt weiter, wie genau die Ziele erreicht werden sollen und was die neuen Marken für einzelne Bereiche wie den Verkehr oder den Energiesektor bedeuten. Darüber liefen parallel noch Abstimmungen, hieß es. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) räumte am Nachmittag ein, einige Fragen seien „noch offen“, vor allem die nötigen Instrumente, mit denen die neuen Ziele erreicht werden sollten, und die Details der CO2-Bepreisung oder die Geschwindigkeit beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Neben dem höheren CO2-Preis und dem verstärkten Ausbau von Wind- und Solarenergie ist auch der Zeitplan zum Kohleausstieg noch nicht abschließend abgestimmt.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nannte die neuen Klimaziele „machbar und richtig“ und sagte: „Dazu braucht es aber noch konkrete Vereinbarungen in der Koalition zu einem dynamischeren CO2-Preis und einem Sprung für 2022 auf 45 Euro pro Tonne CO2 kombiniert mit einem schnelleren Ausbau der Photovoltaik. Dazu muss die Koalition diese Woche noch Ergebnisse erzielen.“

„Erneut fehlt es der großen Koalition an Kraft“

Kritik kam von den Grünen, schreibt die Rheinische Post: Fraktionschef Anton Hofreiter bezeichnete sie als unzureichend. „Unter dem Druck des Verfassungsgerichts muss sich selbst die große Koalition beim Klimaschutz bewegen. Das ist ein Anfang, mehr aber auch nicht“, sagte Hofreiter. „Denn erneut fehlt es der großen Koalition an Kraft, das zu tun, was sinnvoll und notwendig wäre. Das wären vor allem endlich Maßnahmen, die ganz real mehr Klimaschutz voranbringen. Der Ausbau der Erneuerbaren muss enorm beschleunigt werden, hier muss die große Koalition endlich ihre Selbstblockade durchbrechen“, sagte Hofreiter. „Dringend notwendig sind zudem ein schnellerer Kohleausstieg bis 2030 und ein Aus für den Verbrennungsmotor ab 2030.“ Er forderte Union und SPD vor, die Reduktionsziele tatsächlich zu erhöhen. „Beim Klimaschutzziel 2030 droht Schönrechnerei. Wahrscheinlich bringt die Koalition gerade einmal die Hälfte dessen zusammen, was notwendig wäre. Ich fordere die Bundesregierung auf, das Klimaschutzziel 2030 auf minus 70 Prozent zu erhöhen. Ohne Tricks und Kleingedrucktes“, sagte Hofreiter.

Auch die Klimaaktivisten der Fridays for Future-Bewegung, die vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe erfolgreich waren, haben die neu vorgelegten Eckpunkte zur Nachbesserung des Klimaschutzgesetzes scharf kritisiert. „Das von der großen Koalition vorgeschlagene Klimaneutralitätsziel 2045 kommt dem Anspruch an Generationengerechtigkeit und konsequenten Klimaschutz nicht nach, den das Bundesverfassungsgericht vergangene Woche gestellt hat“, sagte Fridays-for-Future-Sprecherin Carla Reemtsma. „Das heutige Ziel ist eine Absage an die konsequente Bekämpfung der Klimakrise und die im Pariser Klimaabkommen verankerte 1,5-Grad-Grenze“, so Reemtsma. „Ohne sofortige Maßnahmen zur Reduktion von Emissionen bleiben die Ziele nur leere Ankündigungen“.

PIK: „Weitestgehenden Ausstieg aus der Kohleverstromung bereits vor 2030“

Das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat die nachgeschärften Klimaziele der Bundesregierung begrüßt, zugleich aber konkrete Maßnahmen zur Umsetzung gefordert. „Durch die Verschärfung des EU-Klimaschutzziels von 40 Prozent auf 55 Prozent Reduktion der Treibhausgase bis 2030 relativ zu 1990 war eine Verschärfung der deutschen Klimaschutzziele dringend geboten. Eine Reduktion um 65 Prozent bis 2030 erscheint als Minimum, um im innereuropäischen Diskurs eine Vorreiterrolle innehalten zu können“, sagte PIK-Forscher Elmar Krieger. „Klimapolitisch ist das geboten, nun ist es erforderlich, die Sektorziele und – noch wichtiger – die für die Erreichung der Ziele notwendigen Maßnahmen nachzuschärfen“, sagte Krieger, der die Abteilung „Transformationspfade“ des PIK leitet. Er forderte unter anderem einen höheren CO2-Preis. „Dies beinhaltet eine abgestimmte Anschärfung der CO2-Preise sowohl im europäischen Emissionshandelssystem als auch national für Verkehr und Gebäude. Außerdem sind ergänzende Maßnahmen nötig, die die Markteinführung emissionsarmer Technologien beschleunigen und somit die Wirksamkeit der CO2-Preise erhöhen. Die neuen Ziele werden beispielsweise auch bedeuten, den weitestgehenden Ausstieg aus der Kohleverstromung bereits vor 2030 zu erreichen“, sagte Krieger.

Greenpeace: „Reicht nicht aus“

Für Lisa Göldner, Klima-Expertin von Greenpeace, reicht das neu erklärte Klimaziel für 2030 „nicht aus. Sinken die Emissionen lediglich um 65 Prozent, wird Deutschland sein CO2-Restbudget bis 2030 bereits zu rund 85 Prozent verbraucht haben. Danach wären so drastische Maßnahmen notwendig, dass sie die Freiheitsrechte der jungen Generation erheblich verletzten. Deutschland muss den Ausstoß klimaschädlicher Gase bis 2030 um mindestestens 70 Prozent verringern. Nur dann lassen sich die Rechte der jungen Generation sichern. Und nur dann orientiert sich die deutsche Klimapolitik endlich am Klimaabkommen von Paris. An einem beschleunigten Kohleausstieg bis 2030, einem Ende für die Neuzulassung von PKW mit Verbrennungsmotor bis 2025 und schneller Abschaffung  der Massentierhaltung führt kein Weg mehr vorbei.“

DUH: „Zu wenig, zu spät, ohne konkrete Maßnahmen – reine Luftnummer“

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisierte den Plan der Bundesregierung für ein neues Klimaschutzgesetz als vollkommen unzureichende Antwort auf das historische Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutz. Die DUH fordert als Konsequenz aus dem Klimaschutzurteil aber deutlich mehr: 70 Prozent Einsparungen bis 2030, Klimaneutralität schon 2040 sowie vor allem ein konkretes Klimaschutz-Sofortprogramm mit einem vorgezogenen Kohleausstieg bis 2030. Außerdem müssen die Ziele in den einzelnen Sektoren ebenfalls sofort angepasst werden und nicht erst, wie Medien berichten, ab 2024.

Als konkrete Schritte fordert die DUH in einem 8-Punkte-Sofortprogramm:

  • Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen von 120 km/h verbunden mit Tempo 80 außerorts und Tempo 30 in der Stadt: Das bringt bis 2034 eine Einsparung von bis zu 100 Millionen Tonnen CO2
  • Beschleunigte Umsetzung der Verkehrswende, das heißt keine Zulassung von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab dem 1.1.2025, Stopp der gerade eingeführten LKW-Kaufprämie, Reaktivierung der stillgelegten Güterverkehrsinfrastruktur und 100% Elektrifizierung der Bahnstrecken bis 2030
  • Abschaffung der Diesel- und Dienstwagensubventionierung
  • Stopp von Nord Stream 2, was alleine zusätzliche 100 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr verhindert
  • Stopp für alle geplanten Flüssiggas-Terminals an der deutschen Nordseeküste
  • Sofort-Förderprogramm für die energetische Sanierung von öffentlichen Gebäuden, beginnend bei allen Schulen im Land, um den Rückstand bei den CO2-Emissionen von Gebäuden aufzuholen
  • Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030
  • Anhebung der Ausbaupfade für Erneuerbare Energien und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren

->Quellen: