Kontroverse um Verbrenner

Rechenfehler bei CO2-Vergleich mit E-Auto?

Wieder eine pseudowissenschaftliche Geisterdebatte: Mit einem offenen Brief an die EU-Kommission, wonach die realen CO2-Emissionen von Elektroautos doppelt so hoch seien wie bisher dargestellt, wirbeln Wissenschaftler um KIT-Professor Thomas Koch derzeit Staub auf. Verbrennungsmotorexperte Koch und weitere 170 Automobilexperten wollen zudem in einer 44seitigen Schrift darlegen, dass durch die Zunahme von E-Autos ständig mehr konventioneller Strom nötig sei – folglich wachse der CO2-Ausstoß.

Dieselauspuff eines spanischen Busses – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Aus dem Brief (Auszüge): „Nach dem Studium vieler Positionspapiere, Entwürfe und sogar begutachteter wissenschaftlicher Publikationen und der Analyse politischer Erklärungen bestehen große Bedenken der Unterzeichner, dass die grundsätzliche Ableitung der CO2-Emissionen des Sektors Strom auf einer unzureichenden Berechnung beruht. Bitte beachten Sie, dass die CO2-Belastung eines zusätzlichen elektrischen Verbrauchers in repräsentativen Veröffentlichungen typischerweise vereinfacht dargestellt wird… Wir möchten Sie freundlich darauf hinweisen, dass die korrekte Kalkulation sich nach dem Fundamentalsatz von Leibniz aus dem 17. Jahrhundert richtet….
Als Konsequenz müssen wir Ihnen mitteilen, dass aufgrund des typischerweise unbemerkten Rechenfehlers das CO2-Einsparpotenzial zusätzlicher Einspeiser des Sektors Strom viel geringer ist als von vielen Politikern erwartet und kommuniziert! Diese Situation steht eindeutig im Gegensatz zu den Empfehlungen zur schnellen CO2-Reduktion des IPCC.
Zwar ist die BEV-Technologie (battery electric vehicle) je nach Anwendungsfall bzw. den detaillierten Kundenanforderungen attraktiv. Die meistversprechende Chance, die CO2-Emissionen des kombinierten Sektors Energie und Verkehr signifikant zu reduzieren, ist jedoch ein intensiver Anstieg der Beimischungsquote von CO2-neutralen reFuels (bioFuels plus eFuels). Unsere Öko-Empfehlung für G40 und R33 (Benzin- und Diesel-Mischkraftstoff mit reduziertem fossilen Anteil) im Jahr 2030 mit einem CO2-Reduktionspotenzial von mindestens 25% ist anspruchsvoll und braucht eine klare politische Unterstützung. Ein vollständiger Ausstieg aus fossilen Brennstoffen in der Dekade der 2040er Jahre ist realistisch. Bitte beachten Sie, dass G40 und R33 vollständig kompatibel zu den bestehenden Kraftstoff-Spezifikationen kompatibel sind und alle Bürger der EU zu unserem Ziel der CO2-Emissionsreduzierung beitragen könnten Ziel beitragen können, sogar mit 20 Jahre alten Fahrzeugen.
Bitte erlauben Sie uns, unsere Irritation darüber auszudrücken, dass irreführende Informationen über reFuels typischerweise in vielen Publikationen verbreitet werden. Vergleicht man ein BEV und ein modernstes Hybridfahrzeug und unter der Annahme einer gegebenen regenerativen elektrischen Energie in Europa tatsächlich die größte Reichweite durch direktes Aufladen eines BEV realisiert werden kann. Als Alternative kann die elektrische Energie in einen reFuel umgewandelt werden. Die durchschnittliche Fahrreichweite eines BEV ist 2-3 mal größer im Vergleich zu einem reFuels-Hybridfahrzeug, obwohl die Faktoren 5, 7 und manchmal sogar 10 angegeben werden.
Andererseits ist die Leistung von Photovoltaik und Windkraft in vielen Regionen der Welt 2-3 mal höher Regionen der Welt im Vergleich zu Europa. Fragen der Energiespeicherung werden parallel gelöst dem reFuels-Pfad folgend.
Wir möchten daher anmerken, dass der CO2-ärmste Antriebsstrang eines Kleinwagens, insbesondere ein Diesel-Hybrid, politisch und ökonomisch komplett verboten zu sein scheint, obwohl das CO2-Reduktionspotential eines kombinierten Diesel-Hybrids mit R33-Kraftstoff im Jahr 2030 ca. 50% beträgt, was für viele Länder mit einer BEV-Strategie völlig unmöglich ist. Wir bitten Sie daher sehr herzlich, die geplante Gesetzgebung im Namen aller EU-Bürger, die eine effektive CO2-Reduktion erwarten, neu zu kalibrieren.
Bitte berücksichtigen Sie auch das enorme Technologieführerschaftspotenzial für Europas Industrie im Bereich der reFuels-Produktion, des Handels und der Nutzung.
Wir möchten unsere Vision zum Ausdruck bringen, dass reFuels den armen Ländern der 3. Welt durch den Aufbau von reFuel-basierten Energiegeschäften mit Europa zu Wohlstand verhelfen. Unsere Sorge ist gewachsen, dass der jahrhundertealte Menschheitstraum der individuellen Mobilität für alle Bevölkerungen in Europa durch die derzeitige BEV-orientierte Strategie deutlich eingeschränkt wird! Wir brauchen alle technischen Lösungen einschließlich einer verbesserten BEV-Strategie. Aber die einzige Chance, automobilbasierte Mobilität für alle Regionen in Europa in Kombination mit intensiver CO2-Reduktion zu ermöglichen, ist die intensive Steigerung der reFuels-Produktion.
Abschließend möchten wir Sie darauf hinweisen, dass wichtige IASTEC-Partnerregionen der Welt wie China, Korea, Japan und USA ebenfalls eine intensive reFuels-Strategie empfehlen. Wir bitten Sie, diese Einschätzung zu berücksichtigen, da die auf dem Verbrennungsmotor basierende Hybrid-Antriebstechnologie zusammen mit Brennstoffzellen- und Batteriefahrzeugen voraussichtlich noch für Jahrzehnte eine wichtige Technologie bleiben wird. In der Tat haben wir durch teilweise irritierende Technologiediskussionen die technische Führerschaft Europas im Bereich der Antriebstechnologie fast verloren. Weitere Informationen finden Sie in unserem Positionspapier, das von 170 Experten aus Europa und der ganzen Welt unterzeichnet ist. Wir bedanken uns für die Berücksichtigung unserer Informationen und bieten unsere Bereitschaft zum Wissensaustausch an.“

Obwohl sich die Brief-Unterzeichner für Technologieoffenheit aussprechen, also für Autos, die mit Wasserstoff oder auch synthetischen Kraftstoffen fahren – sowie für Hybrid-Fahrzeuge,  ließ die Kritik nicht auf sich warten.

Im Wortlaut – aus dem IASTEC-Positionspapier „Technische, regulatorische und gesellschaftliche Herausforderungen der Mobilität in den kommenden Jahrzehnten“

Die International Scientific Association of Sustainable Drivetrain and Vehicle Technology Research, IASTEC (in Gründung) ist ein internationaler Zusammenschluss von Professoren und Forschern die weltweit an renommierten Universitäten in der Fahrzeug- und Antriebsstrangforschung tätig sind. Der Zweck der IASTEC ist die Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Fahrzeug- und Antriebstechnik. Die Mitglieder entwickeln innovative Fahrzeugkonzepte und -systeme sowie verschiedene nachhaltige Antriebsstrangtechnologien (batterieelektrische Fahrzeuge, Brennstoffzellenfahrzeuge und Motorentechnik für CO2-neutrale reFuels, das sind synthetische strombasierte eFuels sowie biogene Kraftstoffe, auch bekannt als als bioFuels) und fördern ein CO2-neutrales Mobilitätssystem der Zukunft ohne fossile Energieträger und fossiler Energieversorgung. Mit diesem Positionspapier adressieren die Unterzeichner die dringende Notwendigkeit der Technologieoffenheit für Antriebs Technologieoffenheit für den Antrieb von Landfahrzeugen, um die CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern global und schnell zu reduzieren. Das Positionspapier richtet sich an politische Entscheidungsträger, Investoren, aber auch an interessierte Bürger.

Kernaussagen und Schlussfolgerungen dieses Positionspapiers:

  1. Kurzfristig muss die automobile Antriebstechnik in der Lage sein, höchste CO2-Reduktionspotenziale schnell zu erreichen, damit die Anforderungen des Pariser Klimaabkommens eingehalten werden können. Gleichzeitig werden Energiespeicher und Antriebe noch längerfristig weiterentwickelt werden, was eine Abstimmung der kurzfristigen Antriebstechnik mit diesen zukünftigen Entwicklungen erfordert. Diese Herausforderungen können nur mit einem an die jeweilige Anwendung angepassten Technologiemix optimal bewältigt werden.
  2. Die Förderung der batteriegestützten Elektromobilität, vor allem für die urbane Mobilität, ist eine wichtige Komponente. Weitere wertvolle technologische Potenziale dieser Antriebstechnologie müssen erschlossen werden.
  3. Die Brennstoffzellentechnologie wird weltweit und insbesondere in Asien weiterentwickelt. Auch hier ist eine weitergehende Unterstützung von Forschung und Entwicklung in Europa notwendig. Die globalen Hürden, die für eine erfolgreiche Massenproduktion dieser Technologie (und für die Schaffung einer Betankungsinfrastruktur) bleiben anspruchsvoll.
  4. Der Verbrennungsmotor (ICE) ist ein effizienter Energiewandler zu vernünftigen Kosten und hat noch ein hohes Potenzial für weitere Verbesserungen. Der ICE ist durchaus einen geringen CO2-Fußabdruck aufweisen, wenn er mit CO2-neutralen flüssigen Kohlenwasserstoff-Kraftstoffen anstelle von erdölbasierten Kraftstoffen betrieben wird.
  5. Es mehren sich die Befürchtungen, dass die derzeit ausgearbeiteten CO2-Vorschriften der Zukunft nicht die Empfehlungen des IPCC (Intergovernmental Panel of Climate Change) zur schnellen CO2-Emissionsminderung bestmöglich unterstützen. Eine unnötige Belastung für das verbleibende CO2-Budget wird für charakteristische Anwendungen erwartet.
  6. Es besteht das Potenzial für eine erhebliche CO2-Emissionsreduktion im Verkehrssektor, ohne dass die Abschaffung des Verbrennungsmotors erforderlich ist. Der Punkt, der in den aktuellen Regelungen übersehen wird, ist, dass nicht der Verbrennungsmotor die Hauptursache für CO2-Emissionen ist, sondern die Kraftstoffe, die darin verbrannt werden. Der Ersatz von flüssigen Kohlenwasserstoff-Kraftstoffen auf Basis fossiler Brennstoffe durch CO2-neutrale reFuels hat das Potenzial, die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs in Deutschland deutlich zu reduzieren – in einer progressiven Art und Weise (steigende reFuels-Beimischungsrate im Laufe der Jahre), ohne die Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Infrastruktur für die Kraftstoffverteilung und -lieferung. Diese Lösung könnte eine Elektrofahrzeugstrategie begleiten und die CO2-Reduktion des Transportsektors unterstützen.
  7. Die derzeitige Regelung führt zur zwangsläufigen Nutzung von PHEV oder BEV, auch dort, wo sie weder zu CO2-Vorteilen noch zu Kundenvorteilen führen. Daher ist die zentrale Forderung dieses Positionspapiers daher, politische Rahmenbedingungen vorurteilsfrei und technologieoffen zu formulieren und alle Technologiepfade zu unterstützen, die zu einer effektiv bewerteten Gesamt-CO2-Minderung führen und damit zu einer minimalen CO2-Belastung des verbleibenden Budgets beitragen können.
  8. Mobilität, Verkehr und Energieversorgung bilden die wesentlichen Eckpfeiler einer prosperierenden, offenen und
    resilienten Gesellschaft. Technologischer Wettbewerb und eine sektorübergreifende, ganzheitliche Systembetrachtung sind entscheidende Faktoren für die Entwicklung eines optimalen Gesamtsystems.

Kritik

Wie schon in der NOx– und Feinstaub-Debatte zeitigte die öffentliche Aktion starke Kritik, so etwa auf der ZDF-Internetseite: Im Berliner Tagesspiegel sagte Christian Rehtanz von der Technischen Universität Dortmund: „Der Brief ist hochgradig peinlich“. Er sei ein Lobbyistenschreiben zur Rettung der Kolbenmaschinen, die CO2-Emissionen aus der Elektromobilität würden aber nur sehr grob und unzureichend bewertet. „Es wird behauptet, dass viele Studien so vorgehen. Welche das sind, wird nicht gesagt“, kritisiert Rehtanz.

Rehtanz kreidet aber auch der Politik Defizite an. Wenn der Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht Schritt halte mit dem schnellen Hochlauf der Elektromobilität, brauche man künftig deutlich mehr fossilen Strom und erreiche weniger CO2-Minderungen. In diesem Zusammenhang kritisiert Rehtanz auch die derzeitige Wasserstoff-Politik.

„Die zu Grunde liegende Publikation entspricht weder den üblichen Modellierungsansätzen noch den üblichen Bewertungsmaßstäben“, sagt Creutzig. „Die dargestellten Resultate haben keinen Einfluss auf die moderne Energiesystem-Modellierung“, sagt Jan Wohland von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Modelle würden entstehende CO2-Emissionen räumlich und zeitlich hoch aufgelöst abbilden, der als zu niedrig kritisierte Mittelwert der Emissionen habe keine Bedeutung.

Koch ist kein Unbekannter: Im Sommer 2017 hatte Koch im Verein mit Lungenärzten eine Debatte über NOx und Feinstaub losgetreten, die Kopfschütteln in der seriösen Wissenschaft auslöste (andere nannten es „Hexenjagd“): Die Angaben von WHO, EU und Umweltbundesamt zu gesundheitlichen Gefahren durch Luftverschmutzung seien falsch, behauptete Koch damals im Verein mit 114 Lungenfachärzten und löste starken Protest aus. Sehr wahrscheinlich enthielten die wissenschaftlichen Daten, die zu den scheinbar hohen Todeszahlen führten, einen systematischen Fehler. Eine genaue Analyse der Daten ergebe, dass diese „extrem einseitig interpretiert“ worden, „immer mit der Zielvorstellung, dass Feinstaub und NOx schädlich sein müssen“.

Auch Martin Wietschel vom Fraunhofer ISI kritisiert (laut ZDF) den Brief. Der Inhalt sei insgesamt keineswegs neu, sondern wohlbekannt. Der Strommix, also die Verwendung von Durchschnittsemissionen, sei wissenschaftlicher Standard in der Ökobilanzierung. E-Fuels aber sind von der ganzen Problematik (noch) stärker betroffen. Synthetische Kraftstoffe auf Strombasis brauchen pro gefahrenem Pkw-Kilometer fünfmal so viel Strom, sind damit deutlich schlechter sogar im Vergleich zu konventionellen Kraftstoffen und auch weit schlechter als E-Autos, die mit einem Mix aus konventionellem und grünem Strom geladen werden. Hinrich Helms Iifeu) meint denn auch, mit dem aktuellen Strommix verbrauche ein E-Auto heutzutage schon weniger als ein sparsamer Diesel.

Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research in Duisburg glaubt, dass die Briefschreiber „an der Vergangenheit festhalten“ wollten. Wenn er das Wort „Technologieoffenheit“ höre, mutmaße er, dass man noch länger dem fossilen Verbrennungsmotor die Stange halten wolle.

Der Verband der deutschen Automobilindustrie, VDA, sei „ähnlich unterwegs“, und auch im neuen Wahlprogramm der Union werde der Diesel „noch heilig gesprochen“. Die SPD und die Gewerkschaften seien irgendwo zwischendrin, weil sie keine Arbeitsplätze und Wähler verlieren wollten.

->Quellen (Auswahl):