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Kraemer in IPG: EU-Taxonomie untergräbt Glaubwürdigkeit

„Auch wenn die EU-Kommission Atomstrom fortan als ’nachhaltig‘ bezeichnet: Er rechnet sich nicht“, schreibt R. Andreas Kraemer, Direktor der Fundação Oceano Azul in Lissabon und Gründer des Ecologic Institute in Berlin im Journal für Internationale Politik und Gesellschaft (IPG). Amory Lovins*), der Vordenker der Energiewende, habe die Argumente aktuell noch einmal zusammengetragen, und das Ergebnis sei eindeutig: „Atomstrom ist schlecht fürs Klima und fürs Portemonnaie.“ Die EU-Taxonomie soll ein Wegweiser für Investoren und Kreditgeber sein. Unternehmen und Projekte, die nicht den Nachhaltigkeitskriterien entsprechen, bergen gewisse Risiken.

AKW Cruas an der Rhone, Frankreich – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Kraemer: Die Taxonomie soll dabei helfen, Investitionen so zu lenken, dass sie ökologisch und sozial zukunftssicher sind und mit ihnen somit auf lange Sicht Gewinne erzielt werden können. Es ist offensichtlich, dass neue Investitionen in Atomstrom oder fossile Energien nicht nachhaltig sind – so offensichtlich, dass ihre Einstufung als „nachhaltig“ die Glaubwürdigkeit der gesamten EU-Taxonomie untergräbt und sie in ihrer Lenkungswirkung spürbar schwächt.

*) Der Grenzertrag der Kernenergie sei trotz Deregulierung und Megasubventionen auf unter 0,5 % des Weltmarktes geschrumpft, sagt der Physiker Amory B. Lovins, außerordentlicher Professor für Bau- und Umwelttechnik an der Stanford University, in einem Artikel unter der Überschrift „Warum Kernenergie schlecht für den Geldbeutel und fürs Klima ist“ auf Bloomberg Law, warum die Kernenergie nicht die Antwort auf den Klimawandel ist, sondern ihn aufgrund der Opportunitätskosten des Klimas sogar noch verschlimmert.
„Braucht der Klimaschutz mehr Atomstrom?“ fragt Lovins rhetorisch. „Nein – ganz im Gegenteil“, lautet seine Antwort. Denn:. „Um den meisten Kohlenstoff einzusparen, braucht man nicht nur Generatoren, die keine fossilen Brennstoffe verbrennen, sondern auch solche, die mit dem geringsten Kosten- und Zeitaufwand eingesetzt werden können. Und das ist die Kernenergie nicht.“
Entsprechend sei die Atomkraft auch auf dem absteigenden Ast:  Weltweit wurden 2020 nur 0.4 Gigawatt Atomkraft zugebaut, gegenüber
278,3 GW bei den Erneuerbaren; ein schlagender Hinweis – „782 Mal mehr Kapazität, mit der etwa 232 Mal mehr Strom produziert werden kann“, rechnet Lovins vor. Und noch ein vernichtendes Rechenexempel: „Die erneuerbaren Energien erhöhten das Angebot und verdrängten alle 38 Stunden so viel Kohlenstoff wie die Kernkraft im ganzen Jahr. Anfang Dezember sieht die Bilanz für 2021 so aus: Kernkraft -3 GW, erneuerbare Energien +290 GW. Das Spiel ist aus.“

Kraemer: Die Feinabstimmung der EU-Taxonomie für nachhaltiges Finanzwesen wäre eigentlich eine Sache für Expertinnen und Experten gewesen – und ganz bestimmt nicht für die große Politik. Nicht politisches Verhandlungsgeschick, sondern Sachverstand und nachprüfbare Kriterien sollten entscheiden, welche wirtschaftlichen Aktivitäten, welche Branchen und Technologien nachhaltig sind. Frankreich und Deutschland schicken sich derweil an, das wichtige Instrument der Taxonomie als zukunftsweisendes und gestaltendes Politikprojekt der EU vorsätzlich und aus niederen Motiven vor die Wand zu fahren. Die Europäische Kommission kann im Grunde nicht anders als dabei aktiv zu helfen. Denn so wollen es die Europäischen Verträge.

Unterschiedlicher deutsch-französischer Hintergrund

Frankreichs bestehende Atomkraftwerke sind in wirtschaftlicher Not. Es braucht eine europäische Lösung und eine atomfreundliche Erzählung, um aus dem Schlamassel zu kommen. Wenigstens bis zur Präsidentschaftswahl im April 2022 muss Präsident Emanuel Macron als starker Mann in Europa und erfolgreicher Verfechter französischer Interessen dastehen.

Deutschland hat sich beim Einsatz von klimaschädlichem fossilen Methan-Gas verrannt und steht wegen der Russland-freundlichen Energiepolitik und Nord Stream 2 mit dem Rücken zur Wand. In der Ostsee und auf der Krim wird derzeit die unter Willy Brandt begonnene Ostpolitik nach dem Motto „Wandel durch Handel“ ad absurdum geführt. Die SPD kann wohl nicht anders. Frankreich und Deutschland unterstützen sich gegenseitig – zum Schaden Europas.

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