Koexistenz von Zugvögeln und Windrädern

„Flug in eine saubere und sichere Zukunft“

Energie aus Wind oder Sonne sind Schlüssel im Kampf gegen die Klimakrise. Doch Vögel und andere fliegende Tiere können mit den Rotorblättern der Windräder kollidieren und sterben. Ist die Windkraft dann als Eckpfeiler einer globalen Politik für saubere Energie überhaupt geeignet? Forschende des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz und der University of East Anglia in Norwisch/England haben nun in zwei Studien detaillierte GPS-Daten zum Flugverhalten von Vogelarten geliefert, die immer wieder mit Windrädern kollidieren.

Störche nahe bei Windpark – Foto © m. frdl. Genehmigg. Alejandro Onrubia, MPG

Eine groß angelegte Untersuchung von 1454 Vögeln aus 27 Arten hat Hotspots in Europa identifiziert, in denen Vögel durch Windkraftanlagen und Stromleitungen besonders gefährdet sind. In der zweiten Studie wurde das Flugverhalten von Vögeln in der Nähe von Windrädern näher untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass Vögel die Turbinen in einer Entfernung von einem Kilometer umfliegen. Die beide Studien liefern die Daten, die für den Ausbau erneuerbarer Energien mit minimalen Auswirkungen auf die Tierwelt erforderlich sind.

Viele Länder der Erde haben sich verpflichtet, von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umzustellen. Die europäische Onshore-Windenergiekapazität wird sich bis 2050 voraussichtlich fast vervierfachen, und auch Länder im Nahen Osten und in Nordafrika, wie Marokko und Tunesien, haben sich zum Ziel gesetzt, den Anteil der Onshore-Windenergie an der Stromversorgung zu erhöhen.

„Wir wissen aus früheren Untersuchungen, dass es mehr geeignete Standorte für den Bau von Windrädern gibt, als wir für eine klimaneutrale Energieerzeugung benötigen“, berichtet Jethro Gauld, Doktorand an der School of Environmental Sciences der University of East Anglia und Hauptautor der im Journal of Applied Ecology*) open access erschienen Studie. „Wenn wir die Risiken für die Biodiversität wie zum Beispiel das Kollisionsrisiko für Vögel in einem frühen Stadium des Planungsprozesses besser einschätzen können, können wir die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Tierwelt begrenzen und gleichzeitig unsere Klimaziele erreichen.“

Kollisions-Hotspots in Europa

Ein internationales Team von 51 Forschern aus 15 Ländern, darunter Forschende des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz, haben die Gebiete ermittelt, in denen Vögel besonders empfindlich auf den Bau von Onshore-Windkraftanlagen oder Stromleitungen reagieren würden. Die gesammelten GPS-Daten umfassen 1.454 Vögel aus 27 Arten, vor allem große Segelflieger wie Weißstörche. Das Risiko war bei den einzelnen Arten unterschiedlich hoch, wobei der Löffler, der Uhu, der Singschwan, der iberische Kaiseradler und der Weißstorch zu den Arten gehören, die durchweg in Höhen mit Kollisionsrisiko flogen. Die Studie hat mit Hilfe von GPS-Ortungsdaten aus 65 Studien herausgefunden, wo die Vögel am häufigsten in gefährlicher Höhe fliegen (10 bis 60 Meter über dem Boden für Stromleitungen und 15 bis 135 Meter für Windkraftanlagen).

„Die GPS-Ortung liefert sehr genaue Daten über den Standort und die Flughöhe, die durch direkte Beobachtung nicht ermittelt werden können, vor allem nicht über große Entfernungen“, sagt Martin Wikelski, Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und Mitautor beider Studien. In dieser Studie wurden zum ersten Mal GPS-Daten von derart vielen Arten zusammengeführt, um ein umfassendes Bild davon zu erhalten, wo Vögel gefährdet sind.

Die Gefährdungskarten zeigen, dass sich die Kollisionsschwerpunkte besonders auf wichtige Zugrouten entlang der Küsten und in der Nähe von Brutplätzen konzentrieren. Dazu gehören die westliche Mittelmeerküste Frankreichs, Südspanien und die marokkanische Küste sowie die Meerenge von Gibraltar, Ostrumänien, die Sinai-Halbinsel und die deutsche Ostseeküste. Den Autoren zufolge sollte der Bau neuer Windkraftanlagen und Hochspannungsleitungen in diesen hochsensiblen Gebieten auf ein Minimum beschränkt werden. Sollte sich der Bau neuer Anlagen nicht verhindern lassen, müsste er von Maßnahmen zur Verringerung des Risikos für die Vögel begleitet werden müssen.

Verhalten in der Nähe von Windrädern

GPS-Daten liefern jedoch nicht nur Informationen über den Standort und die Flughöhe der Vögel, sondern verbessern auch die Planung der Energieinfrastruktur. „Mit der GPS-Ortung können wir genau verstehen, wie sich die Vögel verhalten, wenn sie in die Nähe der Turbinen fliegen“, sagt Carlos Santos vom MPI für Verhaltensbiologie und der Bundesuniversität von Pará in Brasilien und Erstautor der in Scientific Reports**) erschienen Untersuchung. „Zu wissen, wie nah sie fliegen und ob Wind oder andere Faktoren ihr Flugverhalten beeinflussen, kann dazu beitragen, die Kollisionsrate zu verringern, denn so können neue Windparks entsprechend geplant werden.“

Besondere Aufmerksamkeit richteten die Forschenden auf den Schwarzmilan, einen sehr häufigen Greifvogel, der die Straße von Gibraltar überfliegt. „Die Straße von Gibraltar ist das wichtigste Nadelöhr für den Vogelzug in Westeuropa, aber auch ein Hotspot für Windparks“, erklärt Santos. „Auf Basis von Schätzungen einer anderen Studie zu Kollisionen und der Anzahl der derzeit in der Region Tarifa betriebenen Windrädern gehen wir davon aus, dass jedes Jahr mehr als hundert Gänsegeier sowie Dutzende von Schlangenadlern und Turmfalken sterben. Dies sind die Vogelarten, die am häufigsten durch Kollisionen mit Windkraftanlagen in dieser Region sterben.“

Schwarzmilane weichen Windrädern aus

In einer weiteren Studie haben Forschende die GPS-Daten von 126 Schwarzmilanen beim Anflug auf Windkraftanlagen untersucht. Die Daten zeigten, dass die Vögel nicht direkt bis zu den Windrädern fliegen. Vielmehr beginnen die Vögel den Windrädern in einem Kilometer Entfernung auszuweichen. Wenn der Wind in Richtung der Windräder weht, sind die Ausweichbewegungen der Vögel 750 Meter von einem Windrad entfernt noch größer. „Die Vögel erkennen also die Gefahr, die von den Windkraftanlagen ausgeht, und halten einen entsprechenden Sicherheitsabstand zu ihnen ein“, sagt Santos.

Den Autoren zufolge ist es äußerst schwierig, GPS-Daten über die Interaktion zwischen Vögeln und Turbinen zu sammeln. „Man muss viele Tiere mit Sendern ausstatten, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, ihr Verhalten in der Nähe der Turbinen zu erfassen. Deshalb ist unser Datensatz so ungewöhnlich. Glücklicherweise werden GPS-Tracking-Studien immer häufiger durchgeführt, und wir hoffen, dass wir in naher Zukunft solche Daten auch für andere Vogelarten sammeln können“, so Santos.

Wie Vögel Windkraftanlagen wahrnehmen und welche Faktoren ihre Wahrnehmung abschwächen oder verbessern, soll dazu beitragen, Regionen für Windparks zu identifizieren, die die Tiere minimal gefährden. Darüber hinaus lassen sich damit wirksame Abschreckungsmaßnahmen entwickeln.

*)Zusammenfassung aus Journal of Applied Ecology

  1. Windturbinen und Stromleitungen können durch Kollisionen oder Stromschläge zum Tod von Vögeln führen. Die Auswirkungen von Energieinfrastrukturen auf die biologische Vielfalt können durch eine wirksame landschaftsbezogene Planung und Schadensbegrenzung minimiert werden. Die Identifizierung besonders gefährdeter Gebiete ist dringend erforderlich, um potenzielle kumulative Auswirkungen von EI zu bewerten und gleichzeitig den Übergang zu kohlenstofffreier Energie zu unterstützen.
  2. Wir haben GPS-Positionsdaten von 1.454 Vögeln aus 27 kollisionsgefährdeten Arten in Europa und Nordafrika gesammelt und Gebiete identifiziert, in denen die erfassten Vögel am stärksten gefährdet sind, mit bestehenden EI zu kollidieren. Die Empfindlichkeit gegenüber der Entwicklung von EI wurde für Windturbinen und Stromleitungen geschätzt, indem der Anteil der GPS-Flugpositionen in Höhen berechnet wurde, in denen die Vögel kollisionsgefährdet waren, und die spezifische Kollisionsanfälligkeit der Arten berücksichtigt wurde. Wir kartierten den maximalen Wert der Kollisionsempfindlichkeit für alle Arten in jeder 5 × 5 km großen Gitterzelle in Europa und Nordafrika. Die Kollisionsanfälligkeit wurde durch Überlagerung der Empfindlichkeitsflächen mit der Dichte von Windturbinen und Hochspannungsleitungen ermittelt.
  3. Ergebnisse: Das Risiko variierte bei den 27 Arten, wobei einige Arten durchweg in Höhen flogen, in denen sie kollisionsgefährdet sind. In den Gebieten mit ausreichenden Verfolgungsdaten in Europa und Nordafrika wurden 13,6 % der Fläche als hochempfindlich gegenüber Windkraftanlagen und 9,4 % als hochempfindlich gegenüber Hochspannungsleitungen eingestuft. Die empfindlichen Gebiete konzentrierten sich auf wichtige Migrationskorridore und entlang der Küsten. Hotspots der Anfälligkeit für Kollisionen mit Windturbinen und Hochspannungsleitungen (Daten von 2018) waren über die gesamte Untersuchungsregion verstreut, wobei die höchsten Konzentrationen in Mitteleuropa, in der Nähe der Meerenge von Gibraltar und des Bosporus in der Türkei auftraten.
  4. Synthese und Anwendungen. Wir identifizieren die Gebiete in Europa und Nordafrika, die für die spezifischen Vogelpopulationen, für die ausreichende GPS-Tracking-Daten mit hoher räumlicher Auflösung verfügbar waren, am empfindlichsten sind. Darüber hinaus kartieren wir Gefährdungsschwerpunkte, an denen Maßnahmen zur Verringerung des Kollisionsrisikos an bestehenden EI Vorrang haben sollten. Mit zunehmender Verfügbarkeit von Ortungsdaten könnte unsere Methode auf weitere Arten und Gebiete angewendet werden, um Konflikte zwischen Vögeln und EI zu verringern.

**)Zusammenfassung aus: Scientific Reports

Die Windenergieerzeugung hat sich als Alternative zu kohlenstoffemittierenden fossilen Brennstoffen etabliert, hat jedoch Auswirkungen auf wild lebende Tiere, die behoben werden müssen. Zugvögel zeigen besorgniserregende Kollisionsraten mit den Rotorblättern von Windkraftanlagen und den Verlust von kritischen Lebensräumen. Wie diese Vögel mit Windkraftanlagen interagieren, ist jedoch kaum bekannt. Wir haben Hochfrequenz-GPS-Tracking-Daten von 126 Schwarzmilanen (Milvus migrans) analysiert, die sich in der Nähe von Windkraftanlagen bewegten, um Verhaltensmechanismen zur Vermeidung von Turbinen und deren Wechselwirkung mit Umweltvariablen zu ermitteln. Vögel, die in einem Umkreis von 1.000 m um die Turbinen und unterhalb der Höhe der Rotorblätter flogen, orientierten sich seltener an den Turbinen als zufällig zu erwarten wäre, wobei dieses Muster bei Entfernungen von weniger als 750 m noch auffälliger war. Vögel, die über den Turbinen flogen, änderten ihre Flugrichtung nicht in Abhängigkeit von der Nähe der Turbinen. Geschlecht und Alter der Vögel, die Aufwindbedingungen und die Höhe der Turbinen hatten keinen Einfluss auf die Flugrichtung, obwohl diese Faktoren als wichtige Faktoren für die Kollision von Vögeln mit Turbinen genannt wurden. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass ziehende Schwarzmilane das Vorhandensein von Windkraftanlagen erkennen und sich so verhalten, dass sie ihnen ausweichen. Dies könnte erklären, warum diese Art weniger Kollisionen mit Windkraftanlagen aufweist als andere Segelflugvögel. Künftige Studien sollten klären, ob das Turbinenvermeidungsverhalten auch bei anderen Segelflugvögeln anzutreffen ist, insbesondere bei solchen, die eine hohe Sterblichkeitsrate aufgrund von Kollisionen aufweisen.

->Quellen: