Glatte „Sechs“ vom Klimarat für Wissings Klima-Notfallplan

„Schon im Ansatz ohne Anspruch“

Die Notfallpläne, mit denen die zuständigen Minister den Gebäude- und Verkehrssektor auf den Weg zur Klimaneutralität bringen sollten und wollten, haben ihre Ziele verfehlt – so der Experten-Klimarat der Bundesregierung. Laut SPIEGEL kassiert Wissing (FDP) „eine glatte Sechs“, Bauministerin Geywitz (SPD) kommt mit einer „Vier“ (im klassischen Notenspiegel „ausreichend“) nicht sonderlich ruhmreich davon. Der Teil des Gutachtens über das Verkehrsprogramm umfasst ganze vier Seiten, hinter mehr als 60 Seiten zur Prüfung des zeitgleich vorgelegten Programms für den Gebäudebereich.

Kommen in Wissings Werk kaum vor: Diesel-Auspuff – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für für Solarify

Im Jahr 2021 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, der schwarz-rote Klimaschutz verstoße gegen die verfassungsmäßigen Rechte der jüngeren Generationen. Um bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen, hat die CDU/CSU-SPD-Vorgängerregierung die Emissionen in mehrere Sektoren aufgeteilt. Die Bereiche, die jährliche Ziele verfehlen, müssen Notfallpläne vorlegen. Im Juli stellte die Regierung Pläne für die Sektoren Gebäude und Verkehr vor, die anschließend von dem eingesetzten Expertenrat geprüft wurden. Dieser befand sie jetzt für unzureichend.

Wissings Plan in Not

Brigitte Knopf, Generalsekretärin der Denkfabrik MCC und stellvertretende Leiterin des Expertenrats, präzisierte das eigentlich vernichtende Urteil am 25.08.2022 sehr sachlich: „Nach Angaben des Verkehrsministeriums spart das Sofortprogramm für den Verkehrssektor nur 14 Megatonnen Treibhausgasemissionen ein. Rein rechnerisch besteht bis 2030 noch eine Lücke von 261 Megatonnen“. Eine schallende Ohrfeige. Die Experten hatten schnell festgestellt, Wissings Klimaplan habe zwar „emissionsmindernde Wirkungen“, erfülle aber die Anforderungen des deutschen Klimaschutzgesetzes bei weitem nicht. Deshalb prüfte der Klimarat den Verkehrs-Notfallplan nicht einmal im Detail.

Der am 13.07.2022 von Wissing vorgelegte Notfallplan des Verkehrsministeriums konzentriert sich auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge, die Verbesserung der Fahrradinfrastruktur und eine Attraktivitätsteigerung des öffentlichen Nahverkehrs. Er versprach, 13 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einzusparen. Das Verkehrsministerium hofft zudem, dass der systemübergreifende Ansatz der Regierung in Sachen Klimaschutzgesetz die Defizite ausgleichen könne. Laut Berechnungen der Bundesregierung müssen zwischen 2022 und 2030 insgesamt 271,4 MT CO2 eingespart werden, das zweiseitige Pseudo-Sofortprogramm des Verkehrsministers erreicht bis 2030 bestenfalls 14 MT CO2.

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) reagierte trocken: „Wir sind in der Pflicht, das Sofortprogramm Klimaschutz bis Ende September zu verabschieden. Alle Sektoren müssen ihren Beitrag leisten, sonst werden wir die Klimaziele nicht erreichen“, erklärte er.

Kann Wunder, dass die Klima-Aktivisten nicht mit starken Verdikten sparen: Der „Bundesverkehrsminister blamiert sich“, kommentierte die Umweltorganisation NABU. „Das Urteil ist zu Recht vernichtend: Die von Verkehrsminister Wissing vorgeschlagenen Klimamaßnahmen werden von der Expertenkommission gar nicht weiter geprüft, weil sie völlig unzureichend sind“, sagte NABU-Geschäftsführer Leif Miller. Das von Verkehrsminister Wissing vorgelegte Sofortprogramm leiste nicht einmal fünf Prozent dessen, was notwendig wäre und verfehle die Klimaschutzvorgaben des Sektors in den kommenden Jahren. Dementsprechend sieht der Expertenrat auch von einer weiteren Prüfung ab.

Nikolas von Wysiecki, NABU-Verkehrsreferent: „Die FDP ignoriert weiter probate Mittel wie eine Änderung der Dienstwagenbesteuerung. Hochmotorisierte Dienstwagen machen zwei Drittel der Neuzulassungen aus. Andere Europäische Länder haben so die Emissionen ihrer Neuwagenflotte massiv senken können.”

Die deutsche Umwelthilfe (DUH) nannte das Experten-Gutachten „ein vernichtendes Zeugnis“. Die Stellungnahme hebe hervor, das  Programm entspreche den rechtlichen Vorgaben des Klimaschutzgesetzes nicht und habe eine deutliche Überschreitung der erlaubten Jahresemissionsmengen im Verkehr zur Folge. Bereits am 24.08.2022 habe die DUH bekannt gegeben, dass sie gegen das gesetzeswidrige Programm für den Verkehrssektor klagen werde. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch hält Wissings „Programm für „klar gesetzeswidrig“. Denn es erreiche „nur ein Zwanzigstel der gesetzlich vorgeschriebenen CO2-Einsparung bis 2030. Resch weiter: „Da sich offensichtlich auch in dieser Bundesregierung Klimaschutz nur über die Gerichte durchsetzen lässt, ziehen wir nun vor das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Ein gesetzeskonformes Klimaschutz-Sofortprogramm kommt nicht aus ohne Tempolimit, Stopp der Dienstwagen-Förderung gerade bei besonders spritdurstigen Fahrzeugen und einen massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Bahn inklusive 365-Euro-Klimaticket.“

Gebäudesektor etwas besser benotet

Der Plan der Berliner Regierung, die Defizite im Gebäudesektor zu beheben, wurde im Vergleich dazu positiver aufgenommen, auch wenn es weiterhin große Vorbehalte gibt. „Rein rechnerisch würde der Gebäudesektor sein Emissionsziel bis 2030 erreichen, wenn die von den Ministerien genannten Treibhausgaseinsparungen in vollem Umfang erreicht würden“, sagt Hans-Martin Henning, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE und Vorsitzender des Klimabeirats. „Ob die Einsparungen tatsächlich in diesem Umfang realisiert werden können, erscheint nach unserer Prüfung jedoch fraglich“, fügte er hinzu. Der Notfallplan für den Gebäudesektor sieht eine Zielverfehlung bis zum Jahr 2028 vor. Danach sollte der Sektor durch erhebliche Reduzierungen in der Lage sein, sein Ziel für 2030 zu erreichen.

Ein solcher Ansatz berge ein „erhöhtes Risiko, das Ziel zu verfehlen“, da die Verschiebung der Emissionsminderung auf das Ende des Jahrzehnts bedeute, dass das deutsche Klimagesetz verletzt werde, wenn die vom Ministerium versprochenen Reduktionen nicht erreicht würden.  „Insgesamt wird daher die Einhaltung der klimaschutzrechtlichen Anforderungen durch das Sofortprogramm nicht sichergestellt“, so das Fazit des Sachverständigenrates. Konkret kritisieren die Expertn, dass die Regierung auf die Umsetzung sogenannter „Mindeststandards für die Gesamtenergieeffizienz“ setzt, welche die Europäische Kommission im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) für 2021 vorgeschlagen hat.

DER SPIEGEL abschließend: „Zwar gerieten die Ampelpartner zuletzt über praktisch jeden Vorschlag in Streit, der zum Klimaschutz im Verkehr beitragen könnte – ob in der Reform der Dienstwagenbesteuerung, der Pendlerpauschale, der Förderung von Bus und Bahn oder auch beim von vornherein ausgeschlossenen Tempolimit. Der Expertenrat erwarte jedoch weiterhin, dass die Regierung einen Plan vorlege, um wieder auf den Klimapfad zurückzukehren, so Henning und Knopf. Dann eben in einem umfassenden Herbstpaket.“

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