Bundesbeauftragten für Erneuerbare Energien berufen!

Vorschlag von Eurosolar

Der Vorsitzende des Vorstands der deutschen Sektion von EUROSOLAR, Axel Berg, fordert gemeinsam mit Prof. Eicke R. Weber und Hans-Josef Fell in einem Brief an Bundesenergieminister Robert Habeck noch in diesem Jahr das Amt einer/s Bundesbeauftragen für Erneuerbare Energien der Bundesregierung einzuführen – so eine Medienmitteilung von Eurosolar vom 02.09.2022. Solarify dokumentiert.

PV und Wind in Brandenburg – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Sehr geehrter Herr Bundesminister Habeck,

vor dem Hintergrund der derzeitigen Energiekrise und dem weit unter den Möglichkeiten bleibenden Ausbau der Erneuerbaren Energien als entscheidende Lösungsstrategie tragen die Autoren dieses Briefes Eicke R. Weber, Axel Berg und Hans-Josef Fell, den Vorschlag an Sie heran, noch in diesem Jahr das Amt einer/s Bundesbeauftragen für Erneuerbare Energien in der Bundesregierung einzuführen. Bereits unter der rot-grünen Koalition wurde die Forderung nach einer/m Bundesbeauftragten für Erneuerbare Energien politisch erhoben, konnte aber durch die frühzeitige Auflösung der damaligen Koalition nicht realisiert werden.

Verschiedene wissenschaftlicher Machbarkeitsstudien zeigen, dass eine Vollversorgung mit 100% Erneuerbare Energien bis 2030 in allen Energiesektoren verwirklichbar ist und damit echter Klimaschutz, bezahlbare Energiepreise und vor allem Unabhängigkeit von geopolitisch gefährlichen Energielieferungen insbesondere von Russland erreicht werden kann. Doch die heutige Ausbaugeschwindigkeit der Erneuerbaren Energien ist weit unter dem, was einst bis 2012 möglich war. Sie kann und muss aber erheblich beschleunigt werden.

Ein/e Bundesbeauftragte/r für Erneuerbare Energien würde die großen Hemmnisse angehen, die sich
im bestehenden Gesetzesrahmen, auch nach der Verabschiedung des Osterpakets lähmend zum Ausbau der Erneuerbare Energien sind.

Tausende Einzelvorschriften, ein gesetzlicher Paragraphendschungel, Verordnungen, Normungs- und
Zertifizierungsvorschriften und insbesondere strukturelle Veränderungen, wie die Umstellung auf Ausschreibungen, statt der erfolgreichen festen Einspeisevergütung, haben das seit 2000 angestoßene exponentielle Wachstum jäh gestoppt

Durch die fachliche Hilfe und Durchgriffsmöglichkeiten einer/s Bundesbeauftragten für Erneuerbare
Energien können auch kurzfristig Hemmnisse identifiziert und ausgeräumt werden, was die im
bevorstehenden Winter drohende fossil-atomare Energienot abmildern würde.

Im Folgenden wird die Begründung für die Notwendigkeit dieses Amtes unter Bezugnahme auf die
größten Versäumnisse der energiepolitischen Vergangenheit dargestellt:

Begründung

Die Angst vor Energieengpässen im kommenden Winter und darüber hinaus in Deutschland und der
EU ist groß.

Präsident Putin benutzt Erdgas als politische Waffe, weil er es kann. In den letzten Jahren wurde entgegen aller Mahnungen von Klimaschützer*innen und geopolitischen Berater*innen in Deutschland und der EU eine immer stärkere Abhängigkeit von russischem Erdgas, Erdöl, Kohle und atomaren Brennelementen geschaffen.

Gleichzeitig wurde unter 16 Jahren Kanzlerschaft von Frau Merkel das von Rot-Grün – insbesondere mit dem EEG 2000 – auf den Weg gebrachte exponentielle Wachstum der Erneuerbaren Energien jäh gestoppt: Zuerst der Ausbau der Biokraftstoffe ab 2007 und ab 2012, wie auch in den folgenden Jahren Stück für Stück schließlich alle Bereiche des Ökostroms: Solar, Wind, Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie. Der Ausbau der Erneuerbare Energien im Wärme- und Verkehrssektor ist kaum erfolgt.

Statt einer klimaschützenden Selbstversorgung mit 100% Ökostrom, die mit dem unter Rot-Grün angestoßenen und fortlaufendem exponentiellem Ausbau in Deutschland bereits heute möglich wäre, sehen wir eine fatale Abhängigkeit von ausländischen fossilen Energielieferungen. Diese bringt uns immer schneller in die Nähe einer unbeherrschbaren Heißzeit, führt in Kriege, in denen auch Energie als Waffe missbraucht wird und ruft geopolitische Spannungen sowie soziale und wirtschaftliche Nöte wegen hoher fossiler und atomarer Energiepreise hervor.

Sämtliche Lösungsansätze innerhalb der fossilen und atomaren Energieversorgung sind zum Scheitern verurteilt. LNG kommt meist aus Fracking-Regionen und ist damit klimaschädlicher als Kohle und darüber hinaus höchst gesundheitsschädlich. Zudem ist zu befürchten, dass auch die LNG-Lieferländer keineswegs die weltweit gestiegene Nachfrage werden stillen können, sodass auch neue LNG-Terminals nicht als echte Hilfe zu bewerten sind. Das weltweite Angebot an fossilen und atomaren Rohstoffen kann nur marginal erhöht werden, da insbesondere die großen erschlossenen Erdölfelder längst ihren Förderhöhepunkt überschritten haben. Somit läuft auch die Strategie der Diversifizierung von fossilen und atomaren Energielieferländern ins Leere. Neue Abhängigkeiten und damit neue geopolitische Spannungen sind vorgezeichnet. Menschrechtsfragen und Demokratie werden bei der Auswahl neuer Lieferländer oft hintangestellt – dem Primat der Energiebeschaffung werden andere existenzielle politische Ziele oftmals untergeordnet. Dabei werden rechtsstaatliche, demokratische Grundprinzipien gerade in den jüngst von der Bundesregierung angesprochenen neuen Lieferländern mit Füßen getreten oder gar Kriegs- und Terrorfinanzierung mit unseren Energielieferungen ermöglicht, wie beispielsweise in Saudi-Arabien, Katar, Libyen, Aserbeidschan, Nigeria, Kolumbien.

Der einzige Ausweg ist die schnellstmögliche Umstellung auf eine Vollversorgung mit 100% Erneuerbaren Energien, am besten bis 2030. Energieeinsparung kann und muss den Weg dorthin unterstützen. Doch genau dieser Weg zu 100% Regenerativen Energien bis 2030 wurde unter Kanzlerin Merkel verhindert.

Seit 2010 wurde mit vielen Novellen des EEG und EnWG ein überdimensionierter Bürokratieapparat aufgebaut, den niemand mehr vollständig überblicken kann. Tausende Einzelvorschriften, ein gesetzlicher Paragraphendschungel, Verordnungen, Normungs- und Zertifizierungsvorschriften und insbesondere strukturelle Veränderungen, wie die Umstellung auf Ausschreibungen, statt der erfolgreichen festen Einspeisevergütung, haben das seit 2000 angestoßene exponentielle Wachstum jäh gestoppt. Eine Industriepolitik, die etwa für neue Fabriken zur Produktion von Solar- und Windkraftanlagen, neue Speicherfertigung und Wärmepumpen sorgen würde, gab es nicht. Eine durchaus möglich erschienene Umstellung auf 100% Ökostrom bis 2020 wurde so verhindert. Ohne die immer stärker aufgebauten enormen Bremsen könnten wir heute bereits bei 100% Ökostromversorgung stehen, anstatt der erreichten 50%. Präsident Putin hätte dann keine Chance, uns wirtschaftlich zu erpressen und auch das Klima wäre geschützt.

Im Rahmen der Ampelkoalition haben Sie mit der Verabschiedung des EEG 2023 versucht, entsprechende Hemmnisse auszuräumen und haben damit auch schon einiges erreicht. Jedoch ist der bürokratische Umfang kaum kleiner geworden, von einer wirklichen Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien mit exponentiellen Wachstumsgeschwindigkeiten sind wir noch weit entfernt. Ein Beschleunigungsgesetz, wie das für den Ausbau neuer LNG-Terminals, ist es jedenfalls nicht geworden.

Erschwerend kommt hinzu, dass in den Bundesministerien weitgehend noch die gleichen Beamt*innen arbeiten, die im Auftrag ihrer vorherigen Minister*innen seit Jahren den Niedergang und Bürokratieaufbau der Erneuerbaren Energien organisierten. Vielfach gilt offensichtlich das kluge Wort von Hermann Scheer: „Wer ein Problem geschaffen hat, kann es nicht lösen.“ Das Umweltministerium hat die Konflikte zwischen Artenschutz und Erneuerbaren Energien noch nicht so gelöst, dass deren Ausbau schnell möglich ist. Noch immer gibt es große rechtliche Hürden in den Bereichen Naturschutz, Denkmalschutz, Landschaftsschutz, militärische Sicherung, Steuerrecht, Verkehrsrecht, Bauordnungen, Landwirtschaftsrecht, Normungsrecht u.a. Die dringend notwendige Sektorenkopplung – also das Eindringen des Ökostromes in den Gebäude-, Verkehrs- und Industriesektor – kommt nur schleppend voran, weil übergreifende Politikansätze für Ministerien schwierig sind. Ferner kommt der Netzausbau vor allem auf Verteilnetzebene nicht mit der notwendigen Geschwindigkeit voran.

Vor diesem Hintergrund sind wir mit den Erfahrungen der rot-grünen Koalition und auch aus der Wissenschaft der klaren Auffassung, dass es an einer Stelle in der Bundesregierung, fehlt, die den Ausbau der Erneuerbaren Energien als zentrales, ministeriell übergreifendes Aufgabenfeld koordiniert: Der/ Dem Bundesbeauftragten für 100% Erneuerbare Energien.

Schon unter Rot-Grün wurde die Forderung nach einer/m Bundesbeauftragten für Erneuerbare Energien politisch erhoben. Die Realisierungschancen standen damals gar nicht schlecht, wenn nicht Kanzler Schröder, heutiger Lobbyist für russische Energie, die rot-grüne Koalition fast eigenmächtig frühzeitig aufgelöst hätte.

Wir empfehlen dringend der Ampelkoalition, spätestens im September diesen Jahres das Amt eines mit qualifiziertem Personal ausgestatteten Bundesbeauftragten für 100% Regenerative Energien zu schaffen. Durch die Hilfe und Durchgriffsmöglichkeiten eines derartigen Amtes können auch kurzfristig Hemmnisse identifiziert und ausgeräumt werden, die noch im kommenden Winter helfen, die fossil-atomare Energienot zu mildern. Dazu gehört unbürokratische Hilfe beim Anschluss bereitstehender Solar- und Windkraftanlagen sowie Hilfe bei der Planung und Genehmigung neuer Anlagen. Bereits 2023 wären dann gute Gesetzes-Novellen vorzulegen und durchzusetzen, die das Bürokratiemonster aus EEG und EnWG entschärfen und den einst erfolgreichen, exponentiellen Ausbau der Regenerativen Energien insbesondere mit Hilfe bürgerlicher Investitionen wieder auf Erfolgskurs setzen.

Mit diesem wichtigen Ansatz können 100% Erneuerbare Energien bis 2030 in allen Energiesektoren
entsprechend vorliegender wissenschaftlicher Machbarkeitsstudien verwirklicht werden und mit ihnen Klimaschutz, bezahlbare Energiepreise und vor allem Unabhängigkeit von geopolitisch gefährlichen Energielieferungen. Darüber hinaus wird Deutschland eine international bedeutende, führende Rolle in der Transformation des Energiesystems zu Erneuerbare Energien übernehmen, zusammen mit Kalifornien in den USA, China, Costa Rica und vielen anderen Ländern, die zum Teil auf diesem Weg bereits deutlich weiter sind als wir.

Wir bitten Sie, diese Punkte in der weiteren Diskussion zu berücksichtigen.

Wir würden uns freuen, darüber mit Ihnen in eine vertiefende Diskussion zu kommen und stehen für
einen Austausch jederzeit gerne zur Verfügung.

Dieser Brief wurde ebenfalls an Bundeskanzler Olaf Scholz sowie Bundesfinanzminister Christian Lindner versandt.

Herzliche Grüße

Autoren

Hans-Josef Fell war von 1998 bis 2013 MdB für Bündnis 90/ Die Grünen und ist Co-Autor des Entwurfs des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) von 2000. Er war Sprecher für Forschung, Technologie und Energie in der grünen Bundestagsfraktion. Heute setzt sich Fell international wie national weiter als Präsident der Energy Watch Group und Grünen-Mitglied für 100% Erneuerbare Energien und wirksamen Klimaschutz ein.

Eicke R. Weber, Mitglied der FDP, ist seit 1983 Professor für Materialwissenschaften in Berkeley, Kalifornien. Von Juli 2006 bis Dezember 2016 leitete er das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg und gleichzeitig eine Professur an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er war Gründungspräsident des Bundesverbands für Energiespeicher BVES, und ist seit 2020 Co-Chair des European Solar Manufacturing Councils ESMC.

Axel Berg ist Mitglied der SPD und seit 2009 Vorsitzender des Vorstands der deutschen Sektion
von Eurosolar. Er war von 1998-2009 Bundestagsabgeordneter. Von 2000-2002 hatte er
die Funktion des Obmanns der SPD-Bundestagsfraktion in der Enquête-Kommission Nachhaltige
Energieversorgung und ab 2006 war er stellvertretender Sprecher der Fraktionsarbeitsgruppe Energie.

->Quelle: EUROSOLAR.de/vorschlag-zur-einfuehrung-einer-s-bundesbeauftragten-fuer-erneuerbare-energien