„Diskurse des Nichthandelns“

Wie Reiche ihren CO2-intensiven Lebensstil rechtfertigen

Britische Forscher haben nachgefragt, wie Reiche ihre Untätigkeit in Sachen Klimaschutz begründen. Wohlhabende verbrauchen überproportional viel Energie und haben oft einen vergleichsweise großen CO2-Fußabdruck. Eine kürzlich in Energy Research & Social Science veröffentlichte Studie hat sich diese Gruppe in Großbritannien genauer angesehen. Die Wissenschaftler haben untersucht, mit welchen Strategien Reiche ihren klimaschädlichen Lebensstil rechtfertigen – und leiten daraus politische Empfehlungen ab.

Hummer Stretch-Limousine vor Kunstkademie Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Die Wissenschaftler der University of Leeds befragten für ihre qualitative Studie 30 Personen: „Dabei war uns wichtig, dass sie nicht in sehr alten Häusern mit schlechter Isolierung leben oder an Orten, die eine schlechte Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel haben, dass sie also nicht aufgrund äußerer Bedingungen eine schlechte Klimabilanz haben“, sagt der an der Untersuchung beteiligte Soziologe Noel Cass, der an der Studie mitarbeitete. Mit den Ausgewählten führte das Forschungsteam Interviews und Diskussionsrunden.

Wie rechtfertigen Reiche ihren CO2-Fußabdruck?

Menschen mit geringem CO2-Verbrauch begründen ihre Untätigkeit oft damit, dass andere, etwa Vielverbraucher oder die Politik, die größere Verantwortung trügen. Wohlhabende nutzen dagegen neben üblichen Rechtfertigungen ganz eigene Argumentationsmuster und Narrative…

Zusammenfassung

In der Literatur über Klimaschutzmaßnahmen wird die Bedeutung von Verhaltensänderungen bei Einzelpersonen und Haushalten hervorgehoben, um die Energienachfrage zu senken und Klimaziele zu erreichen. Die Verhaltensänderung erfolgt jedoch nur langsam. In der Literatur werden zahlreiche strukturelle und individuelle Hindernisse für eine Verhaltensänderung hervorgehoben, aber die Frage, wie Energieverbraucher selbst die Fortsetzung ihres Verhaltens rechtfertigen, ist nach wie vor kaum verstanden. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit dieser Frage, indem er eine eingehende Analyse der Diskurse vornimmt, die Einzelpersonen zur Rechtfertigung und Normalisierung ihres hohen Energieverbrauchs einsetzen.

Zunächst wird eine Typologie der „Diskurse des Nichthandelns“ erstellt, die wir auf der Grundlage einer Reihe von Veröffentlichungen erwarten könnten. Anschließend werden die Daten von 30 Tiefeninterviews mit Personen aus Haushalten mit hohem Energieverbrauch sowie von vier deliberativen Workshops mit einer Teilstichprobe dieser Personen und mit der Öffentlichkeit analysiert, die durchgeführt wurden, um die Durchführbarkeit und Fairness politischer Optionen zur Reduzierung des hohen Energieverbrauchs zu untersuchen

„Diskurse des Nichtstuns“ – Wünsche sind „Bedürfnisse“ und Privilegien „Glück“ oder „Anspruch“

Die Analyse zeigt, wie Einzelpersonen bereits anerkannte „Diskurse des Nichtstuns“ einsetzen. Darüber hinaus werden neue „diskursive Strategien des Anspruchs“ identifiziert: subtile rhetorische Strategien zur Rechtfertigung ihres kohlenstoffreichen Lebensstils und ihrer Untätigkeit. Zu diesen neu identifizierten diskursiven Strategien gehört vor allem die Darstellung von Entscheidungen als determiniert, von Wünschen als „Bedürfnissen“ und von Privilegien als „Glück“ oder „Anspruch“, insbesondere durch den Einsatz von Humor und Ironie. Wir erörtern, wie diese „Anspruchsdiskurse“ die vorherrschenden politischen Ansätze zur Verhaltensänderung widerspiegeln, und schlagen politische Ansätze vor, die den hohen Energieverbrauch wirksamer eindämmen können.

Ohne eine Verringerung der Energienachfrage ist es unwahrscheinlich, dass die Klimaziele des Pariser Abkommens erreicht werden können, die eine Verringerung der Emissionen auf 1,4 t CO2e/Person bis 2030 und 0,7 t CO2e/Person bis 2050 erfordern. Änderungen im Verhalten der Menschen, damit verbundene soziale Praktiken und Lebensstilentscheidungen sind der Schlüssel zur Senkung der Energienachfrage. Allerdings sind diese Verhaltensänderungen bisher nur langsam vorangeschritten. In der bisherigen Literatur wurden die zahlreichen Gründe für das unzureichende Umweltverhalten der Menschen untersucht, aber welche Diskurse die Menschen selbst zur Rechtfertigung ihres Handelns, insbesondere bei hohem Energieverbrauch, verwenden, ist nach wie vor kaum bekannt.

In Anlehnung an eine breitere Definition des Begriffs Diskurs verwenden wir den Begriff, um die Sprache zu bezeichnen, die Menschen verwenden, um ihre Handlungen gegenüber anderen zu kommunizieren und zu rechtfertigen. Im Rahmen unserer Untersuchung wurden Verbraucher mit hohem Energieverbrauch zu ihrem Lebensstil befragt und Einblicke in die Art und Weise gewonnen, in der sie verschiedene Diskurse (und diskursive Strategien) zur Rechtfertigung ihres Verhaltens einsetzen. Darüber hinaus wurden mögliche politische Ansätze zur Verringerung des (besonders hohen) Energieverbrauchs erörtert, was eine weitere Verwendung von Diskursen bei der Diskussion über Verhaltensänderungen ergab.

Es ist wichtig, diese Diskurse zu verstehen, damit Klimaschützer, Bürgerinitiativen und politische Entscheidungsträger Wege finden können, sie in Frage zu stellen und Gegendiskurse und politische Maßnahmen zu entwickeln, die die hohe Energienachfrage und die daraus resultierenden Emissionen wirksam reduzieren.

Meinungsumfragen zufolge halten 78 % der Europäer den Klimawandel für ein sehr ernstes Problem, und 90 % von ihnen sind der Meinung, dass die Kohlenstoffemissionen reduziert werden sollten, um bis 2050 ein kohlenstoffneutrales oder Netto-Null-Ziel zu erreichen. Im Vereinigten Königreich ergab eine vom Centre for Climate Change and Social Transformations in Auftrag gegebene Umfrage für das Jahr 2021, dass 83 % der Befragten über den Klimawandel besorgt sind, 63 % glauben, dass das Vereinigte Königreich seine Auswirkungen bereits zu spüren bekommt, 79 % wissen über das Netto-Null-Ziel für 2050 Bescheid und 54 % sind der Meinung, dass dieses Ziel vor diesem Zeitpunkt erreicht werden muss. Gleichzeitig gibt es deutliche Unterschiede beim Energieverbrauch und den Emissionen der Haushalte, die mit dem Einkommen korrelieren.

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass materiell wohlhabende Menschen einen unverhältnismäßig hohen Energieverbrauch und unverhältnismäßig hohe Emissionen haben und für unverhältnismäßig viele der klimaschädlichsten individuellen Verhaltensweisen wie übermäßiges Autofahren und häufiges Fliegen verantwortlich sind. Daher könnte eine Verringerung des Energieverbrauchs durch diejenigen, die am meisten Energie verbrauchen, den größten Beitrag zum Klimaschutz leisten, und die Untätigkeit dieser Gruppen ist dementsprechend hinderlich. Darüber hinaus wurde der historische Anstieg des Verbrauchs fossiler Brennstoffe bis 2000 (im Vereinigten Königreich) eher auf Freizeit und Unterhaltung sowie Pendler- und Geschäftsreisen zurückgeführt als auf die Befriedigung grundlegender materieller Bedürfnisse, was darauf hindeutet, dass Rechtfertigungen für diese spezifischen Praktiken in den Berichten von Energieverbrauchern eine wichtige Rolle spielen könnten. Der strategische Einsatz von Diskursen trägt also dazu bei, dass insbesondere Personen mit hohem Energieverbrauch ihren Lebensstil und damit auch ihren Energieverbrauch rechtfertigen und normalisieren können.

Unseres Wissens ist dies die erste Studie, die explizit untersucht, wie Energieverbraucher eine Vielzahl von Diskursen einsetzen, um ihren energieintensiven Lebensstil und ihre Untätigkeit zu rechtfertigen und zu normalisieren. Zunächst untersuchen wir prominente öffentliche Diskurse, die als Argumente für die Verzögerung kollektiver Maßnahmen gegen den Klimawandel dienen (d. h. Diskurse über Verzögerung und Mythen der Nachhaltigkeit), die Literatur über Verhaltensänderungen, die Hindernisse für umweltfreundliches Handeln aufzeigen (wir wandeln diese Erklärungen in Diskurse des Idealtyps“ um), sowie die Literatur über den diskursiven Umgang mit kognitiver Dissonanz. Auf der Grundlage dieses Überblicks erstellen wir eine Typologie von „Untätigkeitsdiskursen“, von denen wir erwarten können, dass sie von Einzelpersonen eingesetzt werden. Anschließend werden das Projekt „High Energy Consumers“ und seine Datenerhebungs- und Analysemethoden vorgestellt und die Ergebnisse zu den von den Befragten und Workshop-Teilnehmern verwendeten Diskursen, einschließlich neuartiger „diskursiver Strategien des Anspruchs“, präsentiert, bevor die Implikationen für Politik und Forschung zur Reduzierung des hohen Energieverbrauchs aufgezeigt werden.

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