„Atomenergie zu teuer, zu gefährlich und blockiert künftige gesicherte Energieversorgung“

In Deutschland werden die letzten drei Kernkraftwerke abgeschaltet – Stellungnahme von Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im DIW Berlin

Das Kapitel Atomenergie sollte in Deutschland am 15.04.2023 endlich beendet werden. Die derzeit noch laufenden letzten drei Atomkraftwerke produzieren weniger als fünf Prozent der Stromerzeugung in Deutschland. Deutschland kann problemlos die restlichen Atomkraftwerke abschalten, ohne dass die Lichter ausgehen. Dies wäre auch schon am 1. Januar 2023 möglich gewesen. Der vergangene Winter hat gezeigt, dass die Gefahr eines Blackouts nie bestand. Der geringe Beitrag der Stromproduktion durch Atomkraftwerke sorgt weder für sinkende Strompreise noch für sinkende Emissionen – so die Einleitung von Claudia Kemfert zu einem Kurzgutachten des DIW-Berlin im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion unter dem Titel „Ökonomische Aspekte der Atomkraft“.

AKW Grafenrheinfeld – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Ein von einigen geforderter Neubau von Atomkraftwerken würde Jahrzehnte dauern, wäre enorm teuer und ohne staatliche Subventionen nicht finanzierbar. Auch die nun versprochene angeblich neue Atomtechnik von kleinen Reaktoren entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Fata Morgana. Der Blick nach Frankreich zeigt zudem: Atomkraft ist keine zuverlässige Energiequelle. Mehr als die Hälfte der dortigen AKW war wegen verschiedener Probleme zeitweise nicht am Netz. Deshalb musste Deutschland Frankreich mit Strom aushelfen – nicht umgekehrt.

Der Neubau von Kernkraftwerken ist aus ökonomischer Perspektive keine sinnvolle Möglichkeit zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit Energie.

Atomstrom ist extrem teuer, würde man allein die externen Kosten wie für die Endlagerung einrechnen. Erneuerbare Energien und Windstrom sind deutlich billiger. Daher sollte das Kapitel Kernenergie mit dem Abschalten der letzten drei Atomkraftwerke am 15. April 2023 endlich geschlossen werden. Der Rückbau der Anlagen wird noch Jahrzehnte dauern, der Atommüll wird für Jahrtausende eingelagert werden.  Der Betrieb der Anlagen hat bereits den Umstieg zu erneuerbaren Energien behindert, da Atomkraftwerke zu unflexibel sind in der Kombination mit erneuerbaren Energien und der Weg nicht frei gemacht wird für eine echte Energiewende mit erneuerbaren Energien. Es ist Zeit, die Kraftwerke endlich abzuschalten und die endlosen Gespenster- und Zirkeldebatten zur Atomenergie zu beenden. Um es zusammenfassend zu sagen: Atomenergie ist zu teuer, zu langsam, zu gefährlich und blockiert die zukünftige gesicherte Energieversorgung.

Angesichts der dringend notwenigen Reduzierung von CO2-Emissionen wird Atomenergie immer wieder als Ersatz für fossile Energieträger ins Spiel gebracht. Eine DIW-Studie kommt zu dem Schluss, dass das auch aus ökonomischer Sicht Unsinn ist. Weil Deutschland so schnell wie möglich wegwill von klimaschädlichen Emissionen, sehen manche Politiker Atomenergie als sinnvolle Alternative zu Kohle, Gas und Öl. Von einer weiteren Laufzeitverlängerung war zwischendurch die Rede, manche hatten sogar den Bau neuer Atomkraftwerke gefordert. Ob das ökonomisch Sinn hätte, haben nun Forscher der Technischen Universität Berlin und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Grünen Bundestagsfraktion untersucht. Und in ihrer Studie „Ökonomische Aspekte der Atomkraft“ fällen sie ein eindeutiges Urteil: Atomkraft sei im Vergleich zu anderen Energieträgern zu teuer. „Eine Gesamtbewertung des Systems Atomkraft ergibt heute dasselbe Ergebnis wie auch in den letzten Jahrzehnten: Selbst bei Vernachlässigung externer Kostenfaktoren (…) ist der Bau und der Betrieb von Kernkraftwerken nicht ökonomisch, und es gab und gibt kostengünstigere Alternativen.“ (n-tv.de/Studie-Atomkraft-ist-schlichtweg-zu-teuer)

DIW-Untersuchung: „Ökonomische Aspekte der Atomkraft“ –  Zusammenfassung

Im Kontext der Abschaltung der letzten Kernkraftwerke in Deutschland werden die ökonomi-schen Perspektiven dieser Technologie kontrovers diskutiert. Dieses Kurzgutachten beleuchtet ökonomische Aspekte der Atomkraft im engeren Sinne. Es erfolgt eine Bewertung ökonomischer Aspekte des Systemgutes Atomkraft, also der vorgelagerten Prozesse (Rohstoffabbau bis Brennelementeherstellung), dem Bau bzw. dem Betrieb von Kernkraftwerken sowie der nachgelagerten Prozesse (Rückbau und Entsorgung radioaktiver Abfälle). In diesen Ausführungen werden Umwelt- und Risikoaspekte sowie andere Externalitäten, wie Proliferationsrisiken, welche die ökonomische Gesamtbewertung des Systemgutes Atomkraft noch weiter in die Höhe treiben würden, explizit ausgenommen.

Der Anteil von Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung ist 2021 erstmals seit Jahrzehnten unter 10% gefallen und wird in Zukunft weiter abnehmen. Atomkraft war seit Beginn des Atomzeitalters eine der teuersten Energieformen und zu keiner Zeit wettbewerbsfähig mit kostengünstigeren Technologien, wie historisch, zum Beispiel Kohle oder Erdgas, und heute erneuerbaren Energien. Bereits in den 1950er Jahren waren die ersten kommerziellen Kernkraftwerke (wie z.B. Calder Hall (UK) und Shippingport (USA)) beinahe sechs Mal teurer als damalige konventionelle Energie. Heute liegen die Gestehungskosten („levelized costs of electricity“) von Strom aus Kernkraftwerken im Bereich von 160 USD/MWh, Erneuerbare wie Wind und Sonne dagegen unter 50 USD/MWh.

Derzeit sind weltweit etwa 50 Kernkraftwerke im Bau, davon sind viele verspätet. Erfahrungsgemäß wird auch ein erheblicher Anteil der Bauprojekte nicht zu Ende geführt. Die jüngsten, wenigen Neubauprojekte in Europa und den USA waren bzw. sind mit erheblichen Zeitverzögerungen und Kostenüberschreitungen verbunden. Das jüngst fertiggestellte Projekt in Olkiluoto (Finnland) wurde mit zehnjähriger Verspätung und deutlich erhöhten Baukosten von ca. 7.600 USD/kW baulich fertiggestellt, konnte jedoch aufgrund bereits aufgetretener Schäden zum Stand März 2023 noch nicht in den kommerziellen Leistungsbetrieb gehen. In Flamanville (Frankreich) wird seit Jahren an einem baugleichen Reaktor gebaut, dessen Fertigstellung immer wieder verschoben wird und mittlerweile Kosten von 12.600 USD/kW erreicht hat. Auch die Projekte Hinkley Point C (England) oder Vogtle (USA) erleben ähnliche Entwicklungen. In
Ökonomische Aspekte der Atomkraft allen vier Beispielen liegen die anfallenden Investitionskosten um ein Vielfaches oberhalb von Werten, bei denen sich theoretisch eine betriebswirtschaftliche Rentabilität ergeben könnte.

Energiesystemmodellierungen zeigen, dass der die Umstellung des Energiesystems auf 100% erneuerbare Energien die kostengünstigste Erreichung von Klimaschutzzielen ermöglicht. Ver-sprechungen von Kostenreduktionen von Kernkraftwerken durch Lerneffekte konnten nicht eingehalten werden. Im Gegensatz zu den standardisierbaren Produktion wie PV-Panel und Mikrochips sind die Investitionskosten von Kernkraftwerken in den letzten Jahrzehnten nicht gesunken, sondern vielmehr angestiegen. Ein Grund dafür waren die in der Nachkriegszeit vernachlässigten Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke, die schrittweise angepasst werden mussten; hierzu kamen Erkenntnisse aus Unfällen, die die Atomwirtschaft seit den 1950er Jahren begleiten. Diese Erkenntnis findet sukzessiven Anklang in Klimaszenarien und Energiesystemmodellierungen, für die Annahmen bezüglich der zukünftigen Kostenentwicklung und Verfügbarkeit von Atomkraft an reale Erfahrungen angepasst werden.

Auch der Betrieb bzw. Laufzeitverlängerungen sind mit Kosten und Unsicherheiten verbunden, insbesondere bei älteren Kernkraftwerken. Entwicklungen in den USA und in Frankreich zeigen, dass ältere Kernkraftwerke in Strommärkten nicht wettbewerbsfähig mit anderen Energieträgen sind und nur durch Subventionen am Netz erhalten werden können. Auch in Deutschland wäre eine Laufzeitverlängerung (jenseits des Streckbetriebs von 3,5 Monaten in 2023) nur mit einer Verstaatlichung der kommerziellen Risiken möglich gewesen.

Der Rückbau von Kernkraftwerken und die Endlagerung radioaktiver Abfälle bringen erhebliche weitere Kosten mit sich, welche in gewöhnlichen Kostenrechnungen bisher vernachlässigt wurden. Tatsächlich benötigt der Rückbau hohe Finanzierungsmittel und Rückbauprojekte laufen teilweise über Dekaden. Umgerechnet müssten auf Baukosten bei optimistischen Annahmen über 1.000 Euro/kW aufgeschlagen werden. Auch in Deutschland zeichnen sich Ver-spätungen der Rückbauprozesse ab, für die beim Staat bzw. den Steuerzahlenden zusätzliche Kosten entstehen dürfte. Bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle werden weltweit Finanzierungsrisiken vergesellschaftet, weil sich die Zeiträume und die Komplexität der Verfahren systematisch erhöhen. Weltweit ist noch kein einziges Endlager in Betrieb. Auch in Deutschland ist aufgrund der Verschiebung des Entsorgungsprozesses bis mindestens die erste Hälfte des 22. Jahrhunderts mit Finanzierungslücken zu rechnen.

Eine wirtschaftliche Gesamtbewertung des Systems Atomkraft ergibt heute dasselbe Ergebnis wie auch in den vergangenen Jahrzehnten: Selbst bei Vernachlässigung erheblicher externer Kostenfaktoren wie Umweltschäden und Sicherheitsrisiken ist der Bau und Betrieb von Kernkraftwerken für die Dekarbonisierung von Energiesystemen weder wirtschaftlich noch wettbewerbsfähig gegenüber kostengünstigeren Alternativen, insbesondere 100% auf erneuerbare Energien basierende Systeme.

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