CO2-Ausgleich durch Waldschutz massiv überschätzt

Science: Maßnahmen erforderlich, damit Kohlenstoffausgleich aus Walderhaltung zur Eindämmung des Klimawandels beiträgt

CO2-Kompensation durch Waldschutz im Rahmen von „REDD+“-Projekten ist laut einer Untersuchung in Science von sehr geringem Nutzen. „Ineffektiv für den Klimaschutz, aber ökonomisch effektiv für die Betreiber“, resümierte laut der österreichischen Nachrichtenagentur APA etwa der deutsche Weltforstwirtschafter Michael Köhl von der Universität Hamburg angesichts des Ergebnisses, wonach nur etwa sechs Prozent der CO2-Zertifikate aus den untersuchten Projekten auch wirklich für vermiedene Emissionen stehen.

Yanomami-Maloca Demini im Regenwald bei Boavista, Roraima – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Nur ein Bruchteil der CO2-Zertifikate aus Waldschutz-Projekten basiert auf nachweisbar vermiedenen Emissionen – der Rest dürfte wertlos oder überbewertet sein, zeigt die Studie in Science. Gründe für die falschen Berechnungen im freiwilligen Emissionshandel sind laut den Forschenden fragwürdige Vergleichsmaßstäbe und Fehlanreize.

REDD-Projekte (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) sollen die Kohlenstoffemissionen aus Wäldern verringern, um andere Kohlenstoffemissionen auszugleichen, und werden häufig als Gutschriften für die Berechnung von Kohlenstoffemissionsbudgets geltend gemacht, schreibt Science-Redakteur H. Jesse Smith. Die Autoren des Berichts „Maßnahmen sind erforderlich, damit Kohlenstoffausgleiche aus der Walderhaltung zur Eindämmung des Klimawandels beitragen“ haben die tatsächlichen Auswirkungen dieser Projekte mit messbaren Ausgangswerten verglichen und festgestellt, dass die meisten von ihnen die Entwaldung nicht signifikant reduziert haben, und dass die Vorteile derjenigen, die dies taten, wesentlich geringer waren als behauptet (siehe Perspektive von Jones und Lewis). Die meisten REDD-Projekte sind also weniger vorteilhaft, als oft behauptet wird.

Kohlenstoffkompensationen aus freiwilligen Projekten zur Vermeidung von Entwaldung werden auf der Grundlage der Leistung im Verhältnis zu den Ex-ante-Basiswerten der Entwaldung generiert. Wir untersuchten die Auswirkungen von 26 solcher Projektstandorte in sechs Ländern auf drei Kontinenten unter Verwendung synthetischer Kontrollmethoden für kausale Schlussfolgerungen. Wir haben festgestellt, dass die meisten Projekte die Entwaldung nicht signifikant reduziert haben. Bei den Projekten, bei denen dies der Fall war, waren die Reduzierungen wesentlich geringer als behauptet. Dies spiegelt die Unterschiede zwischen den Ex-ante-Basislinien der Projekte und den Ex-post-Kontrafaktizitäten wider, die sich aus der beobachteten Entwaldung in den Kontrollgebieten ergeben. Die Methoden zur Erstellung von Entwaldungs-Baselines für Klimaschutzmaßnahmen müssen dringend überarbeitet werden, um die reduzierte Entwaldung korrekt den Projekten zuzuordnen und so sowohl Anreize für den Waldschutz als auch die Integrität der globalen Kohlenstoffbuchhaltung zu wahren.

Betreiber solcher Waldprojekte sind Regierungen und lokale Gemeinden im Globalen Süden in vorwiegend tropischen Ökosystemen. Das dahinterstehende Konzept wurde 2005 bei den UNO-Verhandlungen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) diskutiert. Das hehre Ziel war es, Wälder als Speicherort für Kohlenstoff finanziell attraktiv zu machen. Finanziert werden diese Projekte von Industriestaaten.

18 Projekte untersucht

Insgesamt 26 derartiger Projekte in Südamerika, Afrika und Asien – allesamt vom US-amerikanischen Unternehmen Verra zertifiziert – wurden für die Studie untersucht, letztendlich konnten jedoch tatsächlich nur 18 ausgewertet werden, bei den acht anderen mangelte es an ausreichend öffentlich zugänglichen Informationen. „Wir haben festgestellt, dass die meisten Projekte die Entwaldung nicht signifikant verringert haben. Bei den Projekten, bei denen dies der Fall war, waren die Reduzierungen wesentlich geringer als behauptet“, lautet dabei das ernüchternde Resultat.

Die Studienautorinnen und Studioautoren unter Leitung von Thales A. P. West (Universität Cambridge) wählten für jedes untersuchte Projekt Kontrollflächen mit ähnlichen Eigenschaften wie etwa der historischen Abholzungsrate, die aber im Gegensatz zur Projektfläche nicht unter Schutz gestellt war. Am Beispiel von Peru ergab sich eine durchschnittliche Einschränkung des Waldverlusts im Zeitraum von über zehn Jahren von einem Viertelprozent (0,24) – das entspricht einer vermiedenen Entwaldung von 686 Hektar pro Jahr. Noch schlechter sah es in Kolumbien aus, wo ganze 0,03 Prozent oder 49 Hektar pro Jahr an Waldverlust vermieden wurde. Die gesamte Waldfläche in Peru betrug laut Weltbankdaten vom 2020 insgesamt 72.330.400 Hektar, jene in Kolumbien 59.141.900 Hektar.

Zwei Milliarden Euro umfasst der weltweite Kompensationsmarkt inzwischen – und ist wahrscheinlich ein gigantischer Fake. Mehr als 90 % der von Unternehmen am häufigsten genutzten Kompensationszertifikate sind wahrscheinlich „Phantomgutschriften“, die keine echten Kohlenstoffreduzierungen bewirken. Das wirft Fragen zu den Gutschriften auf, die von einer Reihe international bekannter Unternehmen erworben werden – einige von ihnen haben ihre Produkte als „klimaneutral“ bezeichnet oder ihren Verbrauchern gesagt, sie könnten fliegen, neue Kleidung kaufen oder bestimmte Lebensmittel essen, ohne die Klimakrise zu verschärfen. (solarify.eu/analyse-enthuellt-mehr-als-90-co2-kompensationen-wertlos)

Projektbetreiber suchen sich Referenzflächen selbst aus

Die Ineffektivität der „REDD+“-Projekte scheint laut dem Experten Köhl jedenfalls prolongiert: „Solange Projektbetreiber ihre Referenzflächen selbst auswählen können, wird sich daran nichts ändern“, sagte er gegenüber dem Science Media Center (SMC) Deutschland. Laut SMC stehen Zertifikate aus dem Waldschutz schon lange in der Kritik, ihre Emissionseinsparungen stark zu überschätzen. „Den Marktstandards des freiwilligen Kohlenstoffmarktes fehlen unabhängige Instanzen, die die Ergebnisse der Auditierung überwachen. So kann die bewusste Überschätzung der Entwaldungsraten vor der Projektintervention nicht ausgeschlossen werden“, erläuterte Jonas Hein vom deutschen IDOS-Institut. Bei Kompensationsprojekten des Kyotoprotokolls wären die Standards hingegen besser, nachdem hier zusätzliche Prüfungen stattfinden.

Insgesamt scheint die Rolle der Wälder im Klimaschutz etwas überschätzt, so kam das deutsche Öko-Institut vor zwei Jahren zu dem Schluss, dass die EU-Kommission noch einmal darüber nachdenken sollte, die Klimaleistung von Wäldern (und Mooren) auf das EU-Klimaziel 2030 anzurechnen. Zu groß seien die Unsicherheiten in Zeiten von Hitzeperioden und Waldbränden – eine Aussage, die sich in diesem Sommer bestätigt hat. Eine weitere Hiobsbotschaft lieferte zudem eine aktuelle Nature-Studie, laut der eine zunehmende Erderhitzung gerade im tropischen Raum die Fähigkeit der Pflanzenwelt zur Photosynthese zum Verschwinden bringt – und damit jene zur CO2-Speicherung:

Die kritische Temperatur, bei der die Photosynthesefunktion tropischer Bäume zu versagen beginnt, liegt bei durchschnittlich 46,7° C (Tcrit). Es ist jedoch nach wie vor unklar, ob sich die Blatttemperaturen der tropischen Vegetation diesem Schwellenwert nähern oder infolge des Klimawandels bald nähern werden. Wir haben herausgefunden, dass die unabhängig voneinander aus einzelnen Blatt-Thermoelementen, Pyrgeometern und Fernerkundung (ECOSTRESS) berechneten Temperaturen in tropischen Baumkronen während Trockenperioden Mittagsspitzentemperaturen von etwa 34° C aufweisen, mit einer langen Hochtemperaturspirale, die 40° C überschreiten kann. Daten von Blatt-Thermoelementen aus mehreren Standorten in den Tropen deuten darauf hin, dass selbst in Pixeln mit moderaten Temperaturen die Blätter der oberen Baumkronen 0,01 % der Zeit den Tcrit-Wert überschreiten. Darüber hinaus führten Experimente zur Erwärmung der Blätter der oberen Baumkronen (+2, 3 bzw. 4° C in Brasilien, Puerto Rico und Australien) zu einem nichtlinearen Anstieg der Blatttemperaturen, wobei die Spitzenwerte der Blatttemperaturen in 1,3 % der Fälle Tcrit überstiegen (11 % bei mehr als 43,5° C und 0,3 % bei mehr als 49,9° C). Unter Verwendung eines empirischen Modells, das diese Dynamik einbezieht (validiert mit Daten aus Erwärmungsexperimenten), fanden wir heraus, dass tropische Wälder bis zu einem Anstieg der Lufttemperaturen um 3,9 ± 0,5° C standhalten können, bevor ein potenzieller Kipppunkt in der Stoffwechselfunktion erreicht wird, aber die verbleibende Unsicherheit in Bezug auf die Plastizität und den Bereich von Tcrit bei tropischen Bäumen und die Auswirkung des Absterbens von Blättern auf das Absterben von Bäumen könnte diese Vorhersage drastisch verändern. Der geschätzte Wert von 4,0° C liegt innerhalb des „Worst-Case-Szenarios“ (repräsentativer Konzentrationspfad -RCP- 8,5) der Klimawandelvorhersagen für tropische Wälder, und daher liegt es immer noch in unserer Macht, über das Schicksal dieser kritischen Bereiche von Kohlenstoff, Wasser und biologischer Vielfalt zu entscheiden (z. B. indem wir nicht den RCP 6,0 oder 8,5 wählen).

->Quellen: