Regierung will Klimaschutzgesetz „nachbessern“

Protest der Klimaschutzverbände gegen Auflösung der Sektorverbindlichkeit

Mit dem „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG)“ (20/8290) will die Bundesregierung die Steuerungsmechanismen des KSG verbessern – so der parlamentseigene Pressedienst heute im bundestag am 13.09.2023. Wie aus der Begründung zum Entwurf hervorgeht, hätten sich seit Inkrafttreten des Gesetzes am 12. Dezember 2019 in der Praxis Schwierigkeiten bei der Anwendung insbesondere des Nachsteuerungsmechanismus des Paragrafen 8*) gezeigt. Zudem enthalte das KSG aktuell keine Vorgabe, bei bereits absehbaren Zielverfehlungen nachzusteuern, obwohl dies „in vielen Fällen mit weniger einschneidenden Maßnahmen möglich wäre.“

Schon 2014: Klare Klimaschutzforderungen bei Demo in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

In der Begrnüdung heißt es wörtlich: „Seit dem Inkrafttreten des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) im Jahr 2019 haben sich die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels erheblich verschärft. Das Intergovernmental Panel on Climate Change hält inzwischen eine Überschreitung der Temperaturgrenze des Übereinkommens von Paris von nicht mehr als 1,5 Grad Celsius für „wahrscheinlich“ und eine Begrenzung auf unter 2 Grad Celsius für nur noch schwer erreichbar.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 24. März 2021 zum KSG in der Fassung vom 12. Dezember 2019 zum Ausdruck gebracht, dass Artikel 20a des Grundgesetzes (GG) den Staat dazu verpflichtet, sein Handeln als Gesetzgeber konsequent auf die Herstellung von Klimaneutralität auszurichten. Den Klimaschutzbelangen kommt danach zwar kein unbedingter Vorrang gegenüber anderen Belangen zu. Dabei nimmt jedoch „das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu“ (BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021, 1 BvR 2656/18 u.a., Leitsatz 2a).
Vor diesem Hintergrund soll das KSG unter Auswertung der bisherigen Erfahrungen und unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Anforderungen fortentwickelt werden. Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll künftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden. Basis dafür ist das jährliche Monitoring.“

Wie die Bundesregierung schreibt, steht der Entwurf im Kontext der gefährdeten, rechtzeitigen Erreichung der Ziele der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Hierzu sollen künftig Jahresemissionsgesamtmengen für alle Sektoren aggregiert eingeführt werden. Eine sektor- und jahresübergreifende Gesamtbetrachtung der Jahresemissionsgesamtmengen der Jahre 2021 bis einschließlich 2030 soll eine gegebenenfalls nötige Nachsteuerung ermöglichen. So will die Bundesregierung in dem Fall, dass eine Prognose in zwei aufeinanderfolgenden Jahren eine Überschreitung der Jahresemissionsgesamtmengen ergibt, Maßnahme zur Einhaltung der Gesamtmenge sicherstellen. (Der Gesetzentwurf soll in der kommenden Sitzungswoche am Freitag, 22. September erstmals im Plenum beraten werden. (hib/EMU))

Aus einer Stellungnahme von Klimaschutzverbänden (13.06.2023)

Die unterzeichnenden Klima-, Umwelt-, Sozial- und Branchenverbände sehen im Referentenentwurf zur Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes die Gefahr einer eklatanten Abschwächung des zentralen und wegweisenden klimapolitischen Instrumentes in Deutschland. Mit unseren nachfolgenden Forderungen positionieren wir uns zum Referentenentwurf.

Mindestanforderungen an ein effektives Klimaschutzgesetz

Die folgenden Punkte sollen laut Referentenentwurf aus dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) gestrichen werden, sind aber für die zeichnenden Verbände Mindestvoraussetzungen, die ein wirksames Klimaschutzgesetz beinhalten muss.

Sektorziele sind unverhandelbar

Die verbindlichen Sektorziele des Klimaschutzgesetzes dürfen nicht wie geplant abgeschwächt werden. Diese Forderung ist nicht nur für die Sektoren Verkehr und Gebäude, die bereits in der Vergangenheit ihre Ziele verfehlt haben, entscheidend. Denn keiner der Sektoren ist bislang auf einem sicheren Pfad, um langfristig die notwendigen Klimaziele einzuhalten. Es besteht nahezu kein Spielraum, Verfehlungen in einem Sektor durch Minderungen in anderen Sektoren auszugleichen. Daher ist eine alleinige sektorenübergreifende Gesamtbewertung der Jahresemissionsmengen nicht zielführend. Der Gesetz-geber muss vielmehr einen klaren Minderungspfad aufzeigen, damit in allen Sektoren der nötige Planungsdruck und Fahrplan hin zur Treibhausgasneutralität entsteht.

Diese Notwendigkeit hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem wegweisenden Beschluss zum Bundes-Klimaschutzgesetz vom April 2021 aufgezeigt. Darüber hinaus gibt die EU-Klimaschutzverordnung (Effort-Sharing-Regulation) Deutschland Emissionsminderungsziele für bestimmte Sektoren verbindlich vor. Das KSG kann die Einhaltung dieser Vorgaben nur gewährleisten, wenn es kongruente Sektorziele vorsieht.

Ressortverantwortlichkeit und Pflicht zur Vorlage von Sofortprogrammen beibehalten

Den Vorschlag aus dem Referentenentwurf, keine Sofortprogramme mehr zu erstellen, wenn ein Sektor seine Klimaschutzziele nicht einhält, lehnen wir ab. Nach § 8*) des bestehenden Klimaschutzgesetzes sind die entsprechenden Ministerien verantwortlich für die Einhaltung der Sektorziele in ihrem Verantwortungsbereich sowie die sektorbezogene Umsetzung klimapolitisch notwendiger Maßnahmen. Wie der Expertenrat für Klimafragen zum wiederholten Male feststellte, ist die Ressortverantwortlichkeit ein 2 fundamentales Governance-Instrument, um die Einhaltung der Klimaschutzziele sowie die Zuordnung von klarer Verantwortlichkeit sicherzustellen. Mit einer Aufweichung dieses Prinzips würde eine der größten Errungenschaften des Klimaschutzgesetzes entfallen.

Ein Wegfall der Ressortverantwortlichkeit könnte als Deckmantel für politische Untätigkeit gerade in den Bereichen dienen, in denen besonders dringender Handlungsbedarf besteht. Wir fordern klare Verantwortlichkeiten als Grundlage für effektives und zielgerichtetes Handeln in allen Sektoren.

Früher nachsteuern

Der Referentenentwurf sieht vor, dass eine Nachsteuerungspflicht erst ausgelöst werden soll, wenn in zwei aufeinanderfolgenden Jahren eine Verfehlung des Gesamtziels bis 2030 projiziert wird. Wie der Expertenrat für Klimafragen deutlich macht, würde dies die Reaktion der Bundesregierung auf ein Verfehlen von Klimazielen unnötig verzögern und notwendige Maßnahmen verschleppen. Sachliche Gründe für das tatenlose Abwarten eines weiteren Jahres bei bestehender, wissenschaftlich fundierter Prognose einer Zielverfehlung sind nicht ersichtlich. Vielmehr droht mit einer entsprechenden Regelung eine weitere Verlagerung von Treibhausgaseinsparungen in die Zukunft zulasten der verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrechte jüngerer Generationen. Um die Einhaltung der Klimaziele nicht noch weiter zu gefährden, muss – neben der Pflicht zur Erstellung eines sektorbezogenen Klimaschutzprogramms – bei einem prognostizierten Überschreiten der zulässigen Emissionsmengen die Pflicht zum Nachsteuern unmittelbar ausgelöst werden. Neben der Verantwortlichkeit der MinisterInnen in ihren Ressorts sehen wir auch die komplette Bundesregierung verantwortlich für das Erreichen der Gesamtziele.

Einhaltung des Gesamtbudgets gewährleisten

Wir sehen derzeit nicht, wie das Gesamtbudget durch die geplanten Änderungen an der Gesetzesnovelle eingehalten werden kann. Exemplarisch zeigt dies bereits das auf Basis des bestehenden Klimaschutzgesetzes veröffentlichte Klimaschutzprogramm, das augenscheinlich ungenügend zur Einhaltung der Klimaziele ist. Die vorgeschlagenen, massiven Schwächungen im Entwurf werden durch keine Vorschläge zur Stärkung der Nachsteuerungsmechanismen des Gesetzes kompensiert. Wir fordern, die hier dargestellten Mindestanforderungen an ein effektives Klimaschutzgesetz sowie die dargestellten Verbesserungsansätze in das Gesetz aufzunehmen, um die Erreichung der Klimaziele sicherzustellen.

->Quellen: