Größtes Potenzial durch zirkulären Zement und Beton

330 Milliarden Euro zusätzliche Wertschöpfung möglich

Die CO2-Emissionen aus dem Bausektor – vom Bauen über Immobiliennutzung bis hin zur Infrastruktur – können bis 2050 durch die Einführung einer Kreislaufwirtschaft um bis zu 75% oder 4 Gigatonnen CO2 reduziert werden. Damit verbunden ist ein Wertschöpfungspotenzial von bis zu 360 Milliarden US-Dollar. Dies geht aus der neuen Untersuchung „Circularity in the Built Environment“ hervor, welche die Unternehmensberatung McKinsey & Company am 05.12.2023 gemeinsam mit dem World Economic Forum veröffentlicht hat. Für die Analyse wurden mögliche Kreislaufkonzepte für die sechs wesentlichen Baumaterialien Zement und Beton, Stahl, Aluminium, Plastik, Glass und Gips untersucht.

Baustelle mit Kränen in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

75% der Infrastruktur für 2050 muss noch gebaut werden

„Der Bausektor ist eine entscheidende Industrie, um die Treibhausgasemissionen langfristig zu senken“, sagt Sebastian Reiter, Partner im Münchener Büro von McKinsey und Co-Autor der Studie. „Ein Drittel des Materialverbrauchs sowie 26% der CO2-Emissionen weltweit stammen aus diesem Bereich. Gleichzeitig beschäftigt dieser Sektor global 7% der Menschen und steht für 13% der Wirtschaftsleistung.“

Mit zunehmender Weltbevölkerung und Urbanisierung wird die Bautätigkeit weiter zunehmen: Alle 40 Tage entsteht umgerechnet ein Gebäude in der Größe von New York City. 75% der Infrastruktur, die die Welt im Jahr 2050 benötigt, muss noch gebaut werden – vor allem in Afrika, dem Nahen Osten und Asien. „Der Übergang von einer linearen hin zu einer zirkulären Bauwirtschaft ist daher entscheidend“, so Reiter. Mögliche Konzepte greifen in allen Phasen des Gebäudelebenszyklus – vom Design und Planung über die verwendeten Materialien, das tatsächliche Bauen bis zur Nutzung, möglichen Upgrades und schließlich zum Abriss und Verwertung.

Grundsätzlich ist eine Verbesserung der CO2-Bilanz in drei Bereichen möglich: Bei der Zirkulation von Materialien und Mineralien inklusive Wiederverwendung, Reparatur und Recycling, bei der Rückführung von Energie und bei der Weiternutzung oder Speicherung von CO2 aus den Prozessen, beispielsweise in der Zementherstellung.

Zement und Beton sowie Stahl und Aluminium mit größtem Vermeidungspotenzial 

Die sechs wesentlichen Baumaterialien bieten jeweils unterschiedliche Hebel für CO2-Reduktionen und zusätzliches Wertschöpfungspotenzial.

  • Zement und Beton: Die Zementherstellung ist mit 30% Anteil der größte Emittent im Gebäudebereich und ist global sogar für 7% der CO2-Emissionen insgesamt verantwortlich. Durch die Nutzung erneuerbarer Energie, Recycling sowie CO2-Speicherung und Nutzung könnten bis 2050 2.440 Mt CO2 eingespart werden.
  • Stahl: Mit bis zu 970 Mt CO2-Einsparung liegt bei besseren Nutzung von Stahl der zweitgrößte Hebel. Vor allem das Recycling sowie die CO2-Speicherung sind vielversprechend.
  • Aluminium: Vor allem das Recycling von Aluminium sowie die Nutzung erneuerbarer Energie in der Herstellung sind Möglichkeiten zur CO2-Vermeidung: Insgesamt sind Einsparungen von bis zu 330 Mt möglich.
  • Plastik, Glas, Gips: Mit bis zu 149 Mt Einsparungen sind auch bei der Nutzung von Plastik CO2-Vermeidungspotenziale zu heben, vor allem durch besseres Recycling. Das gleiche gilt für Glas (mit insgesamt bis zu 52 Mt Vermeidungspotenzial). Beim Gips (22 Mt CO2-Vermeidung möglich) liegen wesentliche Verminderungshebel in der Nutzung erneuerbarer Energie in der Herstellung.

Sebastian Reiter: „Unsere Analyse zeigt ein außerordentliches Potenzial für Zirkularität im Bausektor – nicht nur durch CO2-Einsparungen, sondern auch auf finanzieller Ebene. Trotzdem sehen wir im Markt bisher noch zu wenige Lösungen – umso wichtiger ist es, funktionierende Ansätze zu identfizieren und sichtbar zu machen.“

Kreislaufkonzepte könnten CO2-Emissionen im Bausektor bis 2050 um 75% senken

Schlussfolgerung: Förderung des Übergangs zur Kreislaufwirtschaft in der gebauten Umwelt –
Schlüsselelemente zur Beschleunigung des Übergangs zur Kreislaufwirtschaft

Es gibt drei klare Maßnahmen, die einzelne Akteure und das Ökosystem als Ganzes heute ergreifen können, um die aufgezeigten Potenziale zu nutzen:

  1. Förderung der Zusammenarbeit über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg,
  2. Förderung von Kreislaufdenken und Kompetenzentwicklung und
  3. Nutzung digitaler Technologien.
    1. Zusammenarbeit und umfassende Koordination sind unerlässlich, um der dezentralen Natur der Wertschöpfungskette zu begegnen. Die gebaute Umwelt ist durch eine stark fragmentierte Landschaft gekennzeichnet, in der eine umfangreiche Koordination zwischen einer großen Anzahl von Akteuren auf untergeordneter Ebene erforderlich ist, um Ressourcenkreisläufe zu schließen. Außerdem haben viele dieser Akteure keine Beziehungen zu den traditionellen linearen Lieferketten.
      Die Akteure sollten aktiv die Integration, Partnerschaften und standardisierte Anforderungen für Kreislaufmaterialien über Anlagen und Regionen hinweg fördern, um einen reibungslosen Kreislauf zu gewährleisten. So können beispielsweise Materiallieferanten mit Designern und Auftragnehmern zusammenarbeiten, um wiederverwendbare Materialien zu entwickeln und die Austauschbarkeit zu fördern. Umgekehrte Lieferketten zwischen Herstellern und Rückbau- oder Abfallverwertungsunternehmen können eine ausreichende Versorgung mit Sekundärmaterial zur Herstellung neuer Produkte sicherstellen. Etablierte Kooperationsmodelle haben den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft in anderen Branchen wie der Konsumgüter- oder der Automobilindustrie erfolgreich erleichtert, was auf erhebliche Wertschöpfungsmöglichkeiten in der bebauten Umwelt hindeutet.
    2. Kreislauforientiertes Denken und die Entwicklung von Fähigkeiten sind von grundlegender Bedeutung für die Verankerung der Kreislaufwirtschaft in Unternehmen der Bauwirtschaft. Trotz der Tatsache, dass einige frühe Unternehmen ihre Aktivitäten im Bereich der Kreislaufwirtschaft verstärken, ist die gebaute Umwelt immer noch weitgehend eine lineare Wertschöpfungskette. Um dies zu ändern, sollten formalisierte Ideen und bewährte Verfahren verbreitet und unter Gleichgesinnten ausgetauscht werden.
      Vor allem der Kreislaufgedanke in den frühen Projekt- und Entwurfsphasen ist entscheidend für die Bestimmung der Umweltauswirkungen eines Bauwerks während seiner Lebensdauer. Wenn der Bauprozess beginnt, sind die meisten Entscheidungen, die sich auf die Treibhausgasemissionen des Projekts auswirken, bereits getroffen. Wichtige Planungsentscheidungen wirken sich über Jahrzehnte hinweg auf die Emissionen aus. Beim Bau neuer Gebäude sollten die Akteure Praktiken der Kreislaufwirtschaft, wie z. B. die Demontagefähigkeit und die modulare Bauweise, in den Vordergrund stellen. Bei der Auswahl von Produkten und Materialien sollte auf eine relativ einfache Wiederverwendung, Reparatur und Wiederverwertung geachtet werden.
    3. Digitale Technologien können Transparenz über Sekundärmaterialien und den gesamten Materiallebenszyklus schaffen, was wiederum den Materialaustausch und das Urban Mining fördern kann. Solche Praktiken können auch die Unsicherheit in Bezug auf Vorlaufzeiten oder Preisspitzen auf der Nachfrageseite verringern, da das „Mining“ in den Städten selbst die Lieferkette stärker lokalisiert.
      Darüber hinaus können digitale Lösungen die Herausforderung bewältigen, sich in der fragmentierten und vielschichtigen Branchenstruktur zurechtzufinden. Zu den technologischen Voraussetzungen gehören digitale Materialpässe, digitale Zwillinge und Technologien zur Verfolgung und Verwaltung von Vermögenswerten. Digitale Materialmarktplätze können diese Daten für den Weiterverkauf von Materialien, Produkten oder Systemen nutzen. Generative Designalgorithmen können neue Gebäude optimieren, indem sie wiederverwendete Materialien auf der Grundlage der lokal verfügbaren Materialien maximieren. Die Beteiligten können diese Technologien in Verbindung mit Materialtests in großem Maßstab nutzen, um bereits in einem frühen Stadium des Planungs- und Bauprozesses zirkuläre Hebel einzusetzen.
      Ein Aufruf zum Handeln, um Leuchttürme der Kreislaufwirtschaft zu identifizieren Die Kreislaufwirtschaft bietet einen Weg zur Dekarbonisierung, verlagert aber auch die Wertschöpfungspools von den Produkten und Akteuren, die in der traditionellen, linearen Wirtschaft verankert sind, zu denen, die den Übergang zur Kreislaufwirtschaft vorantreiben und beschleunigen. In diesem Weißbuch wurde die Frage der Kreislaufwirtschaft auf materieller Ebene erörtert, mit Blick auf die Zieltermine 2030 und 2050. Der Wandel hat jedoch bereits begonnen, und das Ökosystem der Industrie muss sich heute positionieren, um das skizzierte Potenzial in der Zukunft zu nutzen.
      Leuchttürme der Kreislaufwirtschaft zeigen, dass sie führend sind, demonstrieren innovative Anwendungen in großem Maßstab und bringen Akteure aus der Industrie zusammen, um gemeinsam den Übergang zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen und andere dazu zu inspirieren, zu folgen. Leuchttürme setzen auf eine disruptive, kollaborative Agenda, auch zwischen traditionellen Wettbewerbern oder über Wertschöpfungsketten hinweg. Sie gehen den Übergang zur Kreislaufwirtschaft proaktiv an und entwickeln rasch branchenführende Lösungen. Sie etablieren neue Kreislauf-Geschäftsmodelle jenseits der traditionellen Wertschöpfungsstruktur und weisen deren Umweltverträglichkeit, Skalierbarkeit und finanzielle Tragfähigkeit nach. Branchenakteure, die Leuchttürme entwickeln und als Beschleuniger fungieren, haben einen Vorteil, wenn es darum geht, den Wert hinter der Kreislaufwirtschaft zu erfassen, Marktanteile zu gewinnen, den Weg voranzutreiben und Partnerschaften zu schließen.

Ein auf Leuchttürme ausgerichteter Ansatz kann die Zusammenarbeit fördern, zirkuläres Denken und die Entwicklung von Fähigkeiten vorantreiben und digitale Technologien in einer dezentralisierten gebauten Umwelt verbreiten. Die gebaute Umwelt ist aufgerufen, die führenden Leuchttürme zu identifizieren und sie für das Ökosystem sichtbar zu machen.

->Quellen: