Die Ökogas-Lüge

Leere, gar schädliche Versprechungen

Gasversorger werben gerne mit „klimaneutralem Erdgas“ – doch sie lösen ihre Versprechen nicht ein, wie Stella Hesch, Gesa Steeger, Max Donheiser und Simon Wörpel am 16.04.2024 bei CORRECTIV offenlegten. Deutsche Erdgasversorger wie der hessische Gasversorger Entega oder kommunale Unternehmen wie die Stadtwerke Duisburg und Rostock verkaufen Lösungen für die Klimakrise, die keine sind. Insgesamt konnte CORRECTIV 116 deutschen Gasversorgern nachweisen, dass sie in den vergangenen 13 Jahren Gastarife und -produkte angeboten haben, die weit weniger grün waren als versprochen.

Klimawandel – Erdgasreklame – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Das Zauberwort des grünen Gastarifs: Kompensation. In Deutschland entstehende klimaschädliche Emissionen werden an anderer Stelle ausgeglichen – durch den Schutz von Wäldern in Brasilien oder den Bau von Wasserkraftwerken in Indien. Unternehmen können die so eingesparten Emissionen in Form von CO2-Gutschriften kaufen, um ihre Klimabilanz zu verbessern. Doch die Wiedergutmachung bleibt aus, so die CORRECTIV-Recherche: „Klimaneutrales Erdgas“ ist Verbrauchertäuschung. Projekte, aus denen die Zertifikate stammen, sollen beispielsweise weniger Emissionen einsparen als angegeben – oder weniger Waldfläche schützen. Einige Projekte wären den Recherchen zufolge auch zustande gekommen, wenn keine Zertifikate verkauft worden wären.

Betroffen seien rund zwei Drittel der insgesamt 16 Millionen ausgewerteten Gutschriften. Nach den Berechnungen von CORRECTIV könnten somit über die Jahre insgesamt gut 10 Millionen Tonnen weniger CO2-Emissionen ausgeglichen worden sein als von den Versorgern gegenüber Kunden behauptet. Zur Einordnung: 2023 wurden laut Umweltbundesamt in Deutschland insgesamt 674 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalente freigesetzt.

Schon vor mehr als einem Jahr Zweifel an den Kompensationen

Anfang Februar 2023 berichtete Solarify über eine Recherche der Wochenzeitung Die Zeit: Die hatte offengelegt, dass 90% aller Kompensationen ihr Geld nicht wert waren. Weltweit größter Anbieter: Verra, deren  Zertifikate viel weniger CO2 einsparten als versprochen. Die von genehmigten und von Netflix, Disney, Shell, Gucci und anderen Großunternehmen genutzten Kohlenstoffkompensationen erwiesen sich als weitgehend wertlos und könnten die globale Erwärmung gar noch verstärken. Eine Untersuchung des Verra-Standards für Kompensationen zeigte, dass es sich bei den meisten um „Phantomgutschriften“ handelte.

Unter den von Verra zertifizierten Projekten fanden sich teils absurde Projekte. So verkaufe der Anbieter beispielsweise Kompensationszertifikate, die von Gaskraftwerken aus Indien, China und Singapur stammten. Diese fossilen Kraftwerke würden offiziell als Klimaschutzprojekte gelistet, die Zertifikate tauchten in den Kompensationsportfolios von acht deutschen Gasversorgern auf. Insgesamt würden fast 10 Prozent der beanstandeten CO2-Zertifikate aus Gaskraftwerken stammen.

Weitere Kritik äußert CORRECTIV an von Verra-zertifizierten Waldschutzprojekten, deren Zertifikate ebenfalls Gasversorger in Deutschland gekauft hatten. Diese seien nach wissenschaftlichen Standards nicht zur Kompensation geeignet – es sei nicht nachweisbar, dass sie Emissionen eingespart hätten.

Eine Studie des New Climate Institute habe ergeben, dass der Überfluss an billigen Kohlenstoffgutschriften, die schon ab zwei US-Dollar pro Tonne zu bekommen seien, Firmen davon abhalte, ehrgeizige Emissionsminderungen im eigenen Betrieb umzusetzen. So schadeten die Zertifikate sogar dem Klimaschutz, schreibt CORRECTIV. Schuld daran seien auch Zertifizierer wie Verra und Gold Standard, deren Regeln solche “Schrottzertifikate” überhaupt erst erlaubten.

DUH: Verbrauchertäuschung

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) warf den Unternehmen Verbrauchertäuschung vor und forderte im Zusammenhang mit der CORRECTIV-Recherche 15 Gasversorger dazu auf, ihre Werbung für klimaneutrales Erdgas zu beenden und entsprechende Unterlassungserklärungen zu unterschreiben.

Eine Vorab-Publikation der ETH Zürich und der Universität Cambridge kommt zu dem Ergebnis, dass nur 12 Prozent der auf dem Markt verfügbaren CO2-Gutschriften zu einer „echten Emissionsreduzierung“ führen. Der Schaden dieser fragwürdigen CO2-Gutschriften lässt sich im Fall der deutschen Gasversorger beziffern: Auf rund 10 Millionen Tonnen CO2, die in den vergangenen 13 Jahren mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht eingespart oder reduziert wurden. Anders als von den Gasversorgern versprochen. Eine Menge, die sich vergleichen lässt mit den CO2-Emissionen aus dem Verbrauch von Kohle, Erdgas oder anderen Primärenergien allein für Thüringen im Jahr 2020.

Auf CORRECTIV-Anfrage teilt Verra mit: „Als gemeinnützige Organisation ist Verra zu ständiger Innovation verpflichtet und stützt sich auf die neuesten und besten wissenschaftlichen Erkenntnisse.“ Diese würden die Standards und Methoden bestimmen und ein „Höchstmaß an Integrität bei Klimaprojekten gewährleisten“.

CORRECTIV: „Hier kämpft eine sterbende Branche ums Überleben“

Der vollständige Abbau von fossilen Gas-Emissionen kann laut Umweltbundesamt (UBA) bis zu mehrere hunderttausend Jahre dauern. Kompensation kann also nur einen Bruchteil dieser Emissionen tatsächlich ausgleichen und das auch nur kurzfristig – und selbst dieser kleine Teil verpuffe in vielen Fällen.

Für DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch ist der mangelhafte Verbraucherschutz wenig überraschend: „Seit 20 Jahren warten wir darauf, dass die zuständigen Behörden endlich beginnen, die Umweltaussagen von Handel und Industrie konsequent zu kontrollieren.“ Die neuen EU-Richtlinien zur Bekämpfung von Greenwashing stelle „zweifellos einen bedeutenden Fortschritt dar“, so Resch.

DUH-Liste der Gasversorger

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