Der BDI empfiehlt

Vorwahlzeit: „Starke Industrie. Starkes Land.“

Es ist eine ausführliche und umfangreiche Arbeit: 88 Empfehlungen in 15 Themenfeldern richtet der BDI unter dem Titel „#Wirmachen Zukunft“ im Vorwahlkampf an die künftige Bundesregierung. Der Forderungskatalog der deutschen Industrie ist wahrlich umfassend: Er reicht von Digitalisierung, Mobilität über Energie und Klima bis zum Thema Nachhaltigkeit. Entscheidend ist die „sinnvolle Balance von wirtschaftlichem Wachstum und ökologischer Nachhaltigkeit“. Manches kommt dem Leser ziemlich bekannt vor. Kaum erstaunlich: Es ist mehr von Förderungen und Forderungen an die Regierung die Rede, als von Leistungen der Industrie. Solarify dokumentiert Ausschnitte.

„Die Industrie macht Mobilität nachhaltig“

Vergangenheit: Industrieruine Hüttenwerk Zollverein Essen – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Entscheidend für den Industriestandort Deutschland sind bedarfsgerechte Verkehrswege für alle Verkehrsträger. Die deutsche Industrie stellt sich der Herausforderung einer nachhaltigen Mobilität durch innovative Technologien. Dank enormer technologischer Entwicklungen sanken die CO2-Emissionen im Straßenverkehr seit 2000 um zehn Prozent, während die Fahrleistung um 40 Prozent stieg.

Die Elektrifizierung wird enorme CO2-Reduktionspotenziale heben. Deutsche Hersteller wollen bis 2023 ihre E-Fahrzeug-Modelle auf rund 150 verdoppeln.“ Die Straßen erfüllten zwar mit jährlich mehr als 3,7 Milliarden Tonnen Gütern den größten Teil der Transportnachfrage. Aber: „Klimafreundlicher Straßengüterverkehr erfordert, alternative Antriebe und Kraftstoffe weiter zu fördern sowie alle Effizienzpotenziale zu heben.“ Die Bahn(en) bräuchten als jährlicher Transporteur von ca. 400 Millionen Tonnen Gütern „massive Kapazitätserweiterungen und einen Digitalisierungsschub“. Der Luftverkehr werde „ökologisch immer effizienter“. Die deutsche Flugzeugflotte habe den Treibstoffverbrauch seit 1990 um 44 Prozent gesenkt.

Um das „äußerst ambitionierte Klimaschutzziel im Verkehr bis 2030“ zu erreichen, müssten der BDI-Analyse „Klimapfade Verkehr 2030“ zufolge „direkte Elektrifizierung, alternative Kraftstoffe, Verkehrsträgerwechsel durch Stärkung von Schiene, Bus und Binnenschiff sowie Effizienzsteigerung v. a. auch dank Digitalisierung – bis an die Grenzen der theoretischen Machbarkeit intensiviert werden“. Die Politik müsse „rasch erforderliche Rahmenbedingungen für alle vier Hebel in einem technologieoffenen und ganzheitlichen Ansatz schaffen“. Sie müsse weiter rasch Nutzungskonkurrenzen zwischen Biomasse und grünem Wasserstoff  „auch durch zusätzliche Importe strombasierter Kraftstoffe“ lösen.

Politische Reaktionen
Laut EURACTIV begrüßt die CDU den Vorstoß: „Ich unterstütze daher die Forderung des BDI, dass die für Ende April angekündigte aktualisierte EU-Industriestrategie von einem konkreten Maßnahmenplan begleitet wird“, so Katja Leikert, stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende. Die oben genannten Maßnahmen seien dafür „wichtige Kernelemente“.

Auch von den Grünen gibt es Lob. „Die deutsche Industrie hat schon seit Längerem erkannt, dass es eine Zukunft nur für die gibt, die sich den ökologischen, sozialen und digitalen Herausforderungen stellen. Insofern überraschen mich die teils progressiven Forderungen des Verbands nicht“, so Dieter Janecek, Sprecher für Industriepolitik in der grünen Fraktion gegenüber EURACTIV. Doch „beim Punkt Handelspolitik knirscht es zwischen dem BDI und uns vielleicht an der einen oder anderen Stelle“, so Janecek. In diesem Unterpunkt betont der BDI, dass Handelsabkommen zwar „neben der wirtschaftlichen auch die soziale und ökologische Nachhaltigkeit sowie die Durchsetzung von Menschenrechten im Blick haben“ sollen. Doch Janecek kritisiert: „Was dort als „überzogene Forderungen“ benannt wird, ist für uns essenziell – wie beispielsweise echte Klimaschutzvorgaben oder das wichtige Vorsorgeprinzip.“
Auch vonseiten der SPD ist die Meinung eher geteilt: „Das starke Bekenntnis der deutschen Industrie zum Ziel der Klimaneutralität ist ein wichtiges Signal, mit dem die Industrie entscheidende Impulse für die sozial-ökologische Transformation in Deutschland und in Europa setzen könnte“, so Timon Gremmels, SPD-Mitglied im Witschaftsausschuss gegenüber EURACTIV. Allerdings sieht er Nachbesserungsbedarf bei den Erneuerbaren Energien: Hier „müsste sich der BDI jedoch noch klarer für einen ambitionierten Ausbau“ aussprechen. Im Forderungskatalog will der Verband einen „schneller und kosteneffizienten Ausbau“.

BDI-Kritik: „Wirksame Anreize fehlen gänzlich“

Während die Politik Investitionssicherheit für Brückentechnologien wie Biokraftstoffe oder Erdgas sicherstellen müsse, solle der „Klimaschutzbeitrag von Bestandsflotten bei Straße, Schiene, Flugzeugen und Schiffen in den Blick genommen werden, vor allem durch einen umfassenden Ansatz für fortschrittliche Biokraftstoffe und strombasierte Kraftstoffe. Hierfür fehlen wirksame Anreize bisher gänzlich.“ Darum sollte die Bundesregierung technologieoffen Forschung und Entwicklung für alle Verkehrsträger und für alle Antriebe und Kraftstoffe entscheidend fördern. Außerdem sollte sie zusätzliche Programme für Innovationsinvestitionen unterstützen.

Minimierung volkswirtschaftlicher Kosten, marktwirtschaftliche Ausrichtung und Vermeidung von Carbon Leakage

„Die Politik ist aufgefordert, die Revisionen von EU-ETS hinsichtlich Luft- und Seeverkehrs, Effort Sharing, Energiesteuer-Richtlinie oder RED II in einen ganzheitlichen und wettbewerbsneutralen Ansatz für den Verkehr einzubeziehen. Ziel der Klimaschutzgesetzgebung muss dabei die Minimierung der volkswirtschaftlichen Kosten, eine marktwirtschaftliche Ausrichtung und die Vermeidung von Carbon Leakage sein. Dabei müssten „schärfere oder abweichende nationale Regelungen“ vermieden werden, „um ein europäisches Level-Playing Field zu sichern“.

Aktuelle nationale CO2-Bepreisung und BEHG-Einnahmen für Klimaschutztechnologien nutzen – Kritik

Ein CO2-Preis im Verkehr sei „kein Allheilmittel“ – zielführend könne er nur dann sein, wenn den Verbrauchern realistische Optionen für CO2-arme Verkehrsträger angeboten würden – wie etwa „E-Fahrzeuge, alternative Kraftstoffe, Schiene, ÖPNV“. Die Einnahmen aus CO2-Steuer und Brennstoffemissionshandelsgesetz sollte die Bundesregierung mittels eines intelligenten Mixes „aus Anreizen und Förderung für neue Antriebe und Kraftstoffe sowie durch den Ausbau von Schiene und Wasserstraße flankieren“. Denn eine CO2-Bepreisung des Verkehrs müsse „den Hochlauf alternativer Technologien und die Sektorkopplung unterstützen, das klimapolitisch optimierte Zusammenspiel der Verkehrsträger stärken, industriepolitisch sinnvoll ausgestaltet sein und die deutsche Wettbewerbsfähigkeit erhalten“. Diese Kriterien würden im Rahmen des nationalen BEHG diese Kriterien nicht erfüllt. Daher fordert der BDI die Bundesregierung auf, die nationalen Ansätze stufenweise weiter zu entwickeln und auf einen europäischen Pfad für die CO2-Bepreisung im Verkehr hinzuwirken – „global, marktwirtschaftlich und sektorübergreifend“. Zu diesem Zweck müsse der Markthochlauf CO2-armer und CO2-neutraler Straßenfahrzeuge flankiert werden. Im Fall der Elektromobilität setze das voraus, „die bestehende Förderung von E-Fahrzeugen, BEV, PHEV und FCEV, in der Markthochlaufphase passgenau zu gestalten, den weiteren Hochlauf eng zu monitoren und bei Bedarf nachzusteuern“. Für schwere Nutzfahrzeuge soll die Politik „rasch analoge technologieoffene Förderkulissen für elektrische- und wasserstoffbasierte Lkw etablieren“. Dazu gehöre, „alternative Antriebe und Kraftstoffe, wie z. B. batterie- und brennstoffzellenelektrische Züge, Flugzeuge oder Schiffe, weiterhin intensiv zu fördern“.

Abgaben und Steuern für Fahrstrom und Wasserstoff (H2) soll die Politik attraktiv ausgestalten. Der BDI bringt eine steuerliche Entlastung für Fahrstrom ins Gespräch (indem der Eigenstromverbrauchs attraktiver gemacht werde), aber auch eine steuerfinanzierte Senkung der EEG-Umlage. Eine „analoge Anreizkulisse für H2 und alternative Kraftstoffe“ müsse entwickelt werden.

Alle Sektoren müssen Klimaschutzziele erreichen können – strombasierte Kraftstoffe bis 2030 „ergänzend zum Hochlauf der Elektromobilität unabdingbar“

Um sicherzustellen, dass alle Sektoren in Deutschland die spezifischen Klimaschutzziele erreichen könnten, müsse die Regierung die Nutzungskonkurrenzen zwischen Biomasse und H2 „dringend lösen“. THG-Minderungen in Sektoren, die heute noch überwiegend mit fossilen Energien versorgt werden, erforderten vor allem die direkte Nutzung grünen Stroms oder damit erzeugter Energieträger – dabei müsse beachtet werden, dass Grundstoffindustrien keine Alternative zu grünem H2 hätten. Aber auch der Straßenverkehr müsse bis 2030 strombasierte Kraftstoffe (PtX) einsetzen, neben dem Schwerlastverkehr auch in der Pkw-Bestandsflotte, das sei „ergänzend zum Hochlauf der Elektromobilität unabdingbar“. Ohnehin müsse Grünstrom dauerhaft zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar sein.

Verlässlichen Hochlaufpfad für Wasserstoff sicherstellen

„Mindestens bis 2030“ müsse die Politik „unverzüglich einen planbaren und verlässlichen Pfad für H2 vorgeben“, der für sämtliche  „energieintensive Branchen des Produzierenden Gewerbes, Maschinen- und Anlagenbau, Fahrzeugindustrie, Mineralölwirtschaft sowie Luftverkehr begehbar ist“. Das erfordere, klimapolitische mit industrie- und beschäftigungspolitischen Zielen zu vereinbaren und „gleichzeitig preistreibende Effekte im H2-Markt im Interesse einer wettbewerbsfähigen deutschen Industrieproduktion zu vermeiden“. Deshalb seien die Rahmenbedingungen für einen raschen Markthochlauf von grünem H2, CO2-armen und CO2-freien Kraftstoffen für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Industrie ebenso von zentraler Bedeutung wie für einen besseren Klimaschutz. Der Hochlauf von strombasierten Kraftstoffen im Luftverkehr (sogenanntes PtL-Kerosin) könne durch den Einsatz in Pkw und Lkw unterstützt und mitfinanziert werden, denn „bei der PtL-Kerosin-Produktion fallen Diesel und Benzin als Koppelprodukte an; die könnten in der Bestandsflotte eingesetzt werden“. Sonst drohe der Luftfahrt die Übernahme der zusätzlichen Kosten, das erhöhe den staatlichen Förderbedarf.

Der Markthochlauf CO2-neutraler Kraftstoffe könne durch folgende (teils existierende) Maßnahmen befördert werden:

  • Nationale Wasserstoffstrategie,
  • transparente und EU-anschlussfähige Methodologie zur H2-Herstellung beim Netzbezug von Strom in der 37. BImSchV,
  • Marktanreizprogramm zur Förderung von Investitionskosten für H2-Produktionsanlagen im Industriemaßstab,
  • eine übergangsweise Ausnahme lt. Art. 19 EU-Energiesteuer-RL für PtX und
  • Mehrfachzertifikate im BEHG für zusätzliche PtX-Mengen.

Darüber hinaus „sollte die Bundesregierung den Hochlauf von CO2-neutralen Kraftstoffen auf EU-Ebene flankieren und insbesondere auf eine Neuausrichtung der Energiesteuer-Richtlinie auf CO2 bei Kraftstoffen hinwirken. Die freiwillige Anrechenbarkeit von CO2-neutralen Kraftstoffen und von klimaneutralen Vormaterialien, beispielsweise grünem Stahl, in der EU-Flottenregulierung bei Pkw, leichten und schweren Nutzfahrzeugen, stellt eine weitere Anreizmöglichkeit dar.“ Alternative Kraftstoffe müssten weiter international reguliert und harmonisiert werden. Dazu seien international gültige Vorgaben, wie zuverlässige Nachhaltigkeitsstandards und Methoden zur Anrechnung der Treibhausgasminderungen nötig.

Schienengüterverkehr attraktiver machen – Wettbewerbsfähigkeit steigern

Der schon „eingeschlagene Pfad zur Förderung des Schienenverkehrs ist weiter zu beschreiten. Die unter Beteiligung der Industrie und des Sektors erarbeiteten Masterpläne zum Schienenverkehr und zum Schienengüterverkehr müssen rasch umgesetzt und verfügbare Technologien konsequent implementiert werden.“ Das Schienennetz muss deshalb „massiv ausgebaut, modernisiert und digitalisiert werden“.

Das 740-Meter-Netz (angestrebte EU-Güterzug-Standardlänge) „ist rasch fertigzustellen. Die Netz- und Terminalkapazitäten des Kombinierten Verkehrs sind stark ausbaubedürftig, eine europaweite Förderung ist zu implementieren. Eine flächendeckende, hochwertige Mobilfunkabdeckung entlang aller Verkehrswege muss selbstverständlich sein. Die Netzkapazitäten müssen durch den Ausbau vor allem der stark belasteten Strecken gleichermaßen den steigenden Anforderungen des Güter- wie des Personenverkehrs“ gerecht werden.

Die Digitalisierung als wesentlicher Hebel für mehr Kapazität, Zuverlässigkeit und Interoperabilität setzt den flächendeckenden Rollout von ETCS (European Train Control System = Europäisches Zugbeeinflussungssystem) in Verbindung mit DSW (Digitale Stellwerke?) voraus; er sollte „auf das Jahr 2035 ausgerichtet und mit einem technischen Entwicklungsplan hinterlegt werden“. Die „Mehrfachbelastung der Schiene durch Stromsteuer, EEG-Umlage und Emissionshandel“ müsse reduziert werden.

Klimafreundliche Technologien und die Energieversorgung der Zukunft

„Die Herausforderung, in Europa bis 2050 klimaneutral zu werden, ist beispiellos und auch die Zwischenziele bis zum Jahr 2030 sind sehr ehrgeizig gesetzt. Damit die Energie- und Klimazukunft gelingt, kommt es entscheidend auf die neue Bundesregierung an. Die deutsche Industrie steht als Partnerin bereit, wenn es gilt, die Leitplanken für die nächsten Jahre zu justieren. Es muss gelingen, das steigende deutsche und europäische Ambitions- und Kostenniveau weiterhin kompatibel zu halten mit der globalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Hierfür ist es hilfreich, dass sich inzwischen auch andere große Wirtschaftsnationen wie die USA oder China zum Ziel der Klimaneutralität bekennen. Gleichwohl kommt es entscheidend auf die jeweiligen konkreten Taten und ihre Folgen an – in Deutschland, Europa und weltweit.

Mit dem Ziel der Klimaneutralität verlagert sich die Debatte nun von den Zielen hin zu notwendigen konkreten Instrumenten, mit denen sich die Ziele auch tatsächlich erreichen lassen. Darum geht es beim Europäischen Green Deal und darum wird es auch in der neuen Legislaturperiode in Deutschland gehen. Mit seinen Vorschlägen will der BDI hierfür einen ersten Beitrag leisten.“

Für eine gelingende Energie- und Klimazukunft muss Deutschland Strom aus neuen EEG-Anlagen als Grünstrom handelbar machen

„EEG-geförderte Strommengen dürfen bislang nicht als Grünstrom verkauft werden. Die neue öffentliche Teilfinanzierung des EEG erlaubt die Einführung von Herkunftsnachweisen für Neuanlagen. Dies sollte als marktwirtschaftlicher Treiber genutzt werden, um einen Bezug von Grünstrom aus Deutschland kosteneffizient zu ermöglichen.“ Dass rund die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten CO2-Bepreisungen für Sektoren außerhalb des europäischen Emissionshandels habe oder plane, verursache Marktverzerrungen – denen sollte die Bundesregierung über eine Harmonisierung der verschiedenen CO2-Preisregime entgegenwirken: „Mittelfristiges Ziel müssen international vergleichbare CO2-Preise sein. Der Wandel hin zu klimafreundlichen Industrieprozessen bedarf großer Mengen erneuerbaren Stroms.“

Nur mit der Abschaffung der EEG-Umlage bis 2025 könne die Sektorenkopplung greifen und die Nutzung von immer grünerem Strom wirtschaftlich attraktiv werden. Der Gesetzgeber hat die Empfehlung der Kohlekommission für eine Absenkung der Übertragungsnetzentgelte umgesetzt und hierfür ab 2023 einen Bundeszuschuss vorgesehen (§ 24a Absatz 2 EnWG). Die damit einhergehende Minderung der Netzkosten ist ein wichtiger Beitrag zum Erhalt wettbewerbsfähiger Stromkosten in Deutschland. Die Unternehmen brauchen für den Erhalt ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft die Entlastungen bei Energie- und Stromsteuer durch den Spitzenausgleich. Dazu sollten die entsprechenden Regelungen verlängert werden. Das Effizienz-Monitoring der Industrie bestätigt, dass sie im Gegenzug ihre Energieintensität stetig reduziert hat.

Nicht nur Elektronen, auch Moleküle dekarbonisieren: Wasserstoff

Die Energiewende sei bisher vor allem eine “Stromwende” gewesen, Strom werde durch erneuerbare Energien zunehmend dekarbonisiert (“Elektronen”). Ungefähr 80 Prozent unserer Energieverbräuche würden allerdings aus Öl, Erdgas etc. bezogen (“Moleküle”), von denen sich absehbar ein großer Teil nicht elektrifizieren lasse (etwa in Industrie und Verkehr). Als Ersatz ständen Wasserstoff und seine Derivate bereit, die künftig eine wichtige Rolle erhalten müssten. „Die nationale Wasserstoffstrategie mit ihren 38 Maßnahmen stellt bereits eine solide Grundlage dar, um den Weg hin zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland zu bereiten. Damit Wasserstoff, der ‚missing Link‘ der Energiewende, genutzt werden kann, muss genug davon flächendeckend zur Verfügung stehen. Und er muss vor allem günstiger werden. Daher muss der für die Produktion von grünem Wasserstoff verwendete erneuerbare Strom umfassend von Abgaben und Umlagen befreit werden. Darüber hinaus müssen Investitions- und Betriebskosten zunächst gefördert werden, bis die Kosten durch globale Skalierung entsprechend sinken. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft muss über die verschiedenen Wertschöpfungsstufen gedacht werden – von der Erzeugung über den Transport bis zur Anwendung. Die Industrie als großer Abnehmer ist auf eine funktionierende, flächendeckende Transportinfrastruktur angewiesen, damit der Wasserstoff auch weitab der Erzeugungsstätte genutzt werden kann. Nur so kann ein wachsender Markt für Wasserstoff entstehen.“

Ein europäischer Wasserstoffmarkt brauche „europäische Standards zur Klassifizierung erneuerbarer Gase“ und für den grenzüberschreitenden Transport von Wasserstoff. Ohne sie entstünden zunehmend nationale, nicht unter einen gemeinsamen europäischen Hut passende Initiativen. „Um den zukünftigen Bedarf an Wasserstoff und klimaneutrale Energieträger zu decken, sind Deutschland und die EU auf Importe aus nicht-europäischen Ländern angewiesen. Hierfür braucht es eine europäische Importstrategie für klimaneutrale Energieträger. Ziel muss es sein, die besten Standorte für erneuerbare Energieerzeugung zu nutzen und sie in den entstehenden globalen Wasserstoffmarkt zu integrieren.“

Abscheidung, Verwendung und Speicherung von CO2 neu bewerten

Weil bestimmte Prozesse in der Grundstoffindustrie auf absehbare Zeit weiter zu CO2-Emissionen führen, sollten die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) sowie die intelligente Schaffung von Kohlenstoffkreisläufen (CCU) weiter entwickelt werden. Dafür muss bald mit dem Aufbau einer CO2-Infrastruktur begonnen werden. Für fairen Wettbewerb sei es gleichzeitig entscheidend, dass die Weltgemeinschaft ihre CO2-Preise auf ein vergleichbares Niveau bringe. „Daher sollte sich die Bundesregierung in einem ersten Schritt dafür einsetzen, dass sich die EU, China und die USA auf einen gemeinsamen CO2-Mindestpreis für 2030 einigen. Dadurch können grüne Investitionen angereizt und Risiken von Carbon Leakage sowie schädliche Handelsstreitigkeiten durch Grenzmechanismen reduziert werden.“

Erneuerbaren-Ausbau auf Zielkurs bringen – Stromnetze intelligent ausbauen und modernisieren

„In Anbetracht des Kernenergie- und Kohleausstiegs muss auch in Zukunft eine sichere Energieversorgung gewährleistet sein. Dafür sind ausreichende Erzeugungskapazitäten erforderlich. Notwendig ist ein schneller und kosteneffizienter Ausbau der erneuerbaren Energien sowie ihre Integration ins Energiesystem. Der aktuelle Ausbau verläuft schleppend und muss auf Zielkurs gebracht werden.“ Wenn zum ersten Mal die Auswirkungen des Kohleausstiegs, u. a. auf Versorgungssicherheit und Strompreise geprüft und die dafür nötigen Kriterien und Indikatoren festgelegt würden, fordere die Wirtschaft dafür ein transparentes Verfahren. Expertise und Betroffenheit der Industrie müssten Gehör und Berücksichtigung finden.

Das Übertragungs- und Verteilnetz benötige aufgrund der Elektrifizierung aller Sektoren und einer zunehmend dezentralen Stromerzeugung große Investitionssummen. Digitalisierung ermögliche flexible und optimierte Steuerung von Verbrauchseinheiten – bei  Wärmepumpen, Stromspeichern und Ladesäulen. Voraussetzung hierfür sei der breite Einsatz intelligenter Stromzähler. Beim weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien müsse die Versorgungssicherheit und Stromqualität unverändert hoch bleiben und sollte daher „entsprechend gemonitort werden“.

„Die Steuerförderung der energetischen Gebäudesanierung für Selbstnutzer und die Verbesserung der Programmförderung reicht nicht aus, um die für die Klimaschutzziele geforderte Sanierungsgeschwindigkeit und -tiefe zu erreichen. Deshalb müssen gezielt ergänzende Fördermaßnahmen eingeführt werden.“

Dringend vorankommen müsse die Regierung daher beim europäischen Green Deal: „In zentralen Fragen wie der CO2-Bepreisung, der Reform des Emissionshandels, des Ausbaus der erneuerbaren Energien und der Wasserstoffwertschöpfungsketten sowie der Modernisierung des EU-Beihilferechts.“

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