FVEE: Positionspapier zu neuem Stromsystemdesign

Aus dem Positionspapier:
Ökonomische Aspekte eines neuen Stromsystemdesigns

Die Bezeichnung „Systemdesign“ statt „Marktdesign“ ist bewusst gewählt. Sie respektiert die Komplexität des Stromsystems und bestreitet die Existenz einfacher Lösungen. Niemand wird ernstlich Märkte für Stromnetze verlangen, niemand wird die netztechnischen Systemdienstleistungen in Gänze über Märkte beschaffen wollen, und immer mehr Ökonomen gelangen zu der Erkenntnis, dass das öffentliche Gut Versorgungssicherheit nicht quasi nebenbei über die bestehenden Teilmärkte bereitgestellt werden kann, sondern explizit nachgefragt werden muss. Angesichts dieser Aspekte erscheint es unangemessen, weiterhin von „Strommarktdesign“ zu sprechen, stattdessen wird der Begriff „Stromsystemdesign“ der Komplexität der Aufgabenstellung und möglicher Lösungen weit besser gerecht.

1. Handlungsbedarf

Die Energiewende verursacht Handlungsbedarf im Systemdesign:

  • Wirtschaftlichen Handlungsbedarf: Das bestehende Stromsystemdesign ist für hohe Anteile erneuerbarer Energien nicht geeignet, denn die fluktuierenden erneuerbaren Energien Wind und Sonne (FEE) lassen sich nicht in grenzkostenbasierte Märkte integrieren. Dies zeigt sich insbesondere beim Merit-Order-Effekt, wo die Einspeisung der Erneuerbaren die Großhandelspreise senkt, aber dadurch gleichzeitig die Differenz zu den Fördersätzen erhöht, was in widersinniger Weise die EEG-Umlage erhöht. Aus der Senkung der Großhandelspreise resultieren auch ungenügende Investitions- und Erhaltungsanreize für flexible Residuallastkraftwerke. Zugleich fehlen im bestehenden Systemdesign Anreizsignale für bedarfsgemäße Einspeisung (z.B. PV auf Ost-West Dächern), so dass EE-Anlagen gegenwärtig auf maximale Dauerleistung ausgelegt werden.
  • Politischen Handlungsbedarf: Das bestehende Systemdesign belastet die gesellschaftliche Akzeptanz für die Energiewende. Die EEG-Umlage ist ein verzerrter Indikator für die Kosten der Erneuerbaren Energien. Kostentransparenz und Vergleichbarkeit für alle Energiearten sind gegenwärtig nicht gegeben. Zudem müssen die bestehenden Ausnahmeregelungen für Unternehmen im Sinne einer gerechten und sozialen Kostenverteilung überprüft werden.

2. Zieldimensionen für das neue Systemdesign

Ein neues Systemdesign soll folgende Ziele unterstützen:

  • weiteren Ausbau der EE absichern
  • Ausbau in den bisherigen EE-Technologien fortsetzen
  • Bürgernahes Engagement unterstützen
  • Anreiz für technische Innovationen, die Kosten und Materialverbrauch senken
  • Weiterhin inhärente Anreize nicht nur für Bau sondern auch für den Betrieb von EE-Anlagen setzen
  • Versorgungssicherheit gewährleisten
  • dynamische ökonomische Effizienz erreichen: „Dynamische Effizienz“ bedeutet die Minimierung der langfristigen Systemkosten unter Berücksichtigung von Innovationspotenzialen, Lernkurven von Technologien und Kostenentwicklungen externer Effekte in der Phase der Systemtransformation. Nur sie bietet Zukunftsoffenheit und kann Maßstab sein für Langfristperspektiven. „Statische Effizienz“ bedeutet eine am kurzfristigen Erfolg orientierte Optimierung der Allokation von Ressourcen, bei welcher absehbare, aber noch in der Zukunft liegende Probleme nicht berücksichtigt werden. Gleichrangige Kriterien zur ökonomischen Effizienz sind: Effektivität, Reife und Praktikabilität der Instrumente sowie Akzeptanz der Systemtransformation.
  • ökologische Aspekte berücksichtigen: z.B. sollte es keine Anreize setzen für Biomasse-Importe sowie für Technologien mit ineffizienten Nutzungen (Biomethan zu reinen Heizzwecken in konventioneller Kesseltechnologie).

3. Eckpunkte eines zukünftigen Systemdesigns aus Sicht des FVEE

Ein neues Systemdesign muss folgende Anforderungen gerecht werden:

  • Die fluktuierenden erneuerbaren Energien Sonne und Wind (FEE) werden die Hauptsäule der künftigen Stromversorgung bilden.
  • Die FEE erzeugen Strom annähernd grenzkostenfrei und mit zumeist hohen Fixkosten (Investitions- und Kapitalkosten). Daher benötigen sie geeignete, hinreichende und verlässliche Refinanzierungsmechanismen.
  • Das EEG ist in Deutschland ein bewährtes Instrument, welches auch weiterhin den sich ändernden Randbedingungen angepasst werden kann. Das Prinzip des EEG, d.h. eine festgelegte Vergütung der eingespeisten Arbeit über einen vorab definierten Zeitraum zur Deckung der Fixkosten von EE-Anlagen, bietet eine verlässliche Refinanzierungsmöglichkeit und damit die erforderliche Investitionssicherheit. Um den gewünschten Zubau an FEE zu erzielen, sollte dieses Grundprinzip bei einer Weiterentwicklung des EEG beibehalten werden.
  • Die FEE benötigen im neuen Stromsystem vielfältige Flexibilitätsoptionen zur Überbrückung kurz-, mittel- und langfristiger Angebotslücken und -überschüsse. Die Flexibilitätsoptionen haben dementsprechend eine „dienende“ Funktion und müssen sich den Anforderungen der FEE anpassen. Zu diesen Flexibilitätsoptionen zählen erdgasbetriebene Gas-und-Dampf- sowie Gasturbinenkraftwerke und andere fossile Bestandsanlagen (ggf. nach Retrofit), Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (nach Flexibilisierung durch Wärmespeicher), verbrauchsseitige Maßnahmen (Demand-Side-Management), Biomasse-Anlagen sowie mittelfristig Speicher und der Austausch im Rahmen des europäischen Verbundes.
  • Um dem Einsatz der Flexibilitätsoptionen gerecht werden zu können, sollten bereits kurzfristig die Dispatchmärkte (Großhandels- und Regelenergiemärkte) an die Gegebenheiten des zukünftigen Stromsektors angepasst werden (z.B. durch verkürzte Fristigkeiten der Märkte).
  • Die Flexibilitätsoptionen benötigen geeignete Finanzierungsmechanismen. Perspektivisch erscheint ein Mechanismus für die Vergütung von Kapazitätsvorhaltung für Flexibilitätsoptionen als notwendig. Die Konzipierung solcher Kapazitätsmechanismen sollte aufgrund der Wechselwirkungen mit dem Energy-Only-Markt (z.B. höhere Börsenpreise bei Verdrängung von Altanlagen mit moderaten Brennstoffkosten) und den Risiken hoher Mitnahmeeffekte sehr sorgfältig erfolgen.
  • Der Einsatz von Speichern als Flexibilitätsoption ist gegenwärtig vor allem dort zu nutzen, wo – bevorzugt mittels einer bereits bestehenden Infrastruktur – Strommengen aus EE-Anlagen eingespeichert werden können, die andernfalls von Einspeisemanagement-Maßnahmen betroffen wären. Erst wenn das Dargebot erneuerbarer Energien den Verbrauch im Gesamtnetz in großem Umfang übersteigt, sollte es notwendig sein, diese überschüssige Energie zu speichern und zu einem späteren Zeitpunkt zu verwerten.
  • Der netzdienliche Einsatz von Speichern (um z.B. in Verteilnetzen die Aufnahmekapazitäten zu erhöhen und Spannung sowie Frequenz zu stabilisieren) kann im Einzelfall heute schon angemessen und im Effizienzvergleich zu alternativen Technologien durchaus überlegen sein. Dennoch sollte der Speichereinsatz nicht zu einer Vernachlässigung des Netzausbaus führen. Um für künftige Aufgaben als umweltfreundliche und kostengünstige Alternative zur Errichtung zusätzlicher brennstoffbasierter Kraftwerke zur Verfügung zu stehen, sollten alle aussichtsreichen Speichertechnologien und ihre Vermarktungsmöglichkeiten mit Nachdruck erforscht und erprobt werden.
  • Weiterhin werden verschiedene Typen von Erzeugungsanlagen, so genannte Must-Run-Funktionen, zur Aufrechterhaltung der Systemstabilität (z.B. zur Spannungshaltung) benötigt. Die Inflexibilitäten der Must-Run-Anlagen müssen reduziert werden, ihre Funktionen sollten sukzessive von den (F)EE übernommen werden.

4. Komplexität des Systemdesigns beachten

Ein neues Systemdesign muss der Komplexität eines nachhaltigen Energiesystems gerecht werden: Die Arbeit an der Ausgestaltung des zukünftigen Stromsystems umfasst ein breites Bündel von Maßnahmen in Bezug auf die Vergütungsmechanismen für die erneuerbaren Technologien, die Ausgestaltung und Ergänzung der Teilmärkte, aber auch die Verknüpfungen mit unterschiedlichen Netzinfrastrukturen bzw. mit dem Wärme- und Verkehrssektor. Diese vielfältigen Maßnahmen sollten stets im Gesamtkontext eines nachhaltigen Energiesystems betrachtet werden.

5. Empfehlungen

Auf Basis der o.g. Zielen und Anforderungen lassen sich folgende Empfehlungen für die Gestaltung eines neuen Systemdesign festhalten:

  • Das EEG als bewährter Refinanzierungsmechanismus sollte dahingehend weiterentwickelt werden, dass die erneuerbaren Energieanlagen in verstärktem Maße zu den System-dienstleistungen beitragen und die Auslegung der Anlagen sich stärker als bisher an den Systemerfordernissen orientiert.
  • Die Großhandels- und Regelenergiemärkte sollten sich stärker an die Rationalität insbesondere der fluktuierenden erneuerbaren Energien anpassen, z.B. durch Anpassung von Fristigkeiten und Stärkung der Kurzfristmärkte.
  • Die bestehenden Märkte zur Optimierung des Einsatzes bestehender Anlagen sollten perspektivisch um Kapazitätsmechanismen ergänzt werden, die Leistungsvorhaltung honorieren und damit garantieren, dass das öffentliche Gut Versorgungssicherheit bereit gestellt wird.
  • Die Komplexität des Systemdesigns verlangt, dass Forschung, Energiewirtschaft und Politik gemeinsam nach Lösungen suchen. Dafür bietet der FVEE seine Unterstützung an.

6. Zeithorizont

Die Aussagen des vorliegenden Positionspapiers sind auf die mittelfristigen Veränderungen des Energiesystems gerichtet (für die nächsten 10-15 Jahre). In der Folgephase, wenn der Anteil der Erneuerbaren im Strombereich 50% übersteigt und alte Kraftwerke vom Netz gehen, werden weitere Umstellungen notwendig. Dann werden auch die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr im Energiesystem noch stärker zusammenwirken.
->Quelle: FVEE-Positionspapier_SYSTEMDESIGNfvee.de