Das World Fracking Orchestra spielt auf

Auf der Titanic spielte das Bordorchester bis kurz vor dem Untergang. Es galt, Normalität vorzugaukeln und so lange wie möglich Panik zu verhindern – ob die heldenhafte musikalische Ausdauer irgendjemandes Leben verlängert oder gar gerettet hat, verbleibt im Dunkel der Geschichte unter viertausend Metern Wasser des Nordatlantiks. Das Titanic-Orchester der Gegenwart setzt sich zusammen aus virtuosen PR-Managern der großen Energieversorgungs- und Rohstoffunternehmen und aus ihren willigen Helfershelfern in den Reihen bornierter Klimaleugner – gleich, ob als bezahlte Mietmäuler oder ideologisch verblendet. Dieses Orchester – es muss eben umbenannt werden in „World Fracking Orchestra“ – hat die gleiche Aufgabe: Uns so lange wie irgend möglich glauben zu machen, dass alles in Ordnung sei. Es ist dies die Ordnung der amerikanischen Evangelikalen, die dem irrationalen Glauben frönen, der liebe Gott habe die Erde so erschaffen, dass wir sie gar nicht kaputt machen können.
Dabei erkennt inzwischen selbst die über jeden Verdacht übertriebener Klimahörigkeit erhabene Internationale Energieagentur an, dass wir nur maximal ein Drittel (wenn nicht gar nur ein Fünftel) der im Boden befindlichen fossilen Ressourcen verbrennen dürfen, wollen wir die Zwei-Grad-Grenze nicht überschreiten – mit katastrophalen Folgen für Millionen Menschen. Zwei Drittel (oder eher vier Fünftel?) des fossilen Kohlenstoffs sind „Unburnable Carbon“, der in der Erde verbleiben muss, wenn wir unseren Nachkommen nicht eine teilweise unbewohnbare Erde hinterlassen wollen.
Doch die politische Ökonomie der fossilen Wirtschaft tickt anders: Sie muss ihrem inneren Automatismus folgend – sprich: Schaden von ihren Aktionären abwendend – den Klimaschutz blockieren. Mit allen Mitteln, selbst demokratiefeindlichen. Denn ihr Börsenwert hängt von der immer neuen Ausweisung immer neuer Reserven ab; 500 Milliarden Euro investieren die 200 größten Kohle-, Öl- und Gaskonzerne jährlich in die Erschließung (und Propagierung) neuer Vorkommen – die Begriffe „peak oil“ oder „peak gas“ sind sektiererisches Teufelszeug für sie.
Jetzt haben sie das Fracking entdeckt, umweltzerstörend und rasend teuer – aber es sichert den Börsenwert seiner Verfechter – wenn auch nur für eine kurze Frist. Eine „große Wette auf die Selbstzerstörung“ nennt Jörg Haas von Campact ( siehe: solarify.eu/die-grosse-wette) das. Die Melodien des World Fracking Orchestra, vormals World Fossile Orchestra haben Naomi Oreske und Erik Conway in „Händler des Zweifels“ (siehe: solarify.eu/haendler-des-zweifels) beschrieben: An den Haaren herbeigezogene, teils absurde Argumentationen sollen wissenschaftlichen Anstrich vorgaukeln. Doch die kommen vielfach an. Denn der „Verwertungsdruck des unverbrennbaren Kohlenstoffs“ (Haas) baut auf eine menschliche Ureigenschaft, die Dieter E. Zimmer vor Jahrzehnten in der „Zeit“ sinngemäß so beschrieben hat: Wäre eine Freude damit verbunden, dass wir uns mit dem Hammer auf den Daumen hauen, und träte der Schmerz erst in zwei Jahren ein – wir würden unentwegt zuschlagen – will sagen: Wir sind noch nicht lange genug aus der Höhle heraus, um langfristig denken zu können. Verhaltensforscher wissen: Nichts ist schwerer zu verändern als alt überkommenes Denken und Handeln. So lange wird das World Fracking Orchestra weiter aufspielen. Bloß keine Panik…! -Gerhard Hofmann-