Wie die „dunklen Flauten“ überbrücken?

„Dass ein unwahrscheinliches Ereignis eintritt, ist sehr wahrscheinlich.“

Professor Ortwin Renn, Techniksoziologe und Risikoforscher an der Universität Stuttgart, richtete in seinem Kurzvortrag „Wie resilient ist die Energiewende: Von weißen, schwarzen und grauen Schwänen“ den Fokus auf die Frage nach der Widerstandsfähigkeit des Stromsystems. Je komplexer und vernetzter ein System, desto weniger ließen sich mögliche Störungen vorhersehen. „Investitionen in die Widerstandsfähigkeit erhöhen häufig die Kosten des Gesamtsystems. Sie können aber unangenehme Überraschungen und damit volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Schäden vermeiden helfen“, so Renn.

Die Risiken der künftigen Stromversorgung seien komplex, vernetzt, unterlägen vielen Einflussfaktoren, und sie seien vor allem nicht linear (häufig passiere lange nichts, dann aber trete irreversibler Schaden ein), schließlich seien sie stochastisch (zufällig). Dennoch: „Dass ein unwahrscheinliches Ereignis eintritt, ist sehr wahrscheinlich.“

Was wir tun können? In Resilienz investieren: Welche schwarzen Schwäne (analog zu Popper -Risiken) können wir uns vorstellen, und wie reagiert unser System? Wir simulieren einen Stress und sehen, wie das System mit dem Stress zurechtkommt und hoffen dann, dass es mit anderen Stresssituationen auch zurechtkommt.

Mögliche Katastrophen-Szenarien seien: Ein Versorgungsengpass führt zum Kollaps; Kostenexplosion, niemand kann mehr bezahlen; galoppierender Klimawandel tritt ein und verursacht negative Umweltaspekte; die Gesellschaft akzeptiert die Energiewende nicht, eine Steuerung des Ablaufs ist nicht mehr möglich.

Fünf Grundszenarien müssten laut Renn durchgespielt werden

  1. Rohstoffverknappung
  2. Sicherheitsprobleme (Hacker)
  3. Akzeptanzentzug
  4. Steuerung klappt nicht, Bund, Land und Kommunen arbeiten nicht zusammen, Anreizsituationen funktionieren nicht
  5. Wetterextreme

Renns zentrale Frage war: Wie müssen wir die System ausgestalten, dass Puffer die Grundszenarien aushalten, wie redundant, wie fehlerfreundlich, welche Kompensationen stehen zur Verfügung, wenn eines der Szenarien auftritt? Monitoring?

Die Kurzvorträge von Dirk Uwe Sauer und Ortwin Renn, sowie die Eingangsdiskussion gaben Impulse für die anschließende Podiumsdiskussion mit der SPD-Bundestagsabgeordneten Nina Scheer, dem Geschäftsbereichsleiter Strategie und Politik beim BDEW, Andreas Kuhlmann, und Marc Elsberg, Autor des Bestsellers „Blackout“. Die Politikredakteurin und Energieexpertin des Berliner Tagesspiegel, Dagmar Dehmer, moderierte die Gesprächsrunde mit dem Titel „Flexibel, robust, resilient: Sichere Stromversorgung 2050“.

Thematik „Zentralität und Dezentralität“

Elsberg hielt einen Zivilisationsbruch durch einen großen Stromausfall für möglich und sah arme Gesellschaften eher darauf vorbereitet, dafür seien dort hochkomplexe Industrieproduktionen nicht möglich; bei uns wäre schon eine Mangelsituation bereits Anlass für Totalausfall. Renn forderte einen Plan B zur Sicherstellung der Grundversorgung. Er verwies auf die Deep-Horizon-Katastrophe, da hatte BP lange keine Lösung vorrätig, die Norweger dagegen hätten später eine solche gehabt. Nina Scheer möchte nicht immer in Ausfallsituationen kalkulieren, grundsätzlicher, ob man etwas planen dürfe, das im Risikofall Probleme bringe – deshalb sie dezentral eben besser, weil beherrschbar.

Andreas Kuhlmann vom BDEW warf die Frage auf, wenn es stimme, dass dezentral die beste Vorsorge sei, könnte man auf die Idee kommen, man brauche die HGÜ-Leitungen gar nicht; was dann aber mit dem Strom im Norden machen? Wir bräuchten das Zusammenspiel von Zentralität und Dezentralität – am Ende gehe der Trend zum Dezentralen. Sauer plädierte für Verteilung der Risiken im Sinne von Kostensenkungen.

Renn nannte es ein Vorurteil, dass dezentrale Systeme immer einfacher und daher besser seien; viele dezentrale Organe und Einheiten seien hochkomplex vernetzt. Dezentral sei nur sinnvoll, wenn Angebot und Nachfrage ausgeglichen seien. Bei hochverdichteten Räumen mit Gewerbe müsse Energie importiert werden. Daher plädierte er dafür, „sich davon zu entfernen, das eine gegen das andere auszuspielen – man soll vielmehr im Dreieck effizient, resilient und fair Zentral und Dezentral intelligent verknüpfen“. Kuhlmann nannte es eine wichtige Frage, wie zentral und dezentral zu verbinden sei, nachdem die erste Phase der Energiewende abgeschlossen sei und sich neue Fragen stellten: Eine dieser Fragen ist laut Renn, wie die gewollte Diversitätsredundanz resilient, fair und effizient gestaltet werden könne.  Scheer plädierte dafür, die Gestaltungshoheit zu behalten: „der Zuwachs der Erneuerbaren Energien muss den Ablösungsprozess der Atomenergie gewährleisten. Die  Energiewende darf nicht nur einfach einen Zuwachs an Energie bedeuten – auch aus klimaschutz-politischen Gründen“.

Renn ging noch einmal auf das Thema „Akzeptanz“ ein – die werde in der Regel als Duldung verstanden; das sei aber bei Blackouts eher unwahrscheinlich. Zur Akzeptanz gehöre die Einsicht in die Notwendigkeit einer sinnvollen Entscheidung; dazu komme ein erwarteter Nutzen bei Risikobilanz: „Mein eigener Freiheitsspielraum darf nicht beeinträchtigt werden.“ Hilfreich sei emotionale Identifikation – Beispiel Windgenossenschaft („jedes Mal wenn, sich das Ding dreht habe ich drei Cent mehr auf dem Konto, und dann finde ich das ganz toll“).

Folgt: Energiepolitische Fachgespräche und Workshops