Roadshow der Nachhaltigkeitsforschung

12. FONA-Forum – Titel des Programms

Marquardt: Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen – neue Leitbilder für die Wissenschaft

„Forschung für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen“, hierzu sprach Wolfgang Marquardt, Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich am 15.09.2015, dem zweiten Tag: „Große gesellschaftliche Herausforderungen“ sei ein „sperriger Begriff“, daher versuchte er zunächst, ihn zu charakterisieren. Allen diesen Herausforderungen, ob Energie-, Wasser-, und Nahrungsmittel-Versorgung, ob Klimawandel, Gesundheit, Digitalisierung, vor allem aber, Befriedung gewaltsamer Konflikte, sei gemeinsam, dass sie meist viele gesellschaftliche Teilsysteme, Interessengruppen und Politikbereiche beträfen, dass sie oft nicht auf ein Land beschränkt und mit drastischen Veränderungen der Lebensgewohnheiten verbunden seien. Die notwendigen Reaktionen auf diese Herausforderungen müssten „dabei stets am Gebot der Nachhaltigkeit ausgerichtet werden“. Ökologische, ökonomische und soziale Ziele dürften „nicht gegeneinander ausgespielt, sondern [müssten] gleichrangig behandelt werden.“ Nur mit umfassenden, absichtsvollen und abgestimmten gesellschaftlichen Transformationsprozessen seien stabile Gesellschaften, globale Generationen-Gerechtigkeit zu erreichen.

In der Frage der Ausgestaltung dieser Transformationsprozesse könne die Wissenschaft zwar Beiträge leisten, Konzepte und Handlungsoptionen entwickeln, aber der hie und da gehörte Anspruch, die Wissenschaft könne diese Prozesse nicht nur erfinden und ausgestalten, sondern gar die Verantwortung für ihre Umsetzung übernehmen, sei „völlig überzogen“. Die Entscheidung über die Handlungsoptionen „ist allein das Primat der Politik.“ Politiker seien demokratisch legitimiert -und „dafür tragen sie auch die Verantwortung. Entscheidung und Verantwortung kann nur in einer Hand liegen“. Weil solche Entscheidungen oft hochkompliziert, ihre Konsequenzen kaum zu überblicken oder gar unumkehrbar seien, komme der wissenschaftlichen Beratung politischer Entscheidungsträger nicht minder hohe Verantwortung zu.

Marquardt ging dann auf die sieben wichtigsten Anregungen des Positionspapiers des Wissenschaftsrats „Zum wissenschaftspolitischen Diskurs über große gesellschaftliche Herausforderungen“ ein:

  1. Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen pluralistisch identifizieren und explizieren. Die Prioritätensetzung üben Druck aus, ihre Erwartung einer angemessenen Forschungsförderung schaffe „Anreize für eine interessengeleitete Verwendung des Begriffs der großen gesellschaftlichen Herausforderungen“.
  2. Wissenschaftliches Wissen aus unterschiedlichen Quellen zusammenführen. Diese Quellen stammen „aus unterschiedlichen Disziplinen – ggf. sogar mit neuen methodischen Ansätzen“. Interdisziplinarität sei dabei selbstverständlich, Transdisziplinarität, die auch außerwissenschaftliches Wissen einbeziehe, „wichtiges Desiderat“.
  3. Grenzen des wissenschaftlichen Wissens offenlegen. Komplexität der Systeme, umfassende Aufgabenstellung und Notwendigkeit, auch nicht ausreichend geprüftes Wissen zusammenzuführen, machen die Unsicherheit besonders hoch. Weil zudem widersprüchliche Befunde und Interpretationen frühzeitig öffentlich diskutiert würden, müssten Wissenschaftler klar sagen, welche Aussagen sicher, und welche persönliche Einschätzungen seien. Zur Vermeidung interessensgeleiteter Interpretation müssten „Interessenskonflikte unbedingt offengelegt werden“.
  4. Verschiedene Koordinationsmechanismen nutzen. Weil es für die Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen kaum klar abgegrenzte Aufgabenstellungen gebe, seien klassische Projektplanungs- und -managementinstrumente selten tauglich, müssten wissenschaftliche Strategien und politische Entscheidungen revisionsfähig bleiben, seien indirekte Koordinationsmechanismen verbunden mit Instrumentenvielfalt besser geeignet als zentrale Förder-, Koordinations- und Kontrollstrukturen.
  5. Vielfalt und Selbstkorrekturfähigkeit fördern. Die Reaktionsfähigkeit des Wissenschaftssystems müsse verbessert, seine Selbstbeobachtungs- und Selbstkorrekturfähigkeit erhöht werden. Dafür sei ein breit aufgestelltes und vielfältiges Wissenschaftssystem unerlässlich.
  6. Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen ermöglichen. Weil die Gesellschaft sich und viele Menschen ihre Lebensweise verändern müssten, brauche die Forschung neue Teilhabe-Instrumente, um damit nicht nur besser umsetzbare Ergebnisse zu erzielen, das erhöhe auch die Bereitschaft zu Verhaltensänderungen. Diese partizipativen, auf die gesellschaftliche Transformation ausgerichteten Forschungsprozesse seien ihrerseits Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.
  7. Global Governance stärken. Große gesellschaftliche Herausforderungen beträfen Akteure über nationale und geographische Grenzen und über soziale und kulturelle Unterschiede hinaus. Klimawandel, Energieversorgung oder Ernährungssicherheit können nur in grenzüberschreitenden Kooperationen unter Nutzung der global verfügbaren wissenschaftlichen Expertise bewältigt werden.

Folgt: Sieben Anforderungen: Hervorragende Grundlage für Diskurs und weitere Befassung