„Mobilität von morgen ist elektrisch, vernetzt und automatisiert“

Kultureller Wandel nötig

Eine Mobilitätswende bedeute also „sowohl einen technologischen Wandel als auch disruptive Geschäftsmodelle – und sie erfordert einen kulturellen Wandel. Hierfür benötigen wir ein weiteres Mal kluge Migrationsstrategien und einen engen Schulterschluss von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft“. Dazu habe acatech zur diesjährigen IAA die Position „Neue autoMobilität“ vorgelegt: Ein Zielbild für den automatisierten Straßenverkehr 2030, hinter dem mehr als 40 Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft stünden.

Grötschel: Hype, Realität und Chancen

Über die Chancen der datengetriebenen Wissenschaft und Wirtschaft sprach Martin Grötschel, neuer Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Der Mathematiker erläuterte, wie ungeordnete Daten modelliert und zu wertvollen Informationen veredelt werden, aber mit Chancen auch Gefahren einhergehen. Er ging zuerst in die Geschichte und stieß „sofort auf berühmte Fälle wie den Astronomen Tycho Brahe, der im 16. Jahrhundert umfangreiche Himmelsbeobachtungen mit vorher
nicht dagewesener Präzision machte. Seine Ergebnisse wiesen dann Johannes Kepler den richtigen Weg zu seiner revolutionären Veränderung des Bildes unseres Sonnensystems. Max Planck hat aufgrund vorliegender Daten die Quantentheorie postuliert, obwohl sie ihm selbst eigentlich missfiel.“ Ein weiteres Beispiel sei Jakob Fugger der Reiche, der die doppelte Buchführung durch Auffächerung nach Produkten und Regionen erweitert und so einen Informationsvorsprung erzielt habe, der ihm durch den
Einsatz von Dumping eine fast monopolartige Stellung auf dem europäischen Kupfermarkt ermöglichte.

Pastor Johann Peter Süßmilch

Grötschels wichtigstes Beispiel in der Datengeschichte aber war der Pastor Johann Peter Süßmilch, der im 18. Jahrhundert durch Studien von Geburtenregistern herausgebracht habe, „dass das Verhältnis von neugeborenen Jungen zu Mädchen stets ungefähr 106 zu 100 betrug. Der Jungenüberschuss wurde überall in der Welt bestätigt. Bis heute kennen wir keine wirklich überzeugende Theorie, die das erklärt“.
Für Grötschel „ein typisches Beispiel für datengetriebene Erkenntnis: Aus Massendaten werden Sachverhalte abgeleitet, die in der Praxis als richtig angesehen werden, ohne dass wir genau wissen, warum das so ist.“

Messdaten heute mühelos zu erhalten

Sei die Erhebung von Massendaten früher aufwändig und teuer gewesen, so fielen sie heute nahezu mühelos und unvermeidlich an und würden in vielfältiger Weise genutzt. Die meisten davon erzeuge die Kommunikationstechnik – „und dies nicht immer in Kenntnis des Nutzers. Bei meinem neuen Smartphone waren z. B. 40 Apps vorinstalliert, und fast alle wollen auf sehr viele meiner Daten zugreifen. Ich kann die Apps gar nicht deinstallieren, habe Mühe, ihnen den Zugriff auf meine Daten zu verwehren, und ich weiß nicht wirklich, was mit ihnen gemacht wird. Das erzeugt nicht nur bei mir Unruhe.“

Fortschritte nicht durch Furcht behindern

Entsprechend kontroverse Diskussionen würden über den Zugriff auf medizinische Daten geführt. Viele befürchteten, dass andere Personen oder Institutionen Kenntnisse über ihre Krankheiten erwerben und ihnen dadurch u.a. berufliche Nachteile entstehen könnten. Medizinforschung habe aber unvermeidlich hohen Datenbedarf. „Will man seltene Krebskrankheiten bei Kindern therapieren, dann wäre die Kenntnis von allen verwendeten Behandlungstechniken und den beobachteten Krankheitsverläufen wichtig. Und diese Daten müssen hohe Qualität besitzen, damit keine Fehlbehandlungen vorgeschlagen werden. Alle Erkrankten wünschen sich deswegen eine bessere Datenlage, Datenschützer haben hingegen eher die möglichen Nachteile im Auge. Hier sind Kompromisse dringend erforderlich, um Fortschritte nicht durch Furcht zu behindern.“

Folgt: Anonymisierung und positives Beispiel aus der Medizin