Gabriel und die Bürgernähe

Fritz Vorholz in „Die Zeit“ über das neue Energiewirtschaftsgesetz: Prozesswelle droht

BM Gabriel - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur ZukunftSigmar Gabriel, der für die Energiewende verantwortliche Minister, mache sich nach außen hin zwar für Bürgernähe stark – ein „Gemeinschaftsprojekt“ sei die Energiewende, steht auf der Mininsteriumswebseite, dafür brauche es „Transparenz und Dialog“. Und: „Für das Gelingen der Energiewende ist die breite Akzeptanz durch Bürgerinnen und Bürger zentral.“ Viele seien zunehmend bereit, „den Umbau der Energieversorgung selbst aktiv mitzugestalten, und fordern mehr Beteiligung ein“. Man müsse eine „neue Dialogkultur entwickeln“, die alle Interessierten einbeziehe und die verschiedenen Belange der Betroffenen berücksichtige. Die Realität aber sehe anders aus, konstatiert Fritz Vorholz in „Die Zeit“: „Kommunen, die das lokale Stromnetz selbst betreiben wollen, werden immer häufiger verklagt. Die Regierung hat Besserung versprochen. Die Realität sieht jedoch anders aus.“

Wenn sich die auf der Webseite so wichtig genommenen Bürger nach der Devise „Energiewende vor Ort“ einmischen „und beispielsweise selbst die örtlichen Strom- oder Gasnetze betreiben“ wollten, landeten sie inzwischen fast regelmäßig vor Gericht. Schuld daran sei eine Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes, die auf das Bundeskartellamt, die Rechtsprechung und auf Gabriels Amtsvorgänger Philipp Rösler (FDP) zurückgehe. Kommunale Spitzenverbände sehen bereits das im Grundgesetz garantierte Recht auf kommunale Selbstverwaltung ausgehöhlt. Das hätten Union und SPD zwar schon im Koalitionsvertrag 2013 heilen wollen. „Doch der von Gabriel vor Kurzem präsentierte und vom Kabinett bereits beschlossene Gesetzentwurf klärt nach Auffassung vieler Juristen keine der vielen offenen Fragen“, stellt Vorholz fest. „Eher verschlechtere er sogar den Status quo, sagt Christian Theobald, Rechtsanwalt in der Berliner Kanzlei Becker Büttner Held. Der Freiburger Energierechtsexperte Dominik Kupfer hat Gabriels Vorhaben in einer 50seitigen Expertise Satz für Satz seziert – mit dem Ergebnis, die Zielsetzung des Koalitionsvertrages werde verfehlt: und zwar ‚klar und sicher'“.

Ebenso deutlich wurde auch der Bundesrat: „Die aktuelle Formulierung im Entwurfstext verringert die Rechtssicherheit, engt den Spielraum der Kommunen bei der Festlegung, Gewichtung und Bewertung der Auswahlkriterien entsprechend den jeweiligen örtlichen Verhältnissen noch weitgehender als der Bundesgerichtshof ein und bewirkt insbesondere, dass die durch die örtlichen Netzkunden zu entrichtenden Netzentgelte bei der Auswahlentscheidung marginalisiert werden.“, heißt es in seiner Stellungnahme.

Wenn der Bundestag das Energiewirtschaftsgesetz trotz der Bedenken verabschiedet, hätte das laut Vorholz „weitreichende Folgen:

  1. Weil viele Gemeinden sich aus Furcht vor langwierigen Gerichtsverfahren zunehmend scheuen, die Netzkonzessionen an kommunale Unternehmen zu vergeben käme erstens der Wettbewerb um die Netze zum Erliegen.
  2. Zweitens bliebe die Bürgernähe auf der Strecke, wären ortsfremde Unternehmen, meist Ableger von RWE & Co. strukturell im Vorteil.
  3. Drittens könnte die andauernde Rechtsunsicherheit sogar Investitionen verzögern, auch solche, die für das Gelingen der Energiewende nötig sind: zum Beispiel in smart grids, die Strom nicht nur zum Endverbraucher transportieren, sondern auch umgekehrt – von Hausdächern ins Netz.“

[note Gabriel zementiert: Kommunal => Staatswirtschaft!
Spätestens nach 20 Jahren müssen Kommunen örtliche Stromverteilnetze neu ausschreiben. In den vergangenen zehn Jahren ist dabei ein zunehmender Trend zur Rekommunalisierung erkennbar gewesen. Damit könnte jetzt endgültig Schluss sein. Denn Nutznießer der Gesetzesänderung aus dem BMWi sind einseitig große Konzerne, welche die Ausschreibungen am Fließband beantworten und daher deutlich einfacher alle Formalitäten erfüllen können. Kommunale Anbieter und Stadtwerke haben nur geringe Chancen mitzuhalten. Wer als Kommune den Netzbetrieb selbst in die Hand nehmen will, begibt sich auf rechtlich sehr unsicheres Gebiet. Wagt eine Stadt dennoch den Schritt, dann wird so schnell wie möglich durch Anwalts-Hundertschaften der Stromgrößen versucht, die Vergabe anzufechten. In keinem anderen Gebiet der Energiewirtschaft geraten Bundesinteressen so stark in Konflikt mit der Bürgernähe. Es wundert nicht, dass die Zeit ihrem Beitrag den Titel „Was Gabriel unter Bürgernähe versteht“ gegeben hat. Stimmt die Weichenstellung aus Berlin nicht mit den lokalen Interessen überein, dann knallt es lokal. Es fällt schwer, den Einfluss von Bürger und Lobby hier als ausgewogen zu betrachten. Nach Thorsten Zoerner auf halbgedacht.]

Der Wettbewerb um die rund 20.000 Konzessionen für Strom- und Gasnetze in Deutschland soll laut Vorholz den Missbrauch des natürlichen Monopols verhindern, aber durch den Trend zur Rekommunalisierung entgehen den großen EVU einerseits die Gewinne, die sich mit dem Betrieb des Netzes erwirtschaften lassen, andererseits sinken aufgrund von Energiewende und Atomausstieg ihre Erlöse aus Stromerzeugung und Vertrieb…

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