World Ocean Assessment – Überblick ohne Tiefgang

„Die Forschung geht in die Tiefe, die UN bleibt lieber an der Oberfläche“
Von Sebastian Tilch

Das World Ocean Assessment kennt kaum jemand. Dabei steckt in diesem globalen Rundumschlag über die Zustände und Belastungen der Meere enorm viel Arbeit. Auf mehr als 1.700 Seiten haben Hunderte von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit im Auftrag der Vereinten Nationen ehrenamtlich den aktuellen Wissensstand zusammengetragen. Der Bericht soll helfen, die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN (SDGs) bis 2030 umzusetzen. Darüber hinaus soll es die Grundlage für Teile des globalen Assessments des Weltbiodiversitätsrats IPBES sein. Doch um tatsächliche politische Prioritäten im globalen Meeresschutz setzen zu können, bleibt der Bericht zu stark an der Oberfläche, kritisieren Experten.

Seit Januar dieses Jahres ist sie im Netz, die wohl erste und – wenn überhaupt möglich – vollständige Beschreibung des Zustands und der Bedrohung der Ozeane – das World Ocean Assessment. Im Jahr 2002 beim UN-Nachhaltigkeitsgipfel in Johannisburg in Auftrag gegeben, 2006 aktiv gestartet, liegt nach vielen Jahren Arbeit ein Mammutwerk nicht nur über die Ökologie, sondern auch über die Bedeutung der Ozeane und Meere für die Menschheit vor. Der Bericht behandelt in 55 Kapiteln überblicksmäßig die verschiedenen Ökosystemleistungen, die die Meere uns zur Verfügung stellen, die Biodiversität der verschiedenen Regionen und die Vielzahl an menschlichen Aktivitäten, die die Ökosysteme unter Druck setzten.

In Anlehnung an die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs), die vergangenen Herbst mit einem eigenen Ziel zum Meeresschutz, beschlossen wurden, liegt der Schwerpunkt des Assessments auf der Bedeutung der Meere für die Nahrungssicherung. So würden 17 Prozent der globalen Versorgung mit tierischem Eiweiß über Fisch gedeckt. Zwei Drittel davon würden in Asien konsumiert. Den höchsten Stellenwert in der Ernährung haben Meerestiere in den ärmsten Ländern.

„In der Arktis hat der Klimawandel, oder besser die mit dem Klimawandel einhergehenden Umweltveränderungen wie der Meereisrückgang, die größte Bedeutung für die aktuell schon stattfindenden oder sich anbahnenden Entwicklungen“, sagt Prof. Dieter Piepenburg, Polarforscher am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar-und Meeresforschung (AWI). Die Erwärmung geht dort doppelt so schnell voran wie im globalen Durchschnitt. Seit Ende des letzten Jahrhunderts haben die meereisgebundenen Arten rund 2 Mio. Quadratkilometer an Lebensraum verloren, unter anderem Algenarten, die die Primärproduzenten des Ökosystems darstellen. Dies wirkt sich auf die gesamte Nahrungskette aus bis hin zu wandernden Tierarten wie Walen.

Wer sich tatsächlich die Mühe macht, die 1.700 Seiten oder auch nur die Zusammenfassung von 50 Seiten zu lesen, weiß zumindest, welche Probleme es in und um die Ozeane der Welt gibt, auch, welche Regionen welche Probleme haben bzw. die Lebewesen, die dort vorkommen. Über einen guten Überblick geht das World Ocean Assessment allerdings nicht hinaus. „Unter einem Assessment verstehe ich etwas anderes, nämlich eine Abschätzung, nicht nur Beschreibungen“, kritisiert auch Prof. Julian Gutt, ebenfalls vom AWI. Der Bericht bleibe durch das gesamte Dokument hindurch unkonkret und rein qualitativ. Das mache den Bericht sicherlich leicht politisch akzeptierbar, aber er beantworte keine gesellschaftlich relevanten Fragen.

Die Autoren schreiben im Vorwort auch, dass der Auftrag der UN-Vollversammlung weder eine Analyse von bisherigen Politikansätzen noch –empfehlungen enthalten habe. Entsprechend habe man auf eine Gewichtung der Triebkräfte und Probleme bewusst verzichtet und der Politik bzw. etwaigen Folgeanalysen überlassen. Damit wurde eine Chance vertan, wirkliche Impulse in der Meerespolitik zu setzen. Gerade konkrete Folgerungen wissenschaftlicher Analysen für effektive Maßnahmen seien jene Elemente, die solche Papiere für die Politik nützlich machten, meint auch die Biodiversitätsreferentin der GRÜNEN-Bundestagsfraktion Kathrin Blaufuß. Das World Ocean Assessment gehöre nicht zu den Berichten, die für ihre praktische politische Arbeit nützlich sei.

Denn tatsächlich ist man auf politischer Eben schon viel weiter. So empfiehlt die UN-Biodiversitätskonvention CBD in ihrem Bericht an ihre Vollversammlung im kommenden Dezember in Mexiko beispielsweise, Maßnahmen gegen Verunreinigung und Mülleintrag in den Küstenregionen zu ergreifen. Welche Maßnahmen das sind, sollte eigentlich ein entsprechendes wissenschaftliches Assessment beantworten können. Fraglich ist auch, inwieweit das Assessment als Grundlage für ein IPBES-Assessment reicht, in dem ja die Politikoptionen ein wesentlicher Bestandteil sein sollen.

Für einen weitschweifenden Blick auf die Ozeane am internationalen Tag der Meere von der Oberfläche aus ist das World Ocean Assessment sicherlich eine gute Grundlage. Selbst wenn das nicht in der Absichtserklärung des UN-Generalsekretärs steht.

Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland ist nach eigener Darstellung „ein Projekt zur inter- und transdisziplinären Vernetzung und Sichtbarmachung der Biodiversitätsforschung in Deutschland über Institutionsgrenzen hinweg. Es wird gefördert durch das BMBF und maßgeblich durchgeführt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig – UFZ sowie dem Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung Berlin.“

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