Das süße Gift des (Klima-)Zweifels

Die New York Times hält sich seit Neuestem einen Klimaleugner als Kolumnisten. Karl Poppers Lehre, dass Wissenschaft nicht zu verifizieren, also zu beweisen, sondern Hypothesen zu falsifizieren habe, missbraucht mancher als Mäntelchen scheinbar progressiven Zweifels: Pulitzer-Preisträger Bret Stephens fordert in seiner allerersten Kolumne in der „Gray Lady“ genannten NYT, weil die Wissenschaft den Klimawandel zu 100 Prozent für sicher halte, seien Zweifel angebracht: „Normale Bürger“ hätten ein „Recht, skeptisch gegenüber einer übertriebenen Wissenschaftsgläubigkeit zu sein“. Sie wüssten – „was alle Umweltschützer wissen sollten“ – dass die Geschichte zugemüllt sei von „wissenschaftlichen Fehlern, die mit politischer Macht verheiratet“ gewesen seien. Wäre Hillary Clinton weniger „gewiss“ gewesen, wäre sie heute Präsidentin, so Stephens, der seine Kolumne mit einem Zitat des Polen Czeslaw Milosz überschreibt: „Wer sagt, er habe 100 Prozent Recht, ist ein Fanatiker, ein Verbrecher und die schlimmste Art von Lump.“ Aber: Kein seriöser Klimawissenschaftler hat jemals behauptet, es gebe 100prozentige Gewissheit über den Klimawandel; von Wahrscheinlichkeiten ist stets die Rede. Klimaskeptiker (präferierte Selbstbezeichnung) erkennt man daran, dass sie Beweise für den anthropogenen Klimawandel fordern – die es nicht gibt. Und siehe da: Nicht nur laut Wikipedia ist Stephens als „Trump-Gegner von rechts“ und „Klimaleugner“ bekannt. Seine Kolumne: schlicht unseriös, demagogisch – kein Ruhmesblatt für die 165jährige Prestigezeitung mit der größten Redaktion der USA und dem Wahlspruch „All the news that’s fit to print“. Immerhin ist das Verhältnis von Klimawandel-Wahrscheinlichkeit zu -Unwahrscheinlichkeit etwa 96:4. Das hindert aber viele Medien, allen voran die Talkshow-Sintflut bei uns, nicht daran, immer wieder die Gleichen aus dem versprengten Häuflein der Skeptiker einzuladen – aus drei Gründen: Leben in der Sendung, ein Trump-Befürworter soll her, und vorgebliche Ausgewogenheit (siehe: solarify.eu/missverstandene-ausgewogenheit). Wir sind Zeugen eines epochalen Wandels: Bisher unseriöse bis lächerliche Argumente und Praktiken bis hin zur radikalen Wissenschaftsfeindlichkeit werden hoffähig – ein weltweiter Ruck nach rechts. Beim March for Science am 22.04.2017 zeigte sich, dass weder die Medien noch die Wissenschaft – ganz gleich in welchem Land – vor schleichender Anpassung sicher sein können. Wir alle müssen aufpassen – und uns einmischen (s. auch: solarify.eu/trumpozaen).
-Gerhard Hofmann-