Gegen den Plastikhorror

Wir sind Weltmeister: Ja, im Fußball (noch, mal sehen), aber hier ist jetzt der Plastikmüll gemeint. Kein EU-Land schmeißt so viel Verpackungsmüll weg wie Deutschland. Als der zuständige EU-Vizepräsident Frans Timmermans am 28.05.2018 den Plan zur Plastikmüll-Verminderung in Europa vorstellte, fiel sein Blick auf eine kleine Plastikflasche Mineralwasser die – wie üblich – vor ihm auf dem Rednerpult stand. Er hielt sie kurz hoch und kommentierte trocken:„Ich glaube, dass wir noch einiges zu tun haben“.
26 Mio. t Plastikmüll produzieren die Europäer im Jahr, Deutschland mit 37,4 Kilo pro Kopf 6 kg mehr als der EU-Durchschnittsbürger. Davon wird weniger als als ein Drittel recycelt. 500.000 t landen jährlich im Meer. Dort kreisen bereits 140 Mio. t Plastik. 1,6 Mio. km² (andere Schätzungen nennen gar 15 Mio) soll der Nordpazifische Müllstrudel (Great Pacific Garbage Patch) bereits messen. Damit könnte allein dieser eine Unratkreisel größer als Europa sein. Und das Plastik verschwindet nicht. Statt das es verrottet, sich in seine ursprünglichen Bestandteile auflöst, zerbröselt es in immer kleinere Stückchen – Mikroplastik. Das findet sich nicht nur im Wasser, sondern auch im Boden, zum Beispiel als Überreste von – oft zu Unrecht für „biologisch abbaubar“ erklärten – Plastiktüten im Kompost. Auf dem Weg über die Nahrungskette gelangt der Plastik-Feinstaub in den menschlichen Organismus, oft mit allen möglichen Schadstoffen kontaminiert – hier ist Raum für weitere Forschungen: noch wissen wir zu wenig darüber.
Noch ist auch zur Euphorie (wie sie vielfach spontan zu hören war) kein Anlass, denn bis zur endgültigen Einigung zwischen Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten werden Jahre vergehen, dann folgt die zeitraubende Umsetzung der Direktive in nationales Recht – inklusive Klagen für die Säumigen vor dem EuGH. Das dauert. Und so lange wandern weiter jährlich 66.000 Müllwagenfüllungen Plaste in unsere Meere – oder mehr.
Die Wegwerfprodukte durch Bioplastik zu ersetzen ist nicht umweltfreundlich. Höhere Kosten für Kunststoff, Wiederverwendung und Pfandsysteme müssen Kernelemente einer wirksamen Strategie gegen Plastikmüll sein. Die Mehrwegquote von 70 Prozent (jetzt nur 42) für Getränkeverpackungen muss endlich erreicht werden, das Einwegpfand ausgeweitet; eine generelle Abgabe (Vorschlag 20 Cent) auf Plastiktüten, Wegwerfbecher und Kunststoffflaschen, die bislang nicht auf der EU-Verbotsliste stehen, muss her. Insgesamt ist der EU-Vorstoß ein – begrüßenswerter – Anfang, aber auch nicht mehr. Mit dem Verbot einzelner Plastikprodukte ist es nicht getan, eine Lösung des gesamten Plastikproblems steht aus. Die kann nur dann erreicht werden, wenn EU-weit Wiederverwendungsquoten für Verpackungen festgelegt und Plastik ganz allgemein schon in der Produktion – aber auch später am Ladentisch – durch Abgaben, Steuern oder Gebühren verteuert wird. Nur wenn sie es im Geldbeutel spüren, gehen Produzenten – und Konsumenten – sparsamer mit Kunststoff um. -Gerhard Hofmann-