Premiere für „Vehicle-to-Grid“

Erstes Elektroauto im Markt für Primärregelenergie

Keine falsche Bescheidenheit beim neuen gemeinsamen Projekt von The Mobility House, Nissan und Enervie eines ins Stromnetz integrierten Elektroautos: „E-Auto Nissan Leaf stabilisiert deutsches Stromnetz“ – es wird einiger Zehntausend solcher Autos bedürfen, bis die Feststellung zutrifft. Der gleichlautende Werbetext der drei ist aber insgesamt nicht zimperlich: „Nissan Leaf erstmalig nach Richtlinien der Netzbetreiber (ÜNB) wie ein Großkraftwerk präqualifiziert“.

Das Firmenkonsortium aus den drei Unternehmen feiert das innovative Pilotprojekt als „Durchbruch auf dem Weg zur Etablierung der Vehicle-to-Grid-Technik in Deutschland“. The Mobility House habe mit seiner Lade- und Energiemanagement-Technologie die Anforderungen der ÜNB sichergestellt. Jedenfalls ist die intelligente Integration von Elektroautos in das Energiesystem ist einen weiteren Schritt vorangekommen.

schrieb am auf pv magazine, „dass Elektroautos ihren Strom aus dem öffentlichen Stromnetz beziehen, ist völlig normal. Dass sie ihn bei Bedarf aber auch wieder einspeisen, um das Stromnetz zu stabilisieren, ist in Deutschland ein Novum. Das Münchner Unternehmen The Mobility House, der Fahrzeugbauer Nissan und der Energieversorger Enervie haben nun in Hagen erstmals die Bereitstellung von Primärregelleistung durch einen Nissan LEAF vorgeführt. Dafür hat das Elektrofahrzeug in Kombination mit einer entsprechenden Ladesäule zunächst den nötigen Präqualifizierungsprozess durchlaufen. Anschließend wurde das Fahrzeug in ein größeres Batteriespeicher-Portfolio von Enervie integriert. Offiziell fungiert das Elektroauto mit der darin enthaltenen 40-Kilowattstunden-Batterie nun als Kraftwerk.“

Zusatzerlöse als Anreiz für Intelligenz

Die zunehmende Nutzung Erneuerbarer Energien führt laut der Medienmitteilung zu Schwankungen im Netz. Diese gilt es in einem ersten Schritt durch die Erbringung von Primärregelleistung auszugleichen, um in Sekundenschnelle drohende Stromausfälle zu verhindern. Elektroautos können dabei eine wichtige Rolle spielen. Die bidirektionale Ladefähigkeit des Nissan Elektrofahrzeugs ist Voraussetzung zur Integration in das Projekt auf dem Firmengelände von ENERVIE in Hagen. In Kombination mit der innovativen, intelligenten Lade- und Energiemanagement Technologie von The Mobility House werden die Lade- und Entladevorgänge gesteuert und kontrolliert.

Damit sind die beteiligten Partner dem Elektromobil als Teil des intelligenten Stromnetzes einen großen Schritt nähergekommen. Erik Höhne, Vorstand des Energieversorgers Enervie (Foto Mitte), erklärte den Nutzen dieser neuen Lösung aus der Sicht eines Verteilnetzbetreibers: Wenn wir in Deutschland eine flächendeckende Elektromobilität erreichen wollten, würden sich daraus auch Herausforderungen für das Stromnetz ergeben. „Wenn zum Beispiel alle nach der Arbeit um 19 Uhr ihr Auto laden wollen, dann wird eine erhebliche Leistung abgefragt.“ Eine Lösung wäre mehr Kupfer in die Erde zu bringen. Das sei aber nicht „intelligent“ und zudem teuer. Besser sei es, Anreize für intelligentes Laden zu geben. Dann entscheide nicht mehr der Kunde, wann geladen wird, sondern der Netzbetreiber. Damit die Kunden das auch wollen, müssten Anreize geschaffen werden. Und Zusatzerlöse aus der Primärregelenergiebereitstellung könnten so ein Anreiz sein.

Lösung ab kommendem Jahr erhältlich

Guillaume Pelletreau, Geschäftsführer von Nissan Center Europe, wies darauf hin, dass „Elektromobilität mehr als nur ein Autogeschäft“ sei. Sein Unternehmen habe weltweit schon mehr als 370.000 Elektrofahrzeuge verkauft. Darüber hinaus habe Nissan aber auch schon an der Errichtung von stationären Speichersystemen mitgewirkt, zum Beispiel für die Amsterdam Arena, in der 148 gebrauchte Nissan LEAF-Batterien in einer 2nd-Use-Anwendung zum Einsatz kommen. Die Großbatterie mit insgesamt rund drei Megawatt Leistung fungiere dabei nicht nur als Backup-System für die Arena, sondern stelle ebenfalls Netzdienstleistungen bereit. Die Technologie, die Nissan am Dienstag in Hagen vorführte, sei ab kommendem Jahr auf dem deutschen Markt erhältlich. Dann würden vermutlich erst Pilotprojekte mit einigen Großkunden umgesetzt, in der dann auch individuelle Erlös-Konzepte entwickelt würden.

Unterstützung für die Übertragungsnetze

Eine Einschätzung aus der Sicht eines Übertragungsnetzbetreibers gab Andreas Walczuch von Amprion (Foto li.). In Kontinentaleuropa würden rund 3000 Megawatt Primärregelleistung vorgehalten. In Deutschland seien es etwa 600 Megawatt. Der deutsche Markt für Primärregelleistung habe in den vergangenen Jahren zudem eine signifikante Veränderung durchgemacht. Im Jahr 2014 habe es praktisch noch keine Batteriespeicher im Netz gegeben, die Primärregelleistung bereitgestellt haben. Dank hoher Investitionen seien in den Jahren 2015 bis 2018 mehr als 200 Megawatt Batteriespeicher-Leistung in die Netze integriert und für die Primärregelleistung zugelassen worden. „Diese Dienstleistung kann auch durch Elektroautos übernommen werden“, sagte Walczuch. Und aufgrund der erwarteten Marktentwicklung für Elektrofahrzeuge könne sich daraus auch ein sehr interessanter Anwendungsfall im Bereich der Regelleistung ergeben.

Speicher nicht mehr diskriminieren

Andreas Riemkus, Mitglied des Deutschen Bundestages für die SPD, sprach von einem „fulminanten Schritt in der Sektorenkopplung“. Denn viele Autos blieben 23 Stunden am Tag ungenutzt. Elektroautos könnten nun in dieser Zeit einen Zusatznutzen für das Stromnetz liefern. Zudem kritisierte er die derzeitige Regulierung von Speichersystemen, bei der sowohl beim Ein- aus auch beim Ausspeichern EEG-Umlage gezahlt werden müssen. Er wolle sich für eine Ende dieser Regelung einsetzen. Es müsse auch unterschiedliche Anforderungen geben, je nachdem ob ein Speicher als netzdienlicher Booster, Kurz- oder Langfristspeicher eingesetzt wird.

Für Intelligenz sind Daten nötig

Bernhard Schaefer, Geschäftsführer der BDEW-„Landesgruppe NRW – Elektromobilität“, wies darauf hin, dass es letztlich darum gehe, die CO2-Ziele zu erreichen und fossile Kraftstoffe zu ersetzen. Dafür müsse man den Verbraucher vom Gesamtsystem überzeugen. Denn wenn Elektroautos das Energiesystem stützen sollen, sei es auch nötig die Daten der Elektrofahrzeuge und Ladestation zu verarbeiten. „Dazu müssen wir Überzeugungsarbeit leisten“, sagte er. „Aber ohne die Daten geht es nicht.“ Dem stimmte Markus Emmert vom Bundesverband E-Mobilität teilweise zu. Sein Verband setze sich schon seit langem dafür ein, dass die Hersteller ihre Daten teilen. Das sei aber schwierig und man müsse vorher auch klären, welche Daten den überhaupt gebraucht werden und wem die Daten gehören. Aber spätestens wenn wir den nächsten Schritt in der Mobilität hin zum autonomen Fahren gingen, seien detaillierte Daten unabdingbar.

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