Bundesregierung über „Wert der Natur“

Keine Zahl über externalisierte Kosten

„Die volkswirtschaftlichen Folgen des Verlustes von biologischer Vielfalt sind von der Allgemeinheit zu tragen und mindern Naturkapital und Wohlfahrt“. Eine anerkannte Zahl als Summe dieser externen Kosten in Deutschland gebe es allerdings nicht. Das erklärt die Bundesregierung – so der parlamentseigene Pressedienst heute im bundestag – in ihrer Antwort (19/7971) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, „welche Bilanzierungs- und Berichtspflichten zur Erfassung von Naturkapital und Ökosystemdienstleistungen Deutschland im Rahmen internationaler Abkommen, Initiativen und Institutionen eingegangen ist und wie diese erfüllt werden“.

Hochwasser am Rhein bei Wiesbaden – Foto © Franziska Vogt für Solarify

Ergebnisse der Fallstudien im Projekt „Naturkapital Deutschland“ hätten gezeigt, dass der Verlust natürlicher Auen „mitverantwortlich ist für die Schäden durch Hochwasserkatastrophen“ in Deutschland. Die für land- und forstwirtschaftliche Zwecke entwässerten Moorböden würden „mit einer Freisetzung von etwa 41 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr zu 40 Prozent der gesamten Klimagas-Emissionen aus der deutschen Landwirtschaft“ beitragen, heißt es in der Antwort. Durch Umwandlungen von Dauergrünland in Acker seien zudem wichtige Ökosystemleistungen, wie etwa die Speicherung von Kohlenstoff als Beitrag zum Klimaschutz oder die Minderung von Nitrateinträgen in das Grundwasser, verloren gegangen.

In Zukunft würden die nationalen Berechnungen im Bereich Naturkapital weiter fortentwickelt, so die Bundesregierung. Eine vollständige Umsetzung der international verabschiedeten Ziele bis ins Jahr 2020 werde aber wegen „der methodisch anspruchsvollen und komplexen Aufgabe sowie der aktuell noch unzureichenden Datenbasis“ nicht möglich sein. (hib/LBR)

Zum Stand der Erfassung des Wertes der Natur in gesellschaftlichen Berichtssystemen

V o r b e m e r k u n g   d e r   F r a g e s t e l l e r

Das Artensterben hat mittlerweile dramatische Auswirkungen angenommen. Täglich sterben über 100 Pflanzen oder Tierarten unwiederbringlich aus. Ohne eine intakte Natur gefährden wir unsere Lebensgrundlage. Saubere Luft, fruchtbare Böden, Nahrungsmittel und Trinkwasser brauchen funktionierende Ökosysteme. Die Folgen von geschädigten Ökosystemen haben auch volkswirtschaftliche Kosten. Daher gibt es Bestrebungen, den Wert der Natur und ihre Dienstleistungen für das Wohlbefinden der Menschen sichtbar zu machen und zu zeigen, wie sehr wir Menschen von einer intakten Natur abhängig sind. Bodenfruchtbarkeit, saubere Luft und trinkbares Wasser sind unverzichtbar für unsere Lebensgrundlagen und tragen maßgeblich zu unserem Wohlstand bei. Den Wert und die Rolle, die diese Naturfunktionen für uns Menschen, die Gesellschaft als auch unserer Wirtschaft beitragen, wird nirgends sichtbar gemacht. Damit werden auch die Verluste, die entstehen, wenn Natur zerstört wird, nicht beachtet.

Vor diesem Hintergrund mehrten sich international Initiativen, die Leistungen von Ökosystemen und die damit verbundene biologische Vielfalt für Mensch und Gesellschaft angemessen zu erfassen und Ökosysteme und Ökonomie als ein Gesamtsystem zu verstehen, etwa im Rahmen des Überkommens über die biologische Vielfalt (CBD), der internationalen TEEB-Initiative (The Economics of Ecosystems and Biodiversity) oder auch der von der Weltbank unterstützten WAVES-Initiative („Wealth Acoounting and Evaluation of Ecosystem Services“). Auch die EU-Biodiversitätsstrategie 2020 hat die Verbesserung der Kenntnisse über Ökosysteme und Ökosystemleistungen zum Ziel. Im Jahr 2011 verpflichteten sich die Mitgliedstaaten darin – mit Unterstützung der Europäischen Kommission –, bis 2014 den Zustand der Ökosysteme und Ökosystemleistungen in ihrem nationalen Hoheitsgebiet zu kartieren, zu bewerten und bis 2020 die Ergebnisse zu Ökosystemen und deren Leistungen in die Rechnungslegungs- und Berichterstattungssysteme auf EU- und nationaler Ebene zu integrieren.

Diese neueren Ansätze, Diskurslinien und Erfahrungen auf internationaler Ebene und in einigen anderen Ländern würden in den offiziellen deutschen Berichterstattungssystemen nicht aufgegriffen, weder im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung noch in den bislang vorliegenden Systemen der Volkswirtschaftlichen und Umweltökonomischen Gesamtrechnungen.

Mit dieser Kleinen Anfrage soll daher der Frage nachgegangen werden, welche Bilanzierungs- und Berichtspflichten zur Erfassung von Naturkapital und Ökosystemdienstleistungen Deutschland im Rahmen internationaler Abkommen, Initiativen und Institutionen eingegangen ist und wie diese erfüllt werden. Denn die Integration dieser Werte in die Volkswirtschaftlichen und insbesondere die Umweltökonomischen Gesamtrechnungen könnte dazu beitragen, Politik und Wirtschaft bei Entscheidungen über entsprechende Maßnahmen und über Finanzierungsmechanismen für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen zu unterstützen.

V o r b e m e r k u n g   d e r   B u n d e s r e g i e r u n g

Zu den Kernbedingungen des Wohlstands gehört auch die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen inklusive ihrer Anpassungsfähigkeit und Ökosystemleistungen. Aber seit vielen Jahren nimmt die biologische Vielfalt weltweit und in Deutschland ab; wir überschreiten die planetaren Belastungsgrenzen in diesem Bereich und setzen uns so einem hohen Risiko nicht tolerierbarer ökologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Folgen aus. Denn die Natur, die in erster Linie aus ökologischen und ethischen Gründen zu erhalten ist, liefert dem Menschen auch Leistungen, von denen unsere Nahrung, unser Wohlergehen und die wirtschafte Entwicklung abhängen. Nur wenn dieses Naturkapital geschützt und erhalten wird, kann es die Bedürfnisse heutiger und künftiger Generationen sichern und wichtige Ökosystemleistungen für die Menschen dauerhaft erbringen.

Hierzu zählen z. B.:

  • Beitrag zum Klimaschutz von Ökosystemen, insbesondere von Wald und Böden einschließlich Renaturierung von Mooren,
  • Beitrag zur Senkung der Folgekosten des Klimawandels (Minderung von Hochwasser-schäden z. B. durch intakte Auen, Abpufferung von Wetterextremereignissen, u. a.),
  • Beitrag zur Wasserreinhaltung und zum Trinkwasserschutz durch Verringerung der Umweltbelastungen durch abnehmende Stickstoffüberschüsse,
  • Verminderung der Bodenerosion,
  • Erhaltung von Bestäubungsleistungen und Kontrolle von Schadorganismen,
  • Land- und forstwirtschaftliche Produktion für Nahrungs- und Futtermittel sowie nachwachsende Rohstoffe (Ersatz für fossile Rohstoffe),
  • Erholungsfunktion,
  • regionale Wertschöpfung und Förderung des Tourismus durch attraktive Naturräume (z. B. Nationalparke).

Die Europäische Kommission schätzt den volkswirtschaftlichen Nutzen für das EU-weite Natura 2000-Netz auf rund 200 bis 300 Mrd. Euro pro Jahr. Allerdings sind die positiven wirtschaftlichen Effekte der Ökosystemleistungen nicht immer monetarisierbar bzw. es gibt bisher nicht zu allen Leistungen entsprechende Studien.

Die Werte von Biodiversität, Ökosystemen und deren Leistungen sollen zukünftig besser erfasst, bewertet und auch in die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungssysteme integriert werden, um neben dem Human- und Sachkapital auch die Natur als produktiven Faktor einzubeziehen, ihre Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft umfassender zu erkennen und langfristig besser sichern zu können.

Hierzu wurden auf europäischer und internationaler Ebene politische Ziele beschlossen als Teil der EU-Biodiversitätsstrategie für das Jahr 2020 (Ziel 2, Maßnahme 5), des Strategischen Plans zur Umsetzung des Überkommens über die biologische Vielfalt (Ziel 2) sowie der globalen Entwicklungsziele für das Jahr 2030 (Ziel 15.9 der Sustainable Development Goals). Damit sind jedoch noch keine rechtlich bindenden Berichtspflichten verbunden.

Der Ausschuss für das Europäische Statistische System (AESS) hat am 7. Februar 2019 befürwortet, dass eines der vordringlich zu entwickelnden Zukunftsthemen bei der Fortschreibung der Europäischen Strategie für Umweltökonomische Gesamtrechnungen das Thema Ecosystem Accounting sein soll, da hier seitens der Politik eine hohe Priorität gesehen wird. Diese Entscheidung wurde auch von Deutschland unterstützt.

Auch im Rahmen des Weltbiodiversitätsrats IPBES wird derzeit ein Bericht (Assessment) zu den vielfältigen Werten der biologischen Vielfalt erarbeitet, der voraussichtlich im Jahr 2021 erscheinen wird. Ein entscheidender Impuls für all diese internationalen Beschlüsse und Prozesse war die im Jahr 2007 von Deutschland und der Europäischen Kommission initiierte globale TEEB-Studie („The Economics of Ecosystems and Biodiversity“) zur Verdeutlichung des Wertes der Natur.

Auf der Grundlage des Kyoto-Protokolls berichtet die Bundesregierung zu den Treibhausgasemissionen Deutschlands. Hierzu gehört auch die Berichterstattung zum Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft, die jährlich zu den Emissionen aber auch den Festlegungen in diesem Sektor berichtet.

Die Bundesregierung wird die nationalen Berechnungen im Bereich Naturkapital fortentwickeln. Angesichts der methodisch anspruchsvollen und komplexen Aufgabe sowie der aktuell noch unzureichenden Datenbasis wird eine vollständige Umsetzung der hierzu international verabschiedeten Ziele bis Jahr 2020 nicht möglich sein. Wichtig ist die verstärkte Förderung wissenschaftlicher und praktischer Arbeiten zur Erfassung von Ökosystemleistungen und externen Umweltkosten, hierbei sind die Bedürfnisse der Umweltökonomischen Gesamtrechnungen zu berücksichtigen. (Folgen 19 Fragen und Antworten auf 16 Seiten)

Solarify fragt sich: „Warum trägt die Allgemeinheit externalisierte Kosten? Wer hat sie denn externalisiert?“

->Quellen: