Klimawandel bedroht unsere Lebensgrundlage

„Bei Mercosur geschlafen – keine Ausreden für die Kommission mehr: Wir brauchen Agrarwende jetzt“

Agrarexperte Martin Häusling der Fraktion Greens/EFA im Europäischen Parlament will die Subventionen für die industrielle Landwirtschaft streichen: „Drastischer als die bisher vorgelegten Bilanzen macht der aktuelle Bericht des Weltklimarates die Land- und Forstwirtschaft für den menschengemachten Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich. Fast ein Viertel geht auf die überbordenden Methoden zurück, mit denen die chemiebasierte Landwirtschaft unsere Umwelt traktiert sowie die fortlaufende Rodung von Wald wie etwa in Brasilien. Was für ein Desaster! Dieser nicht mehr länger zu leugnende Zusammenhang muss endlich auch bei der EU-Kommission ankommen. Wann wenn nicht jetzt sollen wir denn in der Agrarpolitik umsteuern? Die Zeit für eine Politik, die umwelt- und klimaschonende Methoden statt den Raubbau an der Natur fördert, ist überfällig. Die bisherigen Methoden der Landwirtschaft, wie sie immer noch überwiegend praktiziert werden, dürfen keine Subventionen mehr erhalten. Es gibt keine Ausreden mehr: Die Kommission muss handeln und die Agrarwende einleiten. Was wir brauchen, ist eine Politik, die grundsätzlich Abschied nimmt von der undifferenzierten Förderung. Die Lage ist viel ernster, als von vielen bisher wahrgenommen. Es reicht eben nicht, nach Art eines medialen Sommertheaters über das Für und Wider einer Mehrwertsteuer zu plaudern. Unterstützung darf nur eine Landwirtschaft erfahren, die in Ackerbau und Tierhaltung sorgsam mit Klima und Natur umgeht und die artgerecht mit dem Tier arbeitet.

Wir müssen zugleich wegkommen von einem System, das den Überfluss geradezu provoziert. Dazu gehört auch, den Import des Klimaproblems zu stoppen: Wenn in Brasilien binnen kurzem die Waldrodung vervierfacht wird, um Platz für Weideland und in der Folge für den Sojaanbau zu schaffen, dann heißt das eben auch, dass die EU beim Abschluss des Mercosur-Freihandelsabkommens geschlafen hat. Denn kaum war die Tinte trocken, ließ der rechtsradikale brasilianische Präsident Jair Bolsonaro die Holzrücker von der Leine, um in dem für den weltweiten Klimaschutz so überaus wichtigen Amazonas und der Cerrado-Savanne riesige Wälder zu roden. Die im Vertrag eingebauten Vorkehrungen für diesen Fall der Abholzungen sind untauglich und in der Praxis nicht zu überwachen. Das hätte die EU wissen müssen, als sie dieses unselige Vertragswerk abschloss.“

Auch Deutsche Umwelthilfe fordert deutliche Wende zu ökologischer Landwirtschaft

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht den Sonderbericht als Appell, die aktuelle Nahrungsmittelproduktion ökologischer auszugestalten. Laut des Sonderberichts ist die aktuelle Landnutzung einer der größten Treiber des Klimawandels. Bereits heute nehmen landwirtschaftliche Flächen 38 Prozent der Erdoberfläche ein, Tendenz steigend. Im Zuge der rasanten Umwandlung in genutzte Flächen zum Beispiel durch Entwaldung wächst der Druck auf natürliche Ökosysteme, die CO2 speichern. Die DUH fordert EU und Bundesregierung zum Umdenken in der Agrarpolitik auf.

Peer Cyriacks, Stellvertretender Bereichsleiter Naturschutz der DUH kommentiert: „Der IPCC-Bericht macht schmerzhaft deutlich, dass unser Konsumverhalten hauptverantwortlich ist für die Zerstörung der Lebensgrundlagen auf der ganzen Welt. Die Massentierhaltung in Deutschland ist ein wichtiger Treiber der Entwaldung in Südamerika, denn nur mit dem dort angebauten Futter ist die Massentierhaltung möglich. Gleichzeitig führt der übermäßige Einsatz von Dünger in der industriellen Landwirtschaft zu riesigen Nährstoffproblemen vor unserer Haustür. Nicht ohne Grund droht Deutschland daher eine erneute Klage von der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der andauernd zu hohen Nitratbelastung unseres Grundwassers. Wir brauchen wirksame ökonomische Anreize für einen nachhaltigen Lebensstil und eine ökologischer ausgerichtete Landwirtschaft, am Beispiel der Fleischproduktion wird dies besonders offensichtlich.“ Auch in Südostasien führt der massive Anbau von Ölpalmen-Plantagen zur Zerstörung des Regenwaldes. Palmöl ist in Europa in jedem zweiten Supermarktprodukt enthalten. Lange schon wird das wertvolle Öl nicht nur in Lebensmitteln, sondern auch in Reinigungsmitteln, in Kosmetik und selbst als Beimischung zum Biodiesel genutzt. Die DUH fordert nachhaltige Lieferketten für Palmöl, das aus entwaldungsfreier Produktion stammen muss.

Germanwatch: NurUmsteuerung auf konsequent klimaverträgliche Landnutzung kann Erderhitzung noch auf 1,5 Grad begrenzen

Germanwatch sieht in dem Sonderbericht einen dringenden Handlungsaufruf an die Regierungen, vor allem an die Bundesregierung. „Die gute Nachricht des IPCC ist: Wir haben noch Möglichkeiten, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die weniger gute ist: Die notwendigen Umstellungen in der Landnutzung sind tiefgreifend und sie müssen nun sehr schnell erfolgen“, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.

Bals weiter: „Wir müssen zwei Herausforderungen zugleich meistern: Zum einen brauchen wir ausreichend Flächen zur Ernährung einer wachsenden Zahl von Menschen und zur Bekämpfung des Hungers in der Welt. Zum anderen benötigen wir zur Eindämmung der Klimakrise global große Flächen als CO2-Senken über Walderhaltung und Aufforstung sowie für Bioenergie. Beides in eine optimale Balance zu bekommen, ist eine komplexe Aufgabe, für die wissenschaftlich fundierte Lösungsvorschläge vorliegen. Denn klar ist: Bekommen wir die Erderhitzung nicht in den Griff, hat dies wiederum desaströse Auswirkungen auf Ernten.“

Der IPCC mache deutlich, dass es kaum ohne gravierende Veränderungen in der Lebensweise geht. Weniger ressourcenintensive Ernährung – vor allem weniger Fleisch -, eine ressourcenschonende Landwirtschaft und die deutliche Verringerung des Wegwerfens von Lebensmitteln sind dabei zentral. Nach Ansicht von Germanwatch muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass Preise die ökologische Wahrheit sagen. So müssten zum Beispiel die Kosten für die hohe Nitratbelastung des Wassers durch Überdüngung und die Zerstörung des Regenwalds für den Anbau von Futtermitteln von denjenigen bezahlt werden, die Fleisch in industrieller Massentierhaltung herstellen – und nicht von der Allgemeinheit. Im Sonderbericht wird geschätzt, dass mehr als ein Viertel (25 – 30%) der weltweit eigentlich produzierten Lebensmittel nicht genutzt wird – entweder weil sie im Abfall landen oder schon nicht geerntet werden bzw. nicht den Weg von der Ernte in den Handel schaffen.

Deutlich wird auch: Sollte die globale Erhitzung nicht auf 1,5 Grad, sondern nur auf immer noch ehrgeizige 2 Grad eingedämmt werden, würde das erhebliche Ernteausfälle bedeuten. Diese würden zunehmen, in einigen Regionen sogar rapide. Der Weltklimarat betont überdies die gravierenden Folgen einer fortschreitenden Klimakrise in Form von Schäden durch Wetterextreme, Verlust von Lebensraum und Artenvielfalt sowie Erschütterungen der Weltwirtschaft.

Der Sonderbericht zeigt zudem: Ohne negative Emissionen wird es kaum möglich sein, das 1,5-Grad-Limit einzuhalten. Dabei werden Aufforstungen kaum reichen. In welchem Ausmaß dies notwendig ist, wird auch davon abhängen, ob es gelingt, die Konsummuster zu verändern. Wälder und Böden können Kohlenstoff binden, ohne dass dies mit der Ernährungssicherheit in Konflikt gerät. Zudem ist es nach Ansicht von Germanwatch notwendig, auch den Einsatz von Technologien zu intensivieren, die CO2 aus der Atmosphäre entnehmen und langfristig sicher binden können. „Carbonfasern, die bei vielen Anwendungen Stahl ersetzen könnten, sind dabei eine aussichtsreiche Option. Es ist wichtig, solche Technologien jetzt zu testen, damit klar wird, in welchem Ausmaß diese eine Rolle spielen können“, betont Christoph Bals.

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