Drei offene Briefe an Klimakabinett-Mitglieder

Kritik an Scheuer, Klöckner und Seehofer

Kurz vor der entscheidenden Sitzung des Klimakabinetts am 20.09.2019 erhöhen Umweltverbände und Verbraucherschützer den Druck auf Bundeskanzlerin Merkel und ihre Minister; sie kritisieren vor allem die Pläne von Verkehrsminister Andreas Scheuer scharf. Neun Umweltverbände fordern in einem Offenen Brief wirksame Maßnahmen für mehr Klimaschutz. Ein weiterer Offener Brief von Nabu und Klima-Alianz fordert von Innenminister Seehofer, die nötigen Maßnahmen für die Energiewende und den Klimaschutz im Gebäudesektor endlich auf den Weg zu bringen. In einem dritten Offenen Brief verlangen  Katholische Landjugendbewegung Deutschlands (KLJB) und Grüne Jugend von Landwirtschaftsministerin Klöckner, den Weg für eine nachhaltige Agrarwende zu ebnen.Scheuer hat entgegen eigener Äußerungen nicht abgestimmt

Was Scheuer vorgelegt habe, sei „klimapolitisch unzureichend“, beruhe „auf fragwürdigen Annahmen“ und belaste den Staatshaushalt „über Gebühr“, heißt es in dem Brief, den der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC), die Allianz pro Schiene (ApS), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Deutsche Naturschutzring (DNR), die Deutschen Umwelthilfe (DUH), Germanwatch, der Naturschutzbund Deutschland (NABU), der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und der WWF unterschrieben haben. Sie stellen darin klar, dass die von Scheuer mehrfach wiederholte Äußerung, er habe sein Maßnahmenprogramm mit allen Mitgliedern der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) abgestimmt, nicht den Tatsachen entspreche.

GEG-Gesetzentwurf „vollkommen ungeeignet“

Bundesminister Seehofer müsse den Entwurf für das geplante Gebäude-Energie-Gesetz (GEG) stark überarbeiten und solle Klimaschutz nicht gegen soziale Fragen ausspielen, fordern Nabu und Klima-Allianz. Der bekannt gewordene Gesetzentwurf sei vollkommen ungeeignet, die benötigten Impulse für die Energiewende und den Klimaschutz im Gebäudesektor zu setzen, er gefährde sogar die energie- und klimapolitischen Ziele. Um diese zu erreichen, fordert das zivilgesellschaftliche Bündnis unter anderem einen sofortigen Stopp der staatlichen Förderung von Öl- und Erdgasheizungen und ein Verbot für den Einbau in Neubauten in der nächsten Legislaturperiode.

Klöckner soll 1,5 Grad-Grenze zur Richtschnur des Handelns machen

Das Festhalten an konventionellen Anbau- und Viehhaltungsmethoden gefährde nicht nur das Klima, sondern auch die Lebensgrundlage vieler Jungbauern, heißt es in dem Brief an Landwirtschaftsministerin Klöckner. In dem Brief werden Umsetzungsmöglichkeiten neuer Agrarkonzepte gefordert, die vor allem Junglandwirten eine Perspektiven sein könnten.Man wolle den Humusverlust der landwirtschaftlichen Böden ebenso wenig akzeptieren, wie den Verlust wertvollen Bodens durch Versieglung oder Umnutzung. Darüber hinaus fordern die Jugendorganisationen, die 1,5 Grad-Grenze zur Richtschnur des Handelns in der Landwirtschaftspolitik zu machen. Dafür müssten die Emissionen aus der Landwirtschaft bis 2050 um 60 Prozent gesenkt und Degradierungsprozesse auf Acker- und Grünlandstandorten  besonders beobachtet werden.

1.

Offener Brief zu dem von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer vorgelegten Maßnahmenprogramm zur Erreichung der Klimaziele 2030 im Verkehr

„Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
im Vorfeld der kommenden Sitzung des Klimakabinetts wenden wir uns an Sie, um öffentliche Fehldarstellungen richtigzustellen und Ihnen unsere Einschätzungen zu dem von Bundesverkehrsminister Scheuer vorgelegten Maßnahmenprogramm für die Erreichung der Klimaziele 2030 im Verkehr zukommen zu lassen.

Bundesminister Scheuer hat wiederholt öffentlich geäußert, er habe sein Maßnahmenprogramm mit den Mitgliedern der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) abgestimmt. Die hier unterzeichnenden Verbände und Mitglieder der NPM möchten klar betonen, dass dies nicht der Fall ist. Weder wurden wir nach unserer Meinung gefragt, noch haben wir dazu unsere Zustimmung gegeben. Unsere Zustimmung hätten wir auch dann nicht geben können, wenn wir gefragt worden wären, denn die beschriebenen Maßnahmen sind klimapolitisch unzureichend, beruhen auf fragwürdigen Annahmen und belasten zudem den Staatshaushalt über Gebühr.

In seinem Programm betont Bundesminister Scheuer, gänzlich ohne Verbote und direkte preispolitische Maßnahmen auszukommen. Er geht allerdings an keiner Stelle darauf ein, dass sein Programm aus genau diesem Grund unverhältnismäßig hohe staatliche Ausgaben mit sich bringen würde, ohne jedoch die gebotene Minderung des Ausstoßes von Treibhausgasen zu erreichen.

Nach Analyse des uns vorliegenden BMVI-Papiers und eigenen Berechnungen gehen wir von einer benötigten Summe von mehr als 75 Mrd. Euro bis zum Jahr 2030 aus. Wobei hier zusätzlich benötigte Gelder, beispielsweise aus den Kassen der Bundesländer, noch nicht einmal berücksichtigt sind. Diese hohen Ausgaben stehen in einem krassen Missverhältnis zu den dadurch zu erreichenden Treibhausgasreduktionen und somit zur Erreichung des von der Bundesregierung im Klimaschutzplan 2050 selbst gesteckten Sektorziels für den Verkehr im Jahr 2030. So wird in den Vorschlägen von Bundesminister Scheuer der mögliche Beitrag biogener und strombasierter Kraftstoffe massiv überschätzt, ungeachtet der z.T. erheblichen negativen ökologischen Nebenwirkungen und Kosten. Wir gehen bei den von Bundesminister Scheuer vorgelegten Maßnahmen insgesamt von einer substanziellen CO2-Lücke aus, weshalb die vorgeschlagenen Maßnahmen auch unter optimalen Bedingungen die notwendigen Reduktionen zur Einhaltung des 2030-Ziels bei weitem nicht gewährleisten. Strafzahlungen wären die Folge, was die Pläne zusätzlich verteuert.

Wir unterstützen selbstverständlich im Interesse des Klimaschutzes den massiven Ausbau der Infrastruktur für Bahn und öffentlichen Nahverkehr ebenso wie für den Rad- und Fußverkehr in den Städten und Gemeinden. Anders als Bundesminister Scheuer treten wir jedoch dafür ein, diesen Infrastrukturausbau unter anderem auch aus der bisherigen Straßenbauförderung zu finanzieren und hierfür die Ausfinanzierung des Bundesverkehrswegeplans zu überarbeiten und an Umweltund Klimaschutzzielen auszurichten. Es ist nicht ersichtlich, wie der weitere Ausbau der Fernstraßen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen führen soll.

Aus Sicht der unterzeichnenden Verbände muss ein Maßnahmenprogramm zur Erreichung der Klimaziele 2030 im Verkehr einen Quantensprung hin zu einer nachhaltigen Verkehrswende auslösen, welche die Abhängigkeit unserer Mobilität von fossilen Ressourcen deutlich reduziert.

Dazu müssen der motorisierte Individualverkehr, insbesondere mit Pkw auf Basis von Verbrennungsmotoren und das Wachstum des Straßengüterverkehrs reduziert werden. Doch nicht nur der motorisierte individuelle Straßenverkehr insgesamt, sondern insbesondere auch der Anteil großer und schwerer Pkw muss deutlich verringert werden, eine Umstellung auf Elektroantrieb allein ist aus Nachhaltigkeitsgründen keine Lösung. Ein Bonus-Malus-System, das den Kauf von energetisch ineffizienten Fahrzeugen verteuert und den Kauf von effizienten kleinen Elektromobilen über die bisherige Kaufprämie hinaus erleichtert, wäre aus unserer Sicht hierfür eine zentrale Maßnahme.

Ergänzend würde eine Quote für den Verkauf von reinen Elektrofahrzeugen den Autokonzernen Planungssicherheit für die nächsten Jahre und Investitionssicherheit gegenüber ihren Aktionären geben. Darüber hinaus bedarf es für eine Verkehrsverlagerung, insbesondere in den urbanen Gebieten, der Förderung von Fahrrädern und Cargo Bikes, mit und ohne Elektroantrieb.

Wesentliche Voraussetzung für eine Abkehr von einem autozentrierten Verkehrssystem ist die Schaffung attraktiver Alternativen. Aus Klimaschutzgründen, aber auch zur Daseinsvorsorge insbesondere im ländlichen Raum, müssen sowohl die Mittel für Investitionen in den öffentlichen Verkehr und seinen Betrieb massiv erhöht werden, als auch für die Einrichtung und den Ausbau von sicheren, komfortablen Rad- und Fußwegenetzen und intermodalen Schnittstellen. Zur Finanzierung sind Gelder aus dem überdimensionierten Straßenbauanteil des Bundesverkehrswegeplans, aus einer deutlich stärkeren Bepreisung des Flugverkehrs sowie aus der Streichung umweltschädlicher Subventionen heranzuziehen.

Im Bereich des Flugverkehrs muss Kostenwahrheit Einzug halten. Dafür müssen die Luftverkehrssteuer, insbesondere für innerdeutsche Flüge, deutlich erhöht, die Deckelung der Einnahmen beendet und die Steuerbefreiung für Kerosin und internationale Flugticket schnellstens aufgehoben werden. Ziel muss es sein, ab sofort die Alternativinfrastruktur massiv auszubauen, damit Kurzstreckenflüge komplett und Mittelstreckenflüge verstärkt auf die Schiene verlagert werden können und innerdeutsche Flüge spätestens ab 2030 nicht mehr stattfinden.

In diesem Zusammenhang bitten wir Sie dringend, bei der notwendigen zeitnahen Einführung eines CO2-Preises noch einmal zu überdenken, ob Deutschland auf einen nationalen Emissionshandel für die Sektoren Wärme und Verkehr setzen sollte. Abgesehen von grundsätzlichen Erwägungen sozialpolitischer, ökonomischer und klimapolitischer Risiken sowie Problemen mit Emissionshandelssystemen, die sich auch beim europäischen Emissionshandel gezeigt haben, halten wir eine weitere mindestens zwei- bis dreijährige Verzögerung bei der Einführung wirksamer Bepreisungsmechanismen für völlig inakzeptabel. Vor allem im Verkehrsbereich sind, vor dem Hintergrund der drängenden Vorgaben des IPCC-Sonderberichtes zu 1,5°C Erwärmung (2018) und der Versäumnisse der Vergangenheit, Überlegungen die eine weitere Verzögerung bedeuten, nicht vermittelbar. Deutschland würde zum europaweiten Sonderfall, sollte sich die Bundesregierung für ein solches System entscheiden. Wir plädieren deshalb für eine CO2-orientierte Erhöhung der Energiesteuer auf Treibstoffe, die in lenkungswirkender Höhe zeitnah einsteigt und sich jährlich merklich erhöht. In diesem Zuge wäre auch die steuerliche Privilegierung des Dieselkraftstoffes vollends aufzuheben.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mit dem Klimakabinett einen institutionellen Rahmen geschaffen, um am 20. September ein umfassendes Klimaschutz-Paket auf den Weg zu bringen, welches das verfehlte Ziel von 40 % Treibhausgasminderung bis 2020 schnellstmöglich und die Ziele für 2030 sicher erreichen soll. Dafür bedarf es eines Klimaschutzgesetzes, dass derartige Zielverfehlungen zukünftig sicher vermeiden kann und wirksamer Maßnahmen für die Zielerreichung in allen Sektoren garantiert. Dies sehen wir mit den von Bundesminister Scheuer vorgeschlagenen Maßnahmen leider keinesfalls gewährleistet. Wir appellieren an Sie, sich im Rahmen der Erarbeitung des Klimaschutzpaketes für echten Klimaschutz im Verkehrssektor einzusetzen.“

Folgt Brief 2 und 3