Klimakabinett, Klimaschutzplan, Klimademo, Klimastreik

Schwere Geburt – 270.000 in Berlin auf der Straße

Die Verhandler im Koalitionsausschuss hätten die lauten Chöre „…weil Ihr unsere Zukunft klaut“ der nach Veranstalter-Angaben 270.000 Demonstranten (in Deutschland mehr als eine Million) hören können, wenn sie die Fenster geöffnet hätten, das Klimakabinett später ebenfalls. 18 Stunden hatten sie gefeilscht, CDU, SPD und CSU, um CO2-Steuer und Zertifikatehandel (letzteren hat die Union schließlich durchgesetzt), um Einstiegspreise (es geht mit 20 Euro los), um ÖPNV (wird ausgebaut) um die Mehrwertsteuer für Bahnfahrkarten (sinkt) – und um die Kosten für das Klimaschutzpaket überhaupt (laut Scholz 54 Mrd. Euro, keine neuen Schulden).

Fridays-for-Future-Demonstration vor dem Brandenburger Tor – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

„Fridays for Future hat uns aufgerüttelt. Mit unserem Klimaschutzpakt machen wir jetzt Ernst,“ sagte Finanzminister Scholz im Rahmen der Pressekonferenz im Berliner Futurium. An deren Ende waren die Verhandler zwischen 34 und 36 Stunden auf den Beinen (was man einzelnen auch anmerkte: Sie sehe „mindestens zwei Leute auf dem Podium, die kaum mehr die Augen offen halten können“, sagte eine Journalistin). Vielleicht erklärt sich die lange Dauer aus dem Umfang des herausgekommenen Maßnahmepapiers – 22 Seiten mit 66 verschiedenen Maßnahmen. Das allerdings hätte auch kürzer ausfallen können, beginnt es doch mit etlichen gemeinplatz-artigen Textbausteinen:

„Der Schutz des Klimas ist eine große, globale Herausforderung. Seit Beginn der Industrialisierung ist der Ausstoß insbesondere von Kohlendioxid (CO2) in die Erdatmosphäre konstant angestiegen. Es muss rasch und entschlossen gehandelt werden, um den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich zu begrenzen. Nur wenn dies gelingt, kann es gelingen, die biologische Anpassungsfähigkeit des Planeten und die Lebensgrundlage von Millionen Menschen zu erhalten. Auch bei wirtschaftlicher Betrachtung gilt: Je höher der Temperaturanstieg ist, desto erheblicher sind die Kosten für Klimaschaden sowie die erforderlichen Anpassungskosten an den Klimawandel, die bei weitem die Vermeidungskosten übersteigen. Deshalb haben sich auf der Weltklimakonferenz 2015 in Paris 197 Staaten dazu verpflichtet, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C zu begrenzen sowie spätestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weltweit Treibhausgasneutralität zu erreichen.“

Diese Schilderung der Ausgangslage war zwar nicht erst seit gestern Abend bekannt, endete dafür ebenso wenig überraschend:

„CO2-neutrale Technologien ‚made in Germany‘ werden einen wichtigen Beitrag für den weltweiten Klimaschutz liefern und Deutschlands Exportkraft als Spitzentechnologieland weiter starken. Neben der Steigerung der Energieeffizienz ist ein wesentliches Element für die Erreichung der Klimaziele im Non-ETS-Bereich die möglichst weitgehende Elektrifizierung bisher fossiler Energiegewinnung. Daher sind Fortschritte bei der klimafreundlichen Erzeugung von Erneuerbarem Strom, der 2030 einen Anteil von 65% am Bruttostromverbrauch ausmachen soll, ebenso von großer Bedeutung wie die Entwicklung des Strompreises im Vergleich zu fossilen Energieträgern. Der Leitgedanke der Bundesregierung bei diesem Konzept ist es, als führendes Industrieland die Einhaltung der Klimaschutzziele zum Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen wirtschaftlich nachhaltig und sozial ausgewogen auszugestalten, zum Nutzen unserer Gesellschaft und als fairer Partner in der Welt.“

Die wichtigsten Maßnahmen

  • CO2-Ausstoß im Verkehr und von Gebäuden soll mittels eines Zertifikatehandels bepreist werden
  • Pendlerpauschale soll zur Entlastung erhöht werden
  • Kraftstoffpreise steigen ab 2021 um etwa 3 Ct/l, bis 2026 9 bis 15 Ct/l
  • CO2-intensive Autos sollen stärker besteuert werden
  • E-Auto-Käufer erhalten (bis € 40.000) Kaufprämien und zahlen bis 2025 keine Kfz-Steuer
  • Bahntickets werden billiger, Flugtickets teurer
  • ab 2016 sind Ölheizungen verboten, Austausch gegen Prämie (bis 40% der Kosten)
  • PV-Deckel fällt, Kommunen sollen für den Betrieb von Windgeneratoren unterstützt werden
  • Mechanismus zur jährlichen Überprüfung der Umsetzung der Klimaziele (Monitoring)

Pressekonferenz mit selbstkritischen Tönen

Fast demütige Regierungspolitiker bei der Pressekonferenz im Futurium nach dem Klimakabinett in Berlin: Man habe frühere Klimaziele, die eigentlich bis 2020 hätten erfüllt sein sollten, verfehlt. Aber, so versprachen sie: Wir haben aus dem Versagen gelernt. Darum wird der im Klima-Paket eingebaute Monitoringprozess besonders stark betont. Öfter räumten die Koalitionäre ein, wie wichtig die Schülerproteste der vergangenen Monate gewesen seien und wie sehr man sich davon bestärkt („aufgerüttelt“) sehe. Laut Süddeutscher Zeitung „der Versuch, sich an die Spitze einer Bewegung zu stellen, die bislang vor allem harte Kritik an der Bundesregierung geübt hat“.

Gleichzeitig sind die Politiker aber auch bemüht, keine weniger motivierten Wählergruppen zu verprellen. Das Stichwort hier ist: „breite Akzeptanz“. Darum wird neben dem Kontrollmechanismus und der Kohlendioxid-Bepreisung immer wieder auf die zahlreichen Fördermöglichkeiten hingewiesen, die auch Teil des Pakets sind. Die Botschaft: Wir erfüllen die Forderungen der Klimaschützer, aber wir tun es so, dass niemand mit harten Einschnitten rechnen muss.

Spontane erste Stimmen – durchgängig Harte Kritik

Bundesumweltministerin Svenja Schulze und die SPD hätten sich einen höheren CO2-Preis gewünscht. Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock twitterte, sie sei „bitter enttäuscht“, das Klimaprogramm sei „langsam, lasch und unverbindlich“ – sie beklagte „eine Abkehr von den Pariser Klimazielen und von unserer Zukunft“.

Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister Winfried Hermann nannte den Kompromiss „ein dünnes Päckle“. Er sei zu zaghaft, um zu wirken und zum Teil sogar kontraproduktiv.

Ottmar Edenhofer, Direktor des PIK-Potsdam und im engen Beraterkreis der Regierung, zeigte sich enttäuscht, vor allem über den niedrigen CO2-Preis und nannte den Klimaplan ein „Dokument der politischen Mutlosigkeit“.

FFF-Gründer Jakob Blasel kommentierte das Klimaprogramm mit bitter-ironischem Unterton: „1,4 Millionen Menschen bei „AlleFuersKlima„, und zur Belohnung wird Benzin für Pendler 2 Cent billiger.“ Seine Gründer-Kollegin Lisa Neubauer nannte das Programm „keinen Durchbruch“, sondern „einen „Skandal.  Während Hunderttausende klimastreikten, einige sich die GroKo „anscheinend auf einen Deal, der in Ambitionen und Wirksamkeit jenseits des politisch und technisch Machbaren liegt“.

Ähnlich enttäuscht über die Eckpunkte des Klimaschutzprogramms reagierten Umweltschützer: Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser kritisierte, die Regierung bleibe „meilenweit hinter den Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen zurück“. „Lächerlich“ sei der angepeilte CO2 -Preis, er werde von der geplanten Erhöhung der Pendlerpauschale aufgehoben. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht „lediglich Luftbuchungen und leere Versprechungen“, so DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner, ein Wille für ernsthaften Klimaschutz sei mit diesem Plan nicht erkennbar. Nabu-Präsident Olaf Tschimpke bezweifelt, ob die Bundesregierung nun, wie versprochen, wenigstens die Ziele für 2030 einhält. Sie habe die Dringlichkeit zum Handeln noch immer nicht verstanden. Es bleibe bei Steuergeschenken und neuen Subventionen. Der WWF forderte Nachbesserungen und nannte das Klimaprogramm eine „Mischung aus Verzagen, Vertagen und Versagen“.

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