Klimaprogramm 2030 – Reaktionen aus der Wissenschaft

„Das Fridays-No-Future-Paket“

Da ist es also, das sogenannte Klimaschutzpaket der Bundesregierung. 19 Stunden haben die GroKo-Spitzen verhandelt, aber das Ergebnis ist, nun ja: Halbgare Maßnahmen, sagt der Bund für Naturschutz. Mogelpackung, lasch, unsozial und uneffektiv, sagt die Opposition. Und alle Wissenschaftler, die sich äußern, sind überwiegend unglücklich. „Skandal“, sagt „Fridays-For-Future“-Sprecherin Luisa Neubauer. Auch Hauptstadtkorrespondent Marcel Heberlein ist alles andere als begeistert von den Beschlüssen, wie er im rbb kommentierte – er nannte das Klimapaket kurz und bündig „eine Frechheit“ – vor allem, dass Ölheizungen (ab 2026!) verboten werden sollen, obwohl sie jetzt schon niemand mehr wolle.

Für Prof. Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI – Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum, ist das Paket nicht der angekündigten „große Wurf“. Denn das messe „sich ja nicht an der Fülle der Einzelmaßnahmen oder deren Volumen, sondern daran, ob das Paket dafür sorgt, dass die in Europa bis 2030 verbindlich zugesagte Emissionsreduktion wirksam und kosteneffizient erreicht wird.“ Hier sei „leider Skepsis angebracht“. Denn es fehle ein „hinreichend ambitionierter CO2-Preis“ als zentrales Leitinstrument für eine erfolgreiche Reduktion der Treibhausgasemissionen. Schmidt findet zwar ermutigend, dass es neben vielen Einzelmaßnahmen  weitere Schritte in Richtung einheitlicher und europäischer CO2-Bepreisung geben soll, stellt aber fest, „dass die Politik dem Preissignal noch nicht hinreichend traut. Sie setzt den Einstieg daher viel zu vorsichtig an, verwässert das Preissignal mit einem Sammelsurium an Maßnahmen und bürdet sich selbst zu viele Detailentscheidungen auf. Dabei nimmt sie erhebliche Mitnahmeeffekte in Kauf und konterkariert sogar an einigen Stellen das Preissignal – etwa bei der Erhöhung der Pendlerpauschale. Das macht den Klimaschutz unnötig teuer.“ Und: Noch bleibt „die aus volkswirtschaftlicher Sicht völlig verfehlte sektorspezifische Perspektive auf die Klimapolitik weiter bestehen. Es bleibt also nur zu hoffen, dass der CO2-Preis künftig eine weitaus stärkere Rolle spielen wird als in den aktuellen Entscheidungen.“

Das ifo-Institut sieht im Klimapaket Licht und Schatten. Die CO2-Bepreisung über Zertifikate sei zwar der richtige Weg, feste CO2-Preise bis 2025 seien jedoch „mit einem funktionierenden Zertifikatesystem unvereinbar“, noch dazu seien „die Preise zu gering“. Zudem dürfe man sich nicht in einzelnen flankierenden Maßnahmen mit unklarer Wirkung verzetteln. „Es ist gut, dass die CO2-Bepreisung im Mittelpunkt des Klimapakets steht und nun Verkehr und die Gebäude einbezogen werden. Gleichzeitig ist es richtig, einen Ausgleich für diejenigen herzustellen, die überproportional betroffen sind“, sagt Karen Pittel, Leiterin des Bereichs Energie, Klima und Ressourcen am ifo Institut. „Aber wenn der Preis für die Zertifikate tatsächlich bis 2025 festgelegt wird, wäre dies eine Mogelpackung. Da die CO2-Menge nicht beschränkt wird, geht der eigentliche Vorteil eines Emissionshandelssystems verloren. Wenn die Preise zudem zu niedrig sind, ist kaum mit einer substanziellen Reduktion der Emissionen zu rechnen“, fürchtet sie. „Problematisch am Klimapaket ist außerdem, dass viele ergänzende Maßnahmen getroffen wurden, die teuer sind und die Effizienzwirkungen des CO2-Zertifikatehandels beeinträchtigen können. So ist die Kombination aus dem Verbot von Ölheizungen und einem Zertifikatehandel für den Gebäudesektor inkonsistent.“

Das Umweltinstitut München: „Statt wirksamer Lösungen für die Klimakrise präsentierte die Bundesregierung am Nachmittag ein Sammelsurium von Luftbuchungen. Höchstens die Hälfte der für die 2030-Klimaziele notwendigen Treibhausgaseinsparungen werden damit erreicht! Ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die heute für das Klima demonstriert haben.“

Felix Müsgens, Professor für Energiewirtschaft an der BTU Cottbus und Co-Leiter der ESYS-Arbeitsgruppe „Strommarktdesign“, fürchtet zwar, dass „die CO2-Einsparziele und der Ausbau der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien mit diesen Maßnahmen vermutlich verfehlt“ werden, hebt aber drei Aspekte positiv hervor:

  1. „der Einstieg in die Bepreisung der Nicht-EU-ETS-Sektoren. Dieses zentrale Element wird auch direkt am Anfang des Eckpunktepapiers der Bundesregierung platziert.
  2. folgt im direkten Anschluss die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger durch den Abbau von Verzerrungen im Stromsektor, insbesondere bei der EEG-Umlage. In Kombination wird durch diese beiden Maßnahmen eine doppelte Dividende erzielt: bessere Adressierung der Klimaexternalität, effizientere Sektorenkopplung im ‚Level Playing Field‘.
  3. ist das klare Bekenntnis der Bundesregierung zu begrüßen, „sich für einen europaweiten übergreifenden Zertifikatehandel für alle Sektoren“ einzusetzen.“

Das folgende „Sammelsurium einzelner Maßnahmen (insgesamt 63 weitere Punkte)“ dagegen verursache „hohe Kosten bei unklarem Beitrag zum Klimaschutz. Angesichts von mehreren hunderttausend Menschen, die heute in Deutschland und anderen Ländern für wirksamen Klimaschutz demonstriert haben, hätte man sich insgesamt mehr Mut und klarere Kommunikation gewünscht“. Angesichts der bescheidenen CO2-Preise erscheine es „zumindest fraglich, ob mit den geplanten Preisen die Einsparziele der Bundesregierung erreicht werden. Hier wäre mehr Vertrauen in dieses für den Klimaschutz zentrale Instrument angebracht“.

Dirk Uwe Sauer, Professor am Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe der RWTH Aachen und ESYS-Sprecher, ist enttäuscht, dass sich die CO2-Einsparungsziele wohl nicht erreichen lassen, fordert also weitere „Nachsteuerungen und damit Änderungen der Rahmenbedingungen“. So aber fehle Investitionssicherheit. Nur wenig Wirkung erwartet Sauer im Pkw-Bereich von den  beschlossenen Maßnahmen im Vergleich mit den fahrzeugbezogenen Grenzwerten der EU für neu zugelassene Fahrzeuge. Ob der forcierte Ausbau der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien als vordringliche Aufgabe erreicht werden könne, bezweifelt er zudem. „Wichtig ist, dass Fördermaßnahmen nicht zu Zwischenlösungen führen, die für das Erreichen der Ziele am Ende nicht ausreichend sind.“ Sauers stärkstes Argument aber: „Die Vorgaben an die  verschiedenen Ministerien, in ihren Bereichen nachsteuern zu müssen, wenn die CO2-Senkungsziele nicht erreicht werden, sind politisch zwar ein starkes Instrument, werden aber mit einigermaßen hoher Wahrscheinlichkeit zu teuren und für die Gesamt-CO2-Bilanz wenig nachhaltigen Maßnahmen führen. Jeder Bereich optimiert sich selber, unabhängig davon, ob das insgesamt sinnvoll und effektiv ist.“

Klimareporter: „Wer seine Erwartungen niedrig ansetzt, kann schwerer enttäuscht werden – aber so niedrig hatte wohl kaum jemand gepokert: Das Herzstück des neuen Klimapakets der Bundesregierung ist ein anfänglicher CO2-Preis von zehn Euro pro Tonne, organisiert über einen Zertifikatehandel. Ein Desaster, kommentieren Wissenschaftler und Umweltschützer. Und außerdem bei weitem nicht das, was Union und SPD versprochen hatten.“

„Man hat das Gefühl, es wird zu viel auf die Zukunft verlagert“, so Prof. Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Edenhofer, selbst Regierungsberater, kritisierte das Klimaprogramm 2030 scharf. Der Einstiegspreis für den Emmissionshandel sei zu gering. Das Paket bezeichnete er als „Dokument der politischen Mutlosigkeit“. Edenhofers Institut hatte gemeinsam mit dem Berliner MCC eine Analyse als Basis für ein Gutachten der sogenannten Wirtschaftsweisen zum Klimaschutz geliefert, das die Bundesregierung in Auftrag gegeben hatte.

Das Urteil von Prof. Mojib Latif, Klimaforscher am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung ist vernichtend. „Das ist weit hinter dem zurückgeblieben, was ich mir vorgestellt habe, man muss es so deutlich sagen, das ist fast eine Null-Nummer,“ sagte er dem Bayerischen Rundfunk. Der Sitzungsmarathon sei eine politische Veranstaltung gewesen: „Man hat sich praktisch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt, und mit solchen Mini-Schritten wird man die Klimaziele, die Deutschland angekündigt hat, niemals erreichen.“ Vor allem mit diesem niedrigen CO2-Preis: „Das ist viel zu wenig, um überhaupt eine Lenkungswirkung zu entfalten, man muss sehen, beim Europäischen Emissionshandel liegt der schon fast bei 30 Euro pro Tonne.“ Das Umweltbundesamt habe ausgerechnet, was tatsächlich eine Tonne CO2 kosten sollte, und sei auf 180 Euro gekommen.

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