Hochflexible Plattform für die Untersuchung exotischer Phänomene

Übergangsmetall-Dichalcogenid „verdrehtes WSe2“ mit neuen Eigenschaften

Zweidimensionale Quantenmaterialien sind seit einigen Jahren eine Plattform für die Realisierung neuartiger korrelierter und topologischer Phasen der Materie.  Nun berichtet ein internationales Forscherteam aus Deutschland, den Vereinigten Staaten, China und Japan in Nature Materials, dass das aus einer verdrehten Doppelschicht bestehende Übergangsmetall-Dichalcogenid WSe2 die Realisierung exotischer korrelierter Phänomene, einschließlich der Hoch-Tc-Supraleitung und korrelierter Isolatoren ermöglicht – und zwar auf kontrollierte Weise und ohne die geometrischen Einschränkungen, die bei verdrehtem, doppelschichtigem Graphen (Twisted Bilayer-Graphen) auftreten – so eine Medienmitteilung des Max-Planck-Instituts für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg.

Jüngste Entdeckungen von Supraleitung und Ladungsdichtewellen in zweidimensionalen Übergangsmetall-Dichalcogeniden (TMDs) haben in dieser Materialklasse für viel Aufregung gesorgt. Die elektronischen Eigenschaften und damit das Transportverhalten in diesen Materialien hängen von der anionischen Umgebung um Metallionen ab. Beim 2H-Polytyp ordnen sich die Anionen in trigonaler prismatischer Weise an, während beim 1T-Polytyp die Anordnung oktaedrisch ist. Es sind jedoch auch andere Polytypen von TMDs bekannt, die aber weniger untersucht sind. Abhängig von der Elektronenfüllung in d-Orbitalen kann der bestimmte Strukturtyp halbleitendes oder metallisches Verhalten zeigen. So sind z.B. 2H-NbSe2 und 1T-ReS2 metallisch (teilweise gefüllte d-Orbitale), während 1T-HfS2, 2H-MoS2 und 1T-PtS2 wegen der voll besetzten d-Orbitale Halbleiter. siehe: cpfs.mpg.de/2520636/Transition-metal-dichalcogenides)

Auf der Suche nach Supraleitern, die Elektrizität widerstandslos transportieren, untersuchen viele Wissenschaftler nun zweidimensionale Materialien, um ein besseres Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung sowie anderer exotischer Materialphasen zu erlangen. Diese aus nur einer Atomlage bestehenden Substanzen können überraschende neue Eigenschaften entwickeln, wenn sie aufeinander gelegt werden.

Schema der verdrehten Doppelschicht WSe2, bei der eine korrelierte Isolatorphase und ein möglicher supraleitender Übergang in einem relativ großen Bereich kleiner Verdrehungswinkel entstehen – Grafik © Jörg Harms / MPSD

Eine der einfachsten und interessantesten Methoden ist es, zwei Schichten desselben Materials mit einer leichten Drehung übereinander zu stapeln. Je nach dem Verdrehungswinkel löst diese Schichtung bemerkenswerte Veränderungen in den elektronischen Materialeigenschaften aus. Twisted Bilayer-Graphen kann beispielsweise bei einer überraschend hohen Temperatur supraleitende Eigenschaften entwickeln – eine Eigenschaft, die es im Normalzustand nicht besitzt.

Bisherige Studien zeigen, dass die niederenergetischen elektronischen Zustände in Twisted Bilayer-Graphen stark lokalisiert sind und ihre kinetische Energieskala deutlich gedämpft wird. Dadurch gewinnen die Elektron-Elektron-Korrelationen an Bedeutung, so dass das System bei geringer Dotierung in Mott-ähnliche Isolator- und Supraleiterphasen getrieben wird, deren Phasendiagramme denen der Hoch-Tc-Supraleiter ähneln. Twisted Bilayer-Graphen bietet daher eine vielversprechende Plattform für die Untersuchung exotischer korrelierter Phänomene, einschließlich der Hochtemperatur-Supraleitung. Seine einfache Struktur und leichte Zugänglichkeit sind weitere Vorteile.

Dennoch hat Twisted Bilayer-Graphen auch seine Grenzen. Die starke Unterdrückung der kinetischen Energieskala erfolgt aufgrund der speziellen elektronischen Struktur nur bei bestimmten Verdrehungen – den sogenannten magischen Winkeln (ab etwa 1,1°). Daher werden die faszinierenden, stark korrelierten Phänomene nur sehr nahe am magischen Winkel beobachtet. Dies ist eine Herausforderung für die experimentelle Umsetzung unter realen Laborbedingungen und schränkt die Abstimmbarkeit der Studie ein.

Das internationale Forschungsteam von MPSD, der RWTH Aachen, der Columbia University, des Center for Computational Quantum Physics am Flatiron Institute (beide in den USA), der Nanjing University in China und des National Institute for Materials Science in Japan wollte die Eigenschaften dieser atomar dünnen Materialien neu betrachten. Die Wissenschaftler berichten, dass ähnliche Phänomene bei dem verdrehten, doppelschichtigen Übergangsmetalldichalkogenid WSe2 auftreten können, jedoch ohne die starken Einschränkungen der magischen Winkel.

Das Team maß die Transporteigenschaften der verdrehten Doppelschicht WSe2 bei niedrigen Temperaturen mit variierenden externen Magnet- und Verschiebungsfeldern. Sie fanden die Signaturen der korrelierten Isolatorphasen in Proben mit Verdrehungswinkeln zwischen 4° und 5,1°. Diese korrelierten Phasen sind in hohem Maße mit Verdrehungswinkeln und externen Verschiebungsfeldern abstimmbar, die im Sinne eines effektiven Hubbard-Modells auf einem zweidimensionalen Dreiecksgitter rationalisiert werden können.

In der Probe mit einem Verdrehungswinkel von 5,1° werden bei einer Temperatur unter 3K Null-Widerstandstaschen in der Nähe der korrelierten Isolatorphase beobachtet, was auf einen möglichen Übergang in einen supraleitenden Zustand hinweist. Diese neuen Erkenntnisse der Experimentalgruppen von Cory Dean und Abhay Pasupathy an der Columbia University wurden durch umfangreiche erste Prinzipien-Berechnungen und Modellierungen von Lede Xian und Ángel Rubio in der Theorieabteilung des MPSD, sowie von Martin Claassen am Flatiron-Institut der Simons Foundation und Dante Kennes an der RWTH Aachen erläutert.

Diese Studie zeigt, dass WSe2 eine hochgradig flexible Plattform für die Entwicklung elektronischer Bandstrukturen ist. Das Material erlaubt die detaillierte Untersuchung stark korrelierter Phänomene, die sonst unzugänglich bleiben würden, und bietet großes experimentelles und theoretisches Potenzial. Insbesondere ermöglicht das System eine einzigartige abstimmbare Festkörper-Realisierung eines Ein-Band-Hubbard-Modells auf einem Dreieckssystem, bei dem Bandbreite und Dotierung unabhängig voneinander variiert werden können.

„Daher stellt WSe2 ein vielversprechendes alternatives Material für die Erforschung der Supraleitung und anderer exotischer Phänomene wie Exzitonkondensate, Spinflüssigkeiten und magnetische Ordnung dar“, erklärt der Direktor der MPSD-Theorieabteilung, Ángel Rubio. „Es eröffnet neue Möglichkeiten zur Untersuchung des Zusammenspiels zwischen starken Interaktionen und Frustration.“

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