Methan kein Dekarbonisierungstreiber

Ausstieg aus fossilem Erdgas

In einem Diskussionspapier ziehen Claudia Kemfert, Christian von Hirschhausen und Fabian Praeger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW-Berlin) das Narrativ in Zweifel, Methan könne die Dekarbonisierung vorantreiben, und fossiles Erdgas sei ein idealer Übergangsbrennstoff im Defossilisierungsprozess. Stattdessen entwickeln sie eine alternative Erzählung namens „Ausstieg aus fossilem Erdgas“, als logische Folge eines wirklich kohlenstofffreien Energiesystems. Wenn man die Herausforderung der Dekarbonisierung ernst nehme, sei Erdgas keine Lösung mehr, sondern werde zu einem Hauptproblem. Allerdings werde es innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte aus dem Brennstoffmix verschwinden. Solarify dokumentiert Ausschnitte aus dem 52seitigen Papier.

Gaslager Berlin – Foto © Solarify

Kurzfassung

Dieses Papier diskutiert die potenzielle Rolle von fossilem Erdgas (und anderen Gasen) im Prozess der Energietransformation in Europa auf dem Weg zur vollständigen Dekarbonisierung. Nach gängiger konventioneller Lehrmeinung sollte Erdgas, vielleicht in Kombination mit anderen Gasen, weiterhin eine wichtige Rolle im Energiemix spielen, zunächst als „Brückentreibstoff“ und dann durch einen allmählichen Übergang zu dekarbonisierten Gasen… Auf der Grundlage einer eingehenden Bewertung der ehrgeizigen Klimaziele der EU und der daraus resultierenden Notwendigkeit einer weitreichenden Dekarbonisierung sowie der Ergebnisse aus der Modellierung des Energiesystems ergibt sich ein kontrastierendes Ergebnis, bei dem das Verschwinden des fossilen Erdgases und der entsprechenden Infrastruktur der nächste logische Schritt des Transformationsprozesses in Europa ist.

Das Fehlen einer wirtschaftlichen Perspektive für die Kernenergie und das Fehlen eines plausiblen Einsatzes großmaßstäblicher Technologien zur Entfernung von Kohlendioxid (CDR) implizieren, dass Erdgas im Dekarbonisierungsprozess nicht mehr Teil der Lösung für die Herausforderung des Klimawandels, sondern Teil des Problems geworden [ist]. In den letzten Jahren hat der Ausstieg aus Erdgas in Europa bereits begonnen und wird sich bis zu seinem vollständigen Ausstieg fortsetzen, höchstwahrscheinlich in den 2040er Jahren, d.h. in nur zwei Jahrzehnten. Der Rückgang des Erdgases in Europa hat Auswirkungen auf den kurz- und längerfristigen aggregierten und sektoralen Energiemix, aber auch auf die Zukunft der schwerfälligen Infrastruktur, die in den letzten Jahrzehnten für einen wachsenden Markt entwickelt wurde. Heute ist es wahrscheinlich, dass Investitionen in die Erdgasinfrastruktur zu gestrandeten Vermögenswerten führen, wie wir in drei konkreten Fällen zeigen: Die Investitionen von 10 Mrd. € in die Nord Stream 2-Pipeline sind weder für die Versorgungssicherheit Europas noch für die Rentabilität der Investitionen notwendig; Projekte neuer LNG-Terminals an der deutschen Nordseeküste (Brunsbüttel, Stade, Wilhelmshaven) sind nicht wirtschaftlich, und neue Erdgaskraftwerke dürften unrentabel sein. Das Papier schlägt vor, die dominierende Erzählung („Erdgas bei der Dekarbonisierung der europäischen Energiemärkte“) durch eine unserer Meinung nach kohärentere Erzählung im Kontext der Dekarbonisierung zu ersetzen: Ausstieg aus fossilem Erdgas.

Einführung

Fossiles Erdgas hat eine illustre, aber relativ marginale Rolle in den europäischen Energiesystemen gespielt. Erst nach der Entdeckung großer Erdgasfelder in der Nordsee fand Erdgas ab den 1960er/70er Jahren seinen Weg in den Energiemix einiger europäischer Länder wie Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland. Mit der Liberalisierung und Vollendung des europäischen Binnenmarktes, angeführt vom Vereinigten Königreich in den 1980er Jahren, gewann Erdgas einen bedeutenderen Anteil am Strommarkt. Dennoch erreichte der Anteil von Erdgas an der europäischen Primärenergieproduktion und am europäischen Primärenergieverbrauch im Jahr 2000 (22,2%) und 2010 (25,4%) einen Höchststand, 2017 lag er bei 13,6% bzw. 23,8% (Eurostat 2019). Die Notwendigkeit einer tief greifenden Dekarbonisierung des europäischen Energiesystems wurde von der Industrie lange Zeit nicht als existenzielle Bedrohung erkannt. Vielmehr hat sich die europäische Erdgasindustrie als integraler Bestandteil der kohlenstoffarmen Transformation den internationalen Erzählungen von einem „goldenen Zeitalter“ des Erdgases angeschlossen, wie es im World Energy Outlook(2011) der IEA zum Ausdruck kommt.

Selbst angesichts des offensichtlichen Rückgangs des Erdgasverbrauchs in der EU-27 nach 2010 sind die EU-Referenzprognosen der Europäischen Kommission hinsichtlich der europäischen Produktion und des Verbrauchs weiterhin optimistisch. Begleitet wurde die Einschätzung von einer noch optimistischeren Wachstumsperspektive durch die Industrie selbst, Eurogas. Umweltgruppen und Naturwissenschaftler hatten die potenzielle Gefahr einer großflächigen Nutzung von Erdgas für eine echte Dekarbonisierung bereits frühzeitig erkannt. Dennoch haben professionelle Industrieanalysten relativ lange gebraucht, um sich mit der Unvereinbarkeit zwischen starken Klimaambitionen und der fortgesetzten Nutzung von fossilem Erdgas auseinanderzusetzen….

In diesem Papier stellen wir das Narrativ in Frage, dass „Methan dekarbonisieren kann“ und dass deshalb fossiles Erdgas ein idealer Übergangsbrennstoff im europäischen Dekarbonisierungsprozess ist. Stattdessen entwickeln wir eine alternative Erzählung namens „Ausstieg aus fossilem Erdgas“, die die logische Folge eines wirklich dekarbonisierten Energiesystems ist. Wir argumentieren, dass, wenn man die Herausforderung der Dekarbonisierung ernst nimmt, Erdgas keine Lösung mehr ist, sondern zu einem Hauptproblem wird, und dass es innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte aus dem Brennstoffmix verschwinden wird.

Dieses Papier ist das Ergebnis eines Hauptvortrags, der auf der 2. Internationalen Konferenz „The Economics of Natural Gas – New Research Perspectives for Rapidly Changing World“ (Die Ökonomie des Erdgases – Neue Forschungsperspektiven für eine sich schnell verändernde Welt) gehalten wurde, die am 21. Juni 2019 in Paris vom „Chair Natural Gaz“ abgehalten wurde; es wurde durch aktuelle Forschungsergebnisse über den Sektor und einige historische Referenzen ergänzt.

->Quelle und kompletter Text: