Aurora: Wasserstoffplan reicht für 65%-Ziel nicht aus

2050 2.500 TWh Bedarf – aber zu wenig Grünstrom

Eine im Rahmen einer Medienmitteilung am 09.11.2020 publizierte Untersuchung des Beratungsunternehmens Aurora Energy Research zeigt: Die im Juni vorgestellte Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung erschwert das Erreichen des Ziels (bis 2030 einen Anteil von 65-Prozent Erneuerbaren Energien). Der Grund: Die in der nationalen Wasserstoffstrategie geplante Produktion von Wasserstoff mittels Elektrolyse lässt den Strombedarf steigen, doch die Erneuerbaren-Ausbauziele halten damit zumindest bis 2030 nicht Schritt. Also müssten Aufbau von Elektrolyseuren und Ausbau der Erneuerbaren Energien enger verknüpft werden.

Wasserstoff wird teilweise mittels Kohlestrom erzeugt, mit entsprechenden Treibhausgasemissionen. Zudem erreichen die Erneuerbaren bis 2030 gerade mal 55, statt wie geplant 65 Prozent Marktanteil. Wenn Wasserstoff und Erneuerbare als Paket betrachtet und aufeinander abgestimmt würden, könnten dagegen Zeiten hoher Stromeinspeisung genutzt und tatsächlich grüner Wasserstoff produziert werden. Das entlaste die Netze, steigere die Wirtschaftlichkeit der Erneuerbaren und fördere ihren weiteren Ausbau.

Um das Ziel zu erreichen, müssten aber von Anfang an noch weitere Aspekte in die Planungen einbezogen werden:

  • Ausbau der Stromnetze,
  • Anschluss der neuen Offshore-Gebiete,
  • Ausbau der Infrastruktur für Transport und Speicherung von Wasserstoff,
  • Umstellung von Industrieanlagen auf Wasserstoff.

Die von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen seien „weit entfernt von dem, was zum Erreichen der Dekarbonisierungsziele erforderlich ist. Im ungünstigsten Fall könnte die Wasserstoffstrategie die Treibhausgasemissionen sogar zunächst steigen lassen,“ so Aurora Energy Research. In ihrer Analyse haben die Aurora-Experten durchgerechnet, wie sich die Vorhaben der Bundesregierung auswirken, wenn sie jeweils wie geplant umgesetzt werden: Während der Ausbau der Offshore-Windkraft die Emissionen reduziert, lässt die geplante Produktion von Wasserstoff per Elektrolyse den Strombedarf ansteigen. In der Bilanz gleichen sich beide Effekte gerade mal aus, mit der Folge, dass der Stromsektor trotz des Windkraft-Zubaus nicht kohlenstoffärmer wird. „Der Erneuerbaren-Anteil am Strommix steigt nicht schnell genug“, sagt Jan-Lukas Bunsen, Projektleiter im Berliner Büro von Aurora Energy Research. „Das heißt, dass für die Elektrolyse auch Kohlestrom zum Einsatz kommt und der so produzierte Wasserstoff somit zunächst klimaschädlicher ist als der aus Erdgas gewonnene so genannte graue Wasserstoff.“

65-Prozent-Ziel bei Erneuerbaren würde verfehlt – Wasserstoffstrategie aber richtiger Schritt

Die Studienautoren sehen die nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung dennoch als richtigen Schritt, um Sektoren zu dekarbonisieren, in denen der direkte Einsatz von Elektrizität schwierig oder unmöglich ist, etwa die Stahl- und die Chemieindustrie. „Es ist wichtig, das Thema Wasserstoff jetzt hochzufahren“, sagt Bunsen. „Allerdings ist entscheidend, dass parallel zum Hochfahren der Elektrolyse der Ausbau der Erneuerbaren im nötigen Maße gelingt. Denn sonst steigen nicht nur die Treibhausgasemissionen kurz- bis mittelfristig, sondern es wird auch schwierig, das Ziel von 65 Prozent Anteil der Erneuerbaren an der Stromnachfrage bis 2030 zu erreichen.“

Wie die Studie zeigt, würde bei Umsetzung der aktuellen Pläne der steigende Strombedarf für die Wasserstoffproduktion dafür sorgen, dass die erneuerbaren Energien bis 2030 gerade mal 55 Prozent Marktanteil erreichen. „Um das 65-Prozent-Ziel trotzdem zu erreichen, müssten die heute installierten 125 Gigawatt erneuerbare Stromerzeugungskapazität bis 2030 fast verdoppelt werden – das ist mit den aktuellen Ausbauzielen der Bundesregierung nicht erreichbar“, sagt Bunsen.

Die Studienautoren empfehlen daher, Wasserstoffwirtschaft und Erneuerbaren-Ausbau als Gesamtpaket zu betrachten und Maßnahmen eng aufeinander abzustimmen: „Nur durch diese Koppelung lässt sich sicherstellen, dass der per Elektrolyse hergestellte Wasserstoff auch wirklich kohlenstoffärmer ist als der aus Erdgas erzeugte“, sagt Bunsen. „Zudem lassen sich dann auch wirtschaftliche Synergien erreichen.“ So könnten zum Beispiel die Betreiber von Erneuerbare-Energien-Projekten ihre Einnahmen um bis zu 4 Prozent steigern, wenn sie ein wetterbedingtes Strom-Überangebot an Wasserstoffelektrolyseure verkaufen. „Solche positiven Rückkopplungen beschleunigen wiederum den Erneuerbaren-Ausbau, bei gleichzeitig geringerem Subventionsbedarf.“

Umstellung industrieller Anlagen dauert und kostet

Mastenwald südlich von Köln – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Doch nicht nur Wasserstoffproduktion und regenerative Stromerzeugung müssen aufeinander abgestimmt werden. Zum Gesamtpaket gehört auch der nötige Ausbau der Stromnetze, zumal viele neue Windkraftanlagen in Meeresgebieten errichtet werden sollen, die bisher weder dafür genehmigt noch an das Stromnetz angeschlossen sind. Die Studie kommt daher auf mindestens 11.000 Kilometer neue Leitungen bis 2030. Zudem muss auch die Infrastruktur für Transport und Speicherung des Wasserstoffs geschaffen werden. Und: Um gleichzeitig mit dem Hochlauf der Produktion von Wasserstoff auch dessen Nutzung zu steigern, müssen vor allem industrielle Anwender rechtzeitig mit dem Umbau ihrer Anlagen beginnen, denn dieser dauert je nach Einsatzbereich mehrere Jahre. Auch die Kosten dafür sind zu berücksichtigen: Die Aurora-Experten gehen davon aus, dass die Umstellung von Infrastruktur und Industrieanlagen auf Wasserstoff zwei- bis viermal so viel kosten wird wie die nötigen Subventionen für die Wasserstofferzeugung aus erneuerbaren Energien.

Als Fazit empfehlen die Studienautoren daher ein politisches Gesamtkonzept, das alle Aspekte der Wasserstoffwirtschaft und ihre Implikationen für die Beteiligten berücksichtigt. Dazu gehört die Frage, wie etwa Stahl- und Chemieunternehmen bei der Umstellung ihrer Anlagen auf Wasserstoffbetrieb unterstützt werden. Auch der Bau und Betrieb der Infrastruktur zum Transport und Speichern des Wasserstoffs muss geregelt und Förderanreize gesetzt werden. Ebenso braucht es ein System zur Zertifizierung des Wasserstoffs, um kenntlich zu machen, aus welchen Quellen er stammt und wie klimafreundlich er ist. Gut gemacht, kann ein solches System die Nachfrage nach tatsächlich grünem Wasserstoff steigern und so den Ausbau der Erneuerbaren zusätzlich fördern. „Entscheidend ist, dass die Politik möglichst bald klare Rahmenbedingungen setzt, an denen sich die Marktteilnehmer orientieren und ihre Entscheidungen ausrichten können“, sagt Bunsen. „Denn der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft erfordert erhebliche Investitionen, die nur fließen werden, wenn die Geldgeber langfristig Planungssicherheit haben.“

2050: Wasserstoff-Nachfrage 2.500 TWh und 120 Mrd. Euro

Wasserstoff könnte in Europa bis 2050 eine Industrie mit einem Volumen von mehr als 120 Milliarden Euro pro Jahr sein, wobei sich Deutschland als bester Markt für Elektrolyseure erweisen könnte. Da Großbritannien und die EU Netto-Null-Emissionsziele bis 2050 festlegen, könnte Wasserstoff eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung schwieriger Sektoren wie Industrie, Heizung und Schwerlastverkehr sowie beim Ausgleich variabler erneuerbarer Energien spielen. Die Nachfrage nach Wasserstoff könnte bis 2050 auf bis zu 2.500 TWh pro Jahr anwachsen (fast die Gesamtgröße des derzeitigen europäischen Elektrizitätssystems).

Deutschland entwickelt sich zum attraktivsten Markt für Investitionen in Wasserstoff in Europa. Deutschland hat eine ehrgeizige Wasserstoffstrategie definiert, mit geplanten Anreizen für die Wasserstofferzeugung und -nutzung in der Industrie. Das künftige Wachstum des „grünen Wasserstoffs“1 wird durch starkes Wachstum der Solar- und Windkapazitäten erleichtert werden. Großbritannien, die Niederlande und Norwegen sind attraktive Standorte für „blauen Wasserstoff“2, da alle drei Länder eine Politik verfolgen, die sowohl die Gasnutzung als auch die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung begünstigt. Das Vereinigte Königreich muss noch eine Wasserstoffstrategie festlegen und leidet im Vergleich zu anderen europäischen Ländern unter höheren regulatorischen Hindernissen für den Einsatz von Wasserstoff.

Großbritannien und Europa haben sich anspruchsvolle Ziele für Netto-Null-Emissionen bis 2050 gesetzt, welche die Umstellung des Energieverbrauchs in der gesamten Wirtschaft auf kohlenstofffreie Quellen beinhalten. Wasserstoff könnte eine wichtige Rolle bei der Reduzierung der Emissionen spielen, insbesondere bei „schwer zu reduzierenden“ Aktivitäten in der Industrie, beim Heizen und im Schwerlastverkehr.

Wasserstoff wird bereits in großem Umfang in industriellen Prozessen wie der Ammoniakproduktion und in Raffinerien eingesetzt, wobei sich der gesamte europäische Bedarf von 327 TWh auf Deutschland, die Niederlande und Frankreich konzentriert. Dieser Wasserstoff wird jedoch aus Erdgas hergestellt, was zu erheblichen Treibhausgasemissionen führt. Seit der Festlegung von Netto-Null-Zielen in der Gesetzgebung haben die Regierungen in ganz Europa dem Potenzial einer Verlagerung hin zu kohlenstoffarmen Wasserstoffquellen, die entweder durch Elektrolyse von Wasser („grüner Wasserstoff“) oder aus Erdgas mit CO2-Abscheidung („blauer Wasserstoff“) hergestellt werden können, große Aufmerksamkeit geschenkt.

Frankreich, Spanien und Portugal dürften bei der umweltfreundlichen Wasserstoffproduktion, die durch eine rasche und umfassende Einführung von Wind- und Solaranlagen erleichtert wird, eine Führungsrolle übernehmen. Aurora erwartet, dass sich die Solarkapazität in Spanien zwischen 2020 und 2040 mehr als verfünffachen wird. Dies wird wahrscheinlich zu längeren Perioden niedriger Strompreise führen, was die Wirtschaftlichkeit der Wasserstoffproduktion durch Elektrolyse verbessert, indem die Betriebskosten gesenkt werden. Frankreich strebt bis 2030 Elektrolyseure mit einer Leistung von 6,5 GW an, wobei 7 Milliarden Euro für grüne Wasserstoffprojekte vorgesehen sind, und erforscht die Wasserstoffproduktion aus Kernkraft.

Anise Ganbold, Leiterin der Abteilung Global Commodities bei Aurora Energy Research, dazu: „In den letzten anderthalb Jahren hat sich die Begeisterung für Wasserstoff rasch verstärkt. Wasserstoff aus kohlenstoffarmen Quellen könnte eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung der größten Umweltverschmutzer Europas spielen, und einige Projekte sind bereits im Gange. Es besteht jedoch ein enormes Potenzial für weitere Investitionen – wir schätzen die Marktgröße der Wasserstoffwirtschaft in Europa bis 2050 auf bis zu 120 Milliarden Euro. Derzeit ist der europäische Markt für Wasserstoff klein und beschränkt sich weitgehend auf Ölraffinerien und Ammoniak für Düngemittel. Auroras Analyse legt nahe, dass der Markt bis 2050 um das Achtfache auf 2.500 TWh pro Jahr wachsen könnte. Bei dieser Größe könnte der Marktwert der Wasserstoffverkäufe bis 2050 120 Milliarden Euro erreichen“.

„Einige Projekte zum Ausbau der Wasserstoffproduktion sind bereits im Gange, insbesondere für die ‚grüne‘ Wasserstoffproduktion, bei der erneuerbare Elektrizität zur Wasserspaltung verwendet wird. Um Europa bis 2050 zu dekarbonisieren, werden erheblich mehr Investitionen in alle Segmente der Wasserstoffversorgungskette erforderlich sein. Aurora Energy Research lancierte im Oktober das Hydrogen Market Attractiveness Rating (HyMAR), das Länder in Europa nach ihrem Wasserstoff-Investitionspotenzial bewertet und einstuft. Unsere Analyse kommt zu dem Schluss, dass Deutschland aufgrund seiner entwickelten Politik, der guten Aussichten für die Wasserstoffnachfrage und des signifikanten Wachstums bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien heute in Europa führend ist“.

Grunderkenntnisse

Neue Ziele für Offshore-Windenergie und Wasserstoff erhöhen die Strompreise bis 2040 nur um 2 %, da beide Maßnahmen einander ausgleichen Die Auswirkungen auf die Offshore-Windenergiepreise sind nahezu neutral, während die Solarenergie um 4 % (oder 2 EUR/MWh) steigt.
Auf der anderen Seite kommt Deutschland seinem Ziel für die erneuerbaren Energien nicht näher, obwohl der Einsatz erneuerbarer Energien um 10 GW zugenommen hat und der Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttoerzeugung im Jahr 2030 nur 52 % erreicht hat, 13 Prozentpunkte unter dem Ziel.
Auf auf der Angebotsseite werden die neuen Ziele bis 2040 voraussichtlich 29 Mrd. an Unterstützung erfordern vier Mal mehr als im COVID-Paket vorgesehen Zusätzliche Investitionen sind erforderlich in Infrastruktur und zur Schaffung von H 2-Nachfrage in der Industrie.
Mit Deutschlands heutiger Strommix, grüner Wasserstoff wird nicht sauber sein Bis 2035 ist er gerade noch par mit grauem Wasserstoff bei 265 g CO 2 /kWh Auch bis 2040 hat grüner Wasserstoff mehr als die doppelte Intensität des blauen Wasserstoffs, wobei 185 g CO 2 /kWh emittiert werden.
Die Hauptfragen, mit denen sich die Wasserstoffpolitik befassen muss, sind, ob Technologieneutralität Kosten spart, wie man Transparenz über die Emissionsintensität von H 2 schafft und Anreize für die Speicherung und Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur schafft.


1 ‚Grüner Wasserstoff‘ wird durch Elektrolyse von Wasser hergestellt
2 ‚Blauer Wasserstoff‘ wird aus Erdgas gewonnen, wobei die CO2-Emissionen abgeschieden und dauerhaft gespeichert werden.

Aurora Energy Research ist ein unabhängiges Energiemarktmodellierungs- und -analytikunternehmen, das 2013 von Ökonomen der Universität Oxford gegründet wurde. Aurora liefert auf Grundlage von innovativen Modellen und datengetriebenen Analysen tiefgreifende Einblicke in die europäischen und globalen Energiemärkte und unterstützt damit Projekt- und Investitionsentscheidungen. Dienstleistungen sind u.a. regelmäßige Langfristprognosen, Reports, Konferenzen und individuelle Beratungsprojekte. Aurora Energy Research hat Büros in Oxford, Sydney und Berlin.

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