„Effizienzlücke bei Wasserstoffgewinnung geringer als angenommen“

„Kann Grüner Wasserstoff unser Klima retten?“

Wissenschaftler wie der Chemiker Robert Schlögl, Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr (MPI CEC) und stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Wasserstoffrats (siehe: solarify.eu/nationale-wasserstoffstrategie-verabschiedet-wasserstoffrat-berufen), wollen mithilfe Grünen Wasserstoffs das Energiesystem revolutionieren und den menschengemachten Klimawandel bekämpfen. Wie das weltweit funktionieren und vor allem  für alle bezahlbar sein soll, erklärte er in einer Online-Veranstaltung der Q&A-Reihe „Neugier“ von #innovationsland Deutschland des BMBF am 08.12.2020.

„Grüner Wasserstoff wird mittels Erneuerbarer Energie hergestellt, erzeugt nur minimale Treibhausgasemissionen und ist nachhaltig verfügbar“, erklärte Robert Schlögl (auch Direktor am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin) in seiner Eingangsvorstellung. „Wasserstoff und seine chemischen Derivate lassen sich wie heute Öl und Gas universell einsetzen. Sie ermöglichen eine Kreislaufwirtschaft des Kohlenstoffs.“ Er hat es angesichts des fortschreitenden Klimawandels eilig: „Wenn wir den Klimaschutz ernstnehmen, müssen wir hier und heute mit der Umsetzung beginnen – und aufhören, nur ständig darüber zu diskutieren.“

Schlögl bezeichnete sich zu Beginn als „Werkzeugmacher für die Energiewende“. Er habe sich schon lange mit der chemischen Umwandlung von freien Elektronen, „vulgo: mit elektrischem Strom“, befasst. Dabei sei er auf die gebundenen Elektronen anderer Energieträger gestoßen wie etwa Wasserstoff, und dabei sei er geblieben. Die Energiewende sei keine regionale Veranstaltung. Sie müsse weltweit geschehen mithilfe überregionaler Organisationen – in Europa etwa der EU. „Ich bin erklärter EU-Fan. Schade, dass die EU nicht aus dem Mustopf kommt; das liegt an vielen Partikularinteressen. Nur: im nationalen Kontext wird es keine funktionierende Energiewende geben.“

Warum nur grüner Wasserstoff denkbar sei, entwickelte Schlögl einfach: Wasserstoff werde die – einzig sinnvolle – Grundlage für ein neues Weltenergiesystem sein, zunächst in jeder Form und Herstellungsart. Aber wichtig sei: Nur wenn am Ende aller Wasserstoff grün sei, habe die Umstellung einen Sinn im Blick auf den Klimaschutz. Dabei werde man in der Zwischenzeit, solange nicht genügend grüner Wasserstoff zur Verfügung stehe, auch Übergangstechnologien anwenden müssen – wie etwa blauen Wasserstoff (aus Erdgas mit CCS): alle Farben seien denkbar, aber nur dann, wenn am Ende grüner Wasserstoff stehe.

Die entscheidende Erkenntnis der deutschen Wasserstoffstrategie sei, dass erneuerbare Energie nicht nur Strom sei, sondern auch Energieträger wie Wasserstoff. Ein Folge aus der nationalen Wasserstoffstrategie sei die Einrichtung des Nationalen Wasserstoffrats gewesen. Die Strategie differenziere in 38 Einzelmaßnahmen, wie man zu der nötigen Menge komme – „so etwas kommt nicht häufig vor – daher bin ich ein starker Unterstützer der Wasserstoffstrategie.“

Ob wir uns nicht den Wasserstoffproduzenten ausliefern? Grünen Wasserstoff könne man an vielen Punkten der Welt herstellen, anders als bei Erdöl- und Erdgasvorkommen seien keine Abhängigkeiten von bestimmten Förderländern zu befürchten, ist Schlögl überzeugt. Denn angesichts unserer heimischen (wenn auch ausbaubaren) Kapazitäten müssten wir erhebliche Mengen des Wasserstoffs importieren.

Gefragt nach dem Preis des neuen Energieträgers wies Schlögl darauf hin, dass man unterscheiden müsse – zwischen Stromkosten und Strompreis: Die Kosten sagen, was die Produktion des Stroms (oder Wasserstoffs) koste –  der Preis sei politisch und unter anderem mit etlichen Steuern, Abgaben und Umlagen befrachtet. Die Herstellung Grünen Wasserstoffs werde bei aber uns auf absehbare Zeit unwirtschaftlich sein. Schlögl schätzt die Kosten bei globalen Dimensionen der Herstellung auf wahrscheinlich 1 – 1,5 Euro pro Kilogramm Wasserstoff. Der Preis werde dann wieder politisch bestimmt.

Was können Kommunen machen? Das herauszufinden und vorzuschlagen, sei unter anderen eine Aufgabe der 27 Leute des Wasserstoffrats. „Man kann Wasserstoff durchaus auch lokal erzeugen. In der Nähe von Mülheim gibt es zum Beispiel Windräder, mit deren Strom könnte man in bescheidenem Umfang Wasserstoff herstellen.“ Allerdings werde der nicht weit reichen. Die gesamte deutsche Wasserstoffproduktion sei für die Stahlherstellung nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Besser sei es da, sogenannte „synthetische Kraftstoffe herzustellen, und ohne Umrüstung der Flotten im Verkehr einzusetzen“. Aber die Defossilisierung des Energiesystems insgesamt müsse möglichst schnell vorangetrieben werden – „aber nicht alles völlig neu machen, daher lieber in der Mobilität synthetische Treibstoffe als Wasserstoff einsetzen!“ Man könnte relativ bald 50 Prozent der CO2-Emissionen einsparen, und über den (allgemein nötigen) Kohlenstoffkreislauf später reden. Die Energiebilanz der Designer Fuels im Vergleich zu anderen Antrieben unterscheide sich nicht stark – beim E-Auto müsse etwa die Herstellung der Batterie berücksichtigt werden; Brennstoffzellen seien noch relativ neu, brauchten also  lange Einführungszeiten. Beides gehe nur begrenzt, beides sollte zusammen mit den synthetischen Kraftstoffen eingeführt werden.

Wie verhält es sich mit dem benötigten Rohstoff Wasser bei der Elektrolyse? Kann da nicht eine Konfliktsituation und/oder eine weitere ökologische „Schwierigkeit“ entstehen? Schlögl warb für eine systemische Betrachtungsweise – zu bedenken seien alle Ressourcen, der Landverbrauch, der Wasserverbrauch, die Rohstoffe. Das Problem der seltenen Erden sei lösbar, auch die seltenen Edelmetalle. „Es gibt beispielsweise bereits Ersatzmöglichkeiten auf der Basis von Eisen und anderer Metalle“. Aber es gebe noch viel Forschungsbedarf. „Wir wissen heute noch nicht genau, wie große Elektrolyseure unter tatsächlicher dauernder Last funktionieren werden.“

Schlögl bebilderte den aktuellen Stand mit einem anschaulichen Vergleich: „Wir befinden uns im Moment, verglichen mit der Entwicklung des Autos, ungefähr an dem Punkt, als – im Unterschied zu Maybach und Daimler – Henry Ford darüber nachdachte, das Auto zu einem breit verfügbaren Gut zu machen – an dieser Stelle befinden wir uns“.

Die Frage der Energieintensität der Wasserstoffproduktion – es bedürfe großer Mengen erneuerbarer Energie – „trifft den Kern der Problematik“. Aber Schlögl gab zu bedenken, dass die für die Gewinnung von Wasserstoffs eingesetzte Energie „nachher in dem Wasserstoff (wie in einer Batterie mit großer Speicherfähigkeit) drinsteckt, noch wird die Effizienzlücke mit 70% angegeben, aber ich glaube, dass sie eher bei 5% liegt“.

Die Fragen, welche anderen Staaten außer Australien in Frage kämen, und warum gerade in Holland das größte Wasserstoffprojekt Europas mit Offshorewind geplant werde, veranlasste Schlögl zu einem geografischen Exkurs: Man könne den Globus in verschiedene Zonen einteilen. Die geografische Lage sei für die Gewinnung Erneuerbarer Energien entscheidend. 15 Grad nördlich und südlich vom Äquator, also die tropischen Regionen, seien ungeeignet, weil es da zu viele Wolken gebe. Besser seien die gemäßigten Gegenden: Man könne zwei Streifen auf den Globus malen, wo die Ausbeute bei den Erneuerbaren am besten sei. Es gebe bereits sogenannte Potenzialatlanten, die würden eben weiter konkretisiert. Im Bezug auf die Niederlande fragte Schlögl rhetorisch: „Was ist das ‚größte Wasserstoffprojekt'“? Das holländische Projekt sei gemessen am Bedarf eigentlich „winzig“: Es bediene im Vergleich nur etwa 0,1 % des deutschen Bedarfs. Die Niederlande und Dänemark hätten vergleichsweise einen relativ viel kleineren Energiebedarf als Deutschland, entsprechend leichter sei der auch zufriedenzustellen. In Marokko generiere die Solarenergie viele Arbeitsplätze. „Marokko wird weltweites Exportland für Wasserstoff werden – und wir müssen sehen, ob wir dann auch genug davon abkriegen“.

Nach seiner persönlichen Motivation gefragt, berichtete Schlögl davon, wie ihm klar geworden sei, welch ernste Bedrohung der Klimawandel darstelle. Und: „Wir in Deutschland und Europa haben durch die industrielle Revolution den Schlamassel mit angerichtet, also sind wir auch mitverantwortlich für seine Beseitigung.“ Bei der Entwicklung des Anthropozäns habe die Wissenschaft einen erheblichen Anteil an der Veränderung der Welt, und wir als eines des reichsten Länder zumal.

Die Zeit drängt – das schien in Schlögls Ausführungen immer wieder durch: „Es muss jetzt die Wasserstoffstrategie umgesetzt werden. Die Politik muss den nächsten Schritt gehen und einen Ordnungsrahmen aufstellen. Wir betrachten das heute zu sehr als deutschzentriertes Problem mit der wichtigsten Aufgabe, dass sich das Energiesystem in Richtung Erneuerbare entwickelt, aber im Moment ist zu viel Mikromanagement am Werk“.

Gefragt, ob er ein eigenes Energieministerium für sinnvoll halte, konnte er nur dann einen Vorteil darin erkennen, wenn es gelinge, die verschiedenen Einzelzuständigkeiten und -verantwortungen aus den bisher beteiligten Ministerien herauszulösen und unter einem Dach zu vereinen – eine zusätzliche Struktur würde nichts ändern – „eher im Gegenteil, den Ablauf zusätzlich verkomplizieren“. Wichtiger sei, das Parlament stärker zu beteiligen, denn die Energiewende sei eine Generationenaufgabe.

Ob Wasserstoff in der Gesamtbilanz nicht zu teuer komme? Die Kosten seien nicht kritisch, versicherte Schlögl. Man dürfe allerdings die Fossilen als Vergleichsmaßstab nehmen. „Die Frage ist vielmehr, was ist der Preis; nach Paris gibt es keine fossile Option mehr, Kosten hin oder her, dieser Gradmesser ist seit Paris illegitim“.

Aktuell vorhandene Technologien seien durchaus in der Lage. entscheidende Beiträge zu leisten. Im Pkw-Verkehr sei Wasserstoff aber eine der schlechtesten Möglichkeiten, wenn man die Menge an möglicher CO2-Einsparung gegen die Kosten der Umrüstung von 48 Millionen Fahrzeugen in Deutschland gegenrechne.

Wie er die Kernfusion beurteile? „Die Fusion bietet zwei Möglichkeiten – sie stellt hohe Temperaturen zur Verfügung, man könnte ohne Elektrolyse Wasser spalten, das wäre eine ideale Methode, um große Mengen Wasserstoff zu erzeugen, liegt aber in ferner Zukunft.“

Ammoniak? Hier sei die Frage, wofür man ihn verwende. Grüner Ammoniak erzeuge bei seiner Verbrennung Stockoxide, Lachgas und andere problematische Stoffe. Er sei eher zum Energietransport, weniger als Energieträger geeignet.

Und immer wieder der Zeitdruck: „Wir müssen schneller werden: nicht nur als Abnehmer, sondern vor allem als Anbieter im Technologieverkauf. Die Bundesregierung hat das erkannt und die Wasserstoffstrategie aufgesetzt“. Wir könnten die negativen Folgen des Klimawandels „nur verhindern, wenn wir gut sind. Wir sind gut in der Qualität nicht aber in der Geschwindigkeit – Wenn wir Jahre über die Farbe des Wasserstoffs diskutieren, machen es andere.“ Was jeder einzelne tun könne? Weniger verschwenderisch mit Energie umgehen. Auf den politischen Bereich einwirken. Kommunen können Pilotprojekte machen. Wir alle können der Politik Beine machen – das ist im Augenblick das wichtigste. „Reden Sie mit ihren Abgeordneten!“

Wie könne man die Akzeptanz erhöhen? Ganz einfach – durch Kommunikation. Komplexe Zusammenhänge werden nicht gut genug erklärt. „Es ist falsch zu glauben, man könne den Bürgern schwierige Sachverhalte nicht gut erklären. Ich organisiere eben eine groß angelegte Wanderausstellung zu diesem Thema“.

Zum Schluss freute sich Schlögl darüber, dass er aus den Fragen vor allem eines gelernt habe: „Die Einsicht über die Zusammenhänge ist offensichtlich weiter als bei manchen Entscheidern.“

Im Rahmen der Veranstaltungsserie „Neugier: die digitalen Q&As“ gehen Akteurinnen und Akteure des Innovationsgeschehens in der Bundesrepublik Deutschland – Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Politikberatung, Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie (jungem) Unternehmertum – nach einer einführenden persönlichen Vorstellung im Dialog mit der Moderation auf digital eingereichte Fragen ein. Das vierte circa einstündige, online übertragene Q&A der Serie mit Robert Schlögl fand am 08.12.2020 statt.
Mitschrift: gh