Gletschersee bedroht peruanische Stadt Huaráz

Prozess „Saúl ./. RWE“ läuft seit 2015 – jetzt wissenschaftliche Belege

Rupert Stuart-Smith (University of Oxford) und Gerard Roe (University of Washington, Seattle) warnen in Nature Geoscience vor einer Naturkatastrophe durch den Gletschersee Laguna de Palcacocha in den peruanischen Anden. 22 km unterhalb des Sees liegt Huaraz. Ein erneutes Unglück (nach 1941) hätte noch verheerendere Folgen, mahnen die Forscher. Seit 2015 sieht sich der Energieversorger RWE deshalb einer Klage des Kleinbauern und Bergführern Saúl Luciano Lliuya beim Landgericht Essen gegenüber.

Der Gletschersee Palcacocha mit provisorischem und ungenügendem Abpumpsystem im Vordergrund: Der Andenstadt Huaráz droht (erneut) eine Flutkatastrophe – Foto © Germanwatch e. V..png

Die gewaltigen Emissionsmengen des Energiekonzerns gefährdeten seine Familie, sein Eigentum sowie einen großen Teil seiner Heimatstadt Huaráz, argumentierte Lliuya mit Unterstützung von Germanwatch. Schon vor fünfeinhalb Jahren bedrohte der infolge des Klimawandels schnell wachsende Palcacocha-Gletschersee oberhalb von Huaráz die 120.000-Einwohner-Stadt in den Anden. Ende 1941 wurde die Stadt schon einmal überschwemmt, als ein Moränen-Wall des gut 4.500 Meter hoch gelegenen Gletschersees brach und eine Lawine aus Wasser und Schlamm talwärts schoss und ein Drittel von Huaráz zerstörte – mindestens 1.800 Menschen kamen bei der größten Flutkatastrophe des 20. Jahrhunderts in der Cordillera Blanca ums Leben, andere Schätzungen sprachen von 5.000 (siehe: de.wikipedia.org/Palcacocha).

Der Essener Konzern, trugen die Kläger bereits in zweiter Instanz vor, nunmehr vor dem Oberlandesgericht Hamm, sei maßgeblich mitverantwortlich für das Abschmelzen der Andengletscher und die dadurch entstehende Bedrohungslage für Lucianos im Gebirgstal gelegenes Haus. RWE solle sich an der Finanzierung von Schutzmaßnahmen beteiligen –  in einer Größenordnung, die dem Anteil des Energiekonzerns an der Verursachung des globalen Klimawandels entspricht (siehe: solarify.eu/klimaklage-rwe-scheitert-erneut). Der Stromkonzern (größter CO2-Emittent Deutschlands)  erklärte vergeblich, man sei nicht verantwortlich.

Der Weltklimarat IPCC dagegen führt die Gletscherschmelze in den Anden auf den Klimawandel zurück. Und in Huaráz ist die Gefahr besonders präsent: Die Laguna de Palcacocha ist allein seit 2003 um mehr als das Vierfache gewachsen. Durch den Klimawandel steigt auch das Risiko, dass große Eisblöcke von den Gletschern abbrechen und in den See stürzen. Dann würde eine verheerende Flutwelle und im Anschluss eine meterhohe Überschwemmung in den unteren besiedelten Gebieten drohen. Die Katastrophenschutzbehörde warnt, dass es jeden Moment zu einer Sturzflut kommen könnte; der Palcacocha-Gletschersee sei der gefährlichste der Region. Um die Gefahr dauerhaft abzuwenden, müssten immer wieder große Mengen Wasser aus dem See durch ein neues Entwässerungssystem abgepumpt und Dämme des Sees verstärkt beziehungsweise neue errichtet werden.

Modellierungen ergaben, dass sich der Gletscherrückzug mit nahezu 100prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht mit natürlichen Klimaschwankungen erklären lässt, sondern auf den anthropogenen Klimawandel zurückgeht. Die Durchschnittstemperatur in der Region ist demnach seit 1880 um 1 Grad Celsius gestiegen. Entsprechend schätzt das Team das Risiko für eine Flutkatastrophe als „sehr hoch“ ein. Zudem gefährde der auftauende Untergrund die Stabilität der umliegenden Hänge. Daher seien Schutzmaßnahmen dringend geboten. Die bisher getroffenen (siehe Foto) werden aber als nicht sehr wirksam eingeschätzt.

„Wir kommen zu dem Schluss, dass es praktisch sicher ist (>99% Wahrscheinlichkeit), dass der Rückzug des Palcaraju-Gletschers bis zum heutigen Tag nicht allein durch natürliche Variabilität erklärt werden kann und dass der Rückzug bis 1941 eine frühe Auswirkung der anthropogenen Treibhausgasemissionen darstellt. Unsere zentrale Einschätzung ist, dass der gesamte Rückzug vollständig auf den beobachteten Temperaturtrend zurückzuführen ist und dass die daraus resultierende Veränderung der Geometrie des Sees und des Tals die Gefahr von Ausbruchshochwasser erheblich erhöht hat.“

„Weltweit ist der Rückzug von Gebirgsgletschern einer der klarsten Hinweise auf den Klimawandel“, sagt Ko-Autor Gerard Roe von der University of Washington in Seattle: „Überschwemmungen bedrohen Orte in vielen Bergregionen, aber dieses Risiko ist besonders gravierend in Huaráz, ebenso wie andernorts in den Anden und in Ländern wie Nepal und Bhutan, wo gefährdete Populationen den Schneisen möglicher Flutwellen leben.“

Dass der Palcacocha-See kein Einzelfall ist, zeigt eine ebenfalls gerade erschienene Studie im „Journal of Glaciology“. Darin modelliert ein internationales Forscherteam, darunter Forscher aus Erlangen, den Rückzug des San Francico-Gletschers im Nationalpark El Morado in den zentralchilenischen Anden innerhalb der vergangenen 90 Jahre und die Folgen für den vorgelagerten See. Dessen Fläche stieg von 1955 bis 2019 von 0,01 auf 0,19 Quadratkilometer. Das Wasservolumen schätzen die Forscher auf 3,6 Millionen Kubikmeter.

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