60-Prozent-Ziel als Wirtschaftsmotor

energiezukunft: Weniger Treibhausgase

Die EU-Kommission will die Treibhausgase bis 2030 um 55 Prozent senken, das EU-Parlament fordert 60 Prozent. Eine neue Studie zeigt nun wie eine höhere Treibhausgaseinsparung möglich ist und welche Vorteile das nicht nur für das Klima hat, schreibt Manuel Först am 06.03.2021 auf energiezukunft. Für ambitionierteren Klimaschutze habe das EU-Parlament bereits im Oktober eine Reduktion der Treibhausgase um 60 Prozent bis 2030 im Vergleich zum Referenzwert 1990 gefordert. Dies sei mindestens nötig, damit die Europäische Union ihren Beitrag zur Einhaltung der Pariser Klimaziele leiste.

Kohlekraftwerk Berlin Reuter West – Foto © Solarify

Bei einem gemeinsamen EU-Gipfel im Dezember einigten sich die Staats- und Regierungschefs dann auf ein von der EU-Kommission vorgeschlagenes Reduktionsziel von 55 Prozent. Doch tatsächlich könnte die angepeilte Reduktion nur bei 50,5 Prozent liegen, denn in dem Beschluss wird erstmals die CO2-Aufnahme von Wäldern mitgerechnet. Und mit den bereits beschlossenen Klimazielen und Maßnahmen würde der CO2-Ausstoß bereits um 46 Prozent zurückgehen. Das EU-Parlament fordert hingegen, die 60-Prozent-Reduktion ohne „Senken“ anzugehen und dafür neue Maßnahmen zu beschließen.

Eine aktuelle Studie des unabhängigen Analyseinstituts Cambridge Econometrics zeigt nun, dass dies auch wirtschaftliche Vorteile haben kann. Mit nur geringfügig höheren Investitionen von etwa 12 Milliarden Euro pro Jahr könnte das Bruttoinlandsprodukt um 1,8 Prozent mehr wachsen im Vergleich zu einem geringeren Klimaziel von 55 Prozent. Auch würden in diesem Zuge etwa eine Million zusätzliche Jobs entstehen. Während Bergbau und Raffinerien einen deutlichen Einbruch erfahren würden, könnten Bauwirtschaft, das Transportwesen und die Dienstleistungswirtschaft wachsen.

Michael Bloss, Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament und für seine Fraktion zuständig für das europäische Klimaschutzgesetz, hat die Analyse in Auftrag gegeben und sieht das Klimaziel von 60 Prozent weniger Treibhausgase bis 2030 als ein „Boost für die Wirtschaft. So bekommen wir die Klima- und Corona-Krise gleichzeitig in den Griff“.

Mehr Konsum und weniger fossile Importe

Neben den Investitionen würde die Wirtschaft auch einen Aufschwung erleben, weil Haushalte, vor allem die mit niedrigem Einkommen, zusätzliche Mittel für den Konsum zur Verfügung hätten. Die Analysten von Cambridge Econometrics errechneten im 60-Prozent-Szenario, dass die Staaten durch Einnahmen aus dem Europäischen Emissionshandelssystem (ETS) und einer angedachten europäischen CO2-Steuer ab 2025 Strompreise und Steuern für die Verbraucher deutlich senken. Dazu würde ein höheres verfügbares Einkommen durch Energieeffizienzeinsparungen kommen. Zwar würden sich einige Produkte durch die Kohlenstoffbepreisung verteuern, aber das würde die positiven Effekte nicht entscheidend schmälern.

Ein weiterer positiver Effekt wären die verringerten Importe fossiler Brennstoffe wie etwa Flüssigerdgas aus dem EU-Ausland. Rund 20 Milliarden Euro weniger müssten die EU-Staaten demnach bis 2030 aufwenden, wenn Fokus und Investitionen auf innereuropäische Erneuerbare Energien gelenkt würden. In den ersten Jahren wären laut Analyse noch deutlich höhere öffentliche Investitionen nötig und könnten für das 60-Prozent-Ziel bis zu 87 Milliarden Euro zusätzlich betragen.

Zu den zusätzlichen Kosten des Emissionsreduktionsziels würden auch unrentabel gewordene Kohle- und Kernkraftwerke beitragen. Doch mit steigenden Einnahmen aus dem ETS und der angedachten CO2-Steuer auf weitere Sektoren könnten die Ausgaben für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz immer mehr gedeckt werden.

Aus für Kohle und Verbrenner bis 2030

Auch politische Maßnahmen für das 55-Prozent-Reduktionsziel gehen im Übrigen von einer EU-weiten CO2-Steuer ab 2025 für die Sektoren Gebäude und Verkehr aus. Doch das 60-Prozent-Szenario sieht darüber hinaus alle Bereiche vor, die aktuell nicht im ETS enthalten sind. Auch sieht das 60-Prozent-Szenario einen EU-weiten Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 vor. Nur Polen dürfte noch bis 2035 Kohle verbrennen.

Ebenfalls dürften ab 2030 keine neuen Pkw mit Verbrenner mehr verkauft werden. Diese Vorgaben gehen deutlich über die nationalen Maßnahmen der EU-Mitgliedsstaaten hinaus, mit denen die EU-Kommission innerhalb des 55-Prozent-Ziels rechnet.

Unnada Chewpreecha von Cambridge Econometrics sagte bei der Vorstellung der Analyse: „Ein gesetzlich vorgeschriebener Kohleausstieg und Bann auf Benziner und Diesel bis 2030 sind die  wirksamsten Maßnahmen, die Ziele zu erreichen“. Zwar würde der beschleunigte Kohleausstieg und stärkere Förderung der Elektromobilität am Anfang zu Mehrkosten führen, doch neben dem Klima würde sich das auch für die Wirtschaft im Endeffekt rechnen.

In der EU dauern derweil die Verhandlungen für ein neues Europäisches Klimagesetz an, indem auch das neue Treibhausgasreduktionsziel enthalten seien wird. Bloss kritisiert, dass EU-Kommission und Rat den Beschluss des Parlaments für eine 60-prozentige Reduktion von Treibhausgasen bislang ignorieren. „Blumige Worte des Klima-Kommissars Timmermans oder des EU-Rates angesichts des Klimanotstandes helfen uns nicht weiter. Wir brauchen mutige Entscheidungen“, so Bloss. Mitte März werden die Verhandlungen fortgeführt. Am 18. März tagt der Rat der Umweltministerinnen und -minister. Bis dahin soll es weitreichende Einigungen geben. mf

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