Studie der Bundesregierung von Gaslobby gekapert?

Harte Kritik an dena-Zwischenbericht – Reizwort „Lobbyismus“

Bereits am Abend vor der Veröffentlichung (24.03.2021) des Zwischenberichts zur dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität griff die NGO Lobbycontrol („Initiative für Transparenz und Demokratie“) das Papier scharf an und sprach von „gekaufter Wissenschaft“. Nach Recherchen des Netzwerks konnten sich sogenannte „Partner“ über ein Sponsoring mit bis zu 35.000 Euro bei der Studie einkaufen und so über die Ergebnisse mitbestimmen. LobbyControl zufolge handelte sich dabei um Unternehmen oder Lobbyverbände vor allem aus der Energiebranche. Das gefährde die Neutralität der Leitstudie. Zudem seien LobbyControl unveröffentlichte Ergebnisse zugespielt worden, die nahelegten, dass die Gas- und Öllobby versuche, über die Leitstudie, die Debatte über Klimaziele zu ihren Gunsten zu beeinflussen (Sandra Enkhardt in pv magazine).

Solarify dokumentiert die Kritik von LobbyControl samt einer Entgegnung von dena-Chef Kuhlmann auf die Vorwürfe (Ende des Textes)

Erdgas-Herdflamme – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Die Leitstudie der bundeseigenen  Energieagentur gilt als zentrale Studie für die Auseinandersetzungen um den klima- und energiepolitischen Kurs der Bundespolitik und soll Politik und Unternehmen Orientierung für die kommenden Jahre bieten. Umso fragwürdiger ist es, dass die Studie von sogenannten “Partnern” aus der Wirtschaft mitfinanziert wurde, die sich darüber ein Mitspracherecht über die Inhalte der Studie sichern. Unveröffentlichte Dokumente legen nahe, dass Unternehmen insbesondere aus der Gasindustrie, die Studie für ihre Interessen kapern wollen.

Das strukturelle Problem der Leitstudie

Es läuft etwas grundlegend falsch bei einer staatlichen Agentur, wenn sie sich wissenschaftliche Forschung von denjenigen finanzieren und mitschreiben lässt, auf deren Geschäftsmodelle die Ergebnisse direkte Auswirkungen haben werden. Doch genau dies geschieht bei der dena-Leitstudie “Aufbruch Klimaneutralität”: Hier können sich Unternehmen, die von der Umstellung auf eine CO2-freie Wirtschaft betroffen sind, Mitentscheidungsrechte einkaufen. Es geht um Summen von je nach Unternehmensgröße bis zu 35.000 Euro. Unter den insgesamt 79 beteiligten Unternehmen sind fossile Unternehmen wie E.On, RWE, Thyssengas, Open Grid Europe, Daimler und viele weitere. Dabei sind auffällig viele Akteure der Gasindustrie vertreten. Vollständige Liste der Unternehmen hier.

Sponsoring: intransparent und einseitig

Viele „Partner“ der Studie wurden von der dena selbst aktiv angeworben, wie die dena LobbyControl gegenüber angegeben hat. Hinzu kamen Akteure, die bereits bei der letzten Leitstudie dabei waren. Weitere Sponsoren kamen von sich aus auf die dena zu. Dass die Leitstudie gesponsert wurde, bleibt für die Öffentlichkeit weitgehend im Dunkeln: Erwähnt wird die Möglichkeit der Partnerschaft lediglich in der Ankündigung der Studie auf der Webseite, ohne dass weitere Informationen dazu gegeben werden, wie etwa Informationen zum Mitspracherecht oder zu den Kosten. Nirgendwo steht etwas dazu, dass die „Partner“ der dena bis zu 35.000 Euro für ihr Mitspracherecht zahlen. Das widerspricht den Transparenzanforderungen, die etwa der Deutsche Hochschulverband an wissenschaftliche Forschung stellt.

Gleichzeitig fällt auf: Es sind ausschließlich Unternehmen und Unternehmensverbände, die zu den Partnern der Leitstudie gehören. Die Zusammensetzung der Sponsoren ist damit sehr einseitig. Akteure aus der Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft sind laut dena zwar über einen Beirat eingebunden. Der Beirat trifft jedoch keine Entscheidungen, er “berät” lediglich und “gibt Empfehlungen ab“. Das ist im Vergleich zu einer Partnerschaft, in der Unternehmen laufend in die Erstellung der Studie eingebunden sind, eine randständige Rolle. Von ausgewogener Beteiligung kann also keine Rede sein. Die Einbindung etwa von Umwelt- oder Verbraucherverbänden über den Beirat droht vielmehr zum Feigenblatt für einseitige Forschung im Unternehmensinteresse zu werden.

Einseitige Strukturen führen zu einseitigen Ergebnissen

Die Federführung und Durchführung der Studie liegt bei wissenschaftlichen Forschungsinstituten, wie dem Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln, und die Koordinierung der Studie übernimmt die dena. Doch das Partner- und Sponsoringmodell bietet den beteiligten Unternehmen die Möglichkeit, direkt auf das Studiendesign und die Vorannahmen zuzugreifen und diese zu ihren Gunsten anzupassen. LobbyControl vorliegende unveröffentlichte Dokumente zu Modellberechnungen zeigen, dass die Partner der Studie dies offenbar auch ausgenutzt haben. Diese Dokumente waren allerdings offenbar intern so umstritten, dass sie anders als zunächst geplant nicht veröffentlicht wurden. Hier wäre der Durchgriff der fossilen Lobby wohl zu offensichtlich gewesen.

In den zurückgehaltenen Modellrechnungen wird deutlich, dass bei den Szenarien für den Weg in die Klimaneutralität den Energieträgern Erdgas, Wasserstoff und Öl eine übergroße Bedeutung zugemessen wird. Das gilt für alle entwickelten Szenarien. Dabei stechen die Bereiche Gebäude und Verkehr heraus: In diesen Sektoren wird der Einsatz von Wasserstoff oder anderen grünen Gasen von den meisten umweltpolitischen Akteuren abgelehnt, weil effizientere direkt-elektrische Alternativen zur Verfügung stehen. Laut den zurückgehaltenen Modellrechnungen wird den fossilen Energieträgern aber gerade in diesen Sektoren noch viele Jahre eine vergleichsweise große Rolle zugemessen. Mit einem solchen Szenario würden Technologie-Pfadabhängigkeiten zugunsten der Öl- und Gasindustrie in wichtigen Absatzmärkten zementiert.

Beispiel Gebäudebereich: In einer Tabelle (Nr. 19 – Präsentation Ausgewählte Quantifizierungen) wird davon ausgegangen, dass nur 42% der Heizungen im Jahr 2050 mit klimafreundlichen und mit grünem Strom betriebene Wärmepumpen sein werden. Heizungen mit gasförmigen Energieträgern sollen hingegen nach wie vor stolze 37% ausmachen und Ölheizungen immerhin noch 7%. Völlig unklar bleibt dabei, wo derart große Mengen an synthetischem, also klimaneutralem Gas und Öl herkommen sollen. Deshalb: dass Wärmepumpen einen derart geringen Anteil haben, ist nicht vereinbar mit dem Ziel einer klimaneutralen Beheizung.

Zum Vergleich: Die Denkfabrik Agora Energiewende geht in einer vergleichbaren Studie davon aus, dass 2050 60% der Heizungen mit Wärmepumpen betrieben werden – also deutlich mehr. Agora Energiewende geht zudem nur noch von 2% Heizungen mit gasförmigen Energieträgern und keinen ölbetriebenen Heizungen mehr aus (Studie Agora Energiewende, Klimaneutrales Deutschland, Seite 80). Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) geht von einem Anteil von 55% Wärmepumpen bei einem 95% CO2-Neutralitätsszenario in 2050 aus (Studie BDI, Klimapfade für Deutschland, Seite 221). Die internen Zahlen der dena-Leitstudie für den Gebäudesektor legen also nahe, dass diese die Handschrift der Gas- und Öllobby tragen.

Beispiel Verkehr: Laut den Szenarien der dena sollen im Jahr 2050 insgesamt 20 Prozent PKW mit Benzin- und Dieselantrieb neu zugelassen werden, die entweder zusätzlich mit Wasserstoff (Neuzulassungen) betrieben sind oder einen Hybridmotor haben. Zudem sollen 2050 nach wie vor 700.000 Diesel-PKW auf Deutschlands Straßen unterwegs sein. Bei LKW kommt es den Modellierungen zufolge sogar noch zu Dieselneuzulassungen. Bei diesen Szenarien werden selbst Teile der Autolobby blass, da etwa VW mittlerweile ganz auf Elektrifizierung setzt. Auch hier hat sich offenbar die Öl- und Gaslobby durchgesetzt.

Zum Vergleich erneut die Zahlen von Agora Energiewende: Neu zugelassen werden im Jahr 2050 in deren Szenarien nur noch Elektro-PKW. Im PKW-Bestand befinden sich lediglich 3% Fahrzeuge mit Diesel und Benzin angetriebene Fahrzeuge (1% Diesel und 2% Benzin) (Studie Agora Energiewende, Klimaneutrales Deutschland, S. 152)

Selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) geht in seiner Studie zum Thema im Verkehrsbereich bei einem 95%-Prozent CO2-Neutralitätsszenario davon aus, dass 2050 nur noch rund 2% Autos mit Hybridmotoren und keine Autos mit reinen Benzin- und Dieselmotoren neu zugelassen werden (Studie BDI, Klimapfade für Deutschland, S. 178).

Allein diese beiden unveröffentlichten Szenarien der dena-Leistudie zeigen, welch problematische Folgen das Sponsoring-Modell der dena für die Inhalte der Leitstudie hat. Immerhin: Dass die Veröffentlichung der brisanten Modellrechnungen gestoppt wurde, zeigt, dass das Problem offenbar auch bei Teilen der durchführenden Forschungsinstitute erkannt wurde. Das macht zugleich Hoffnung, dass der Durchmarsch der fossilen Lobby bei der Erstellung möglicherweise noch aufzuhalten ist – wenn denn die Unternehmen aus der Erstellung der Studie zurückgedrängt werden.

Systematischer einseitiger Einfluss muss ein Ende haben

Die dena organisiert mit dem Sponsoren-Modell ihrer Leitstudie systematisch einen einseitigen Unternehmens-Einfluss auf die Forschung. Das ist nicht akzeptabel, denn es untergräbt die wissenschaftliche Neutralität, die Glaubwürdigkeit und den gesellschaftlichen Nutzen der Ergebnisse. Dass Unternehmen und Verbände an der Studie mitwirken, indem sie den Forscher:innen Auskunft geben, ist nicht das Problem. Privilegierter Einfluss über Sponsoring jedoch muss aufhören.

Wir fordern, dass das Wirtschaftsministerium und die dena-Leitung das Sponsorenmodell aufgeben und bei der Art und Weise der Erstellung der Leitstudie umsteuern. Forschung im öffentlichen Auftrag sollte allein dem öffentlichen Interesse verpflichtet sein und muss deshalb auch vollständig aus öffentlichen Töpfen finanziert werden. Deswegen fordern wir von Wirtschaftsminister Peter Altmaier: Stoppen Sie diese unglaubwürdige Bezahlstudie! Eine Klimastudie im öffentlichen Interesse kann dann mit einem sauberen, neutralen Forschungsdesign neu ansetzen.

Stellungnahme von dena-Geschäftsführer Andreas Kuhlmann zur Kritik von LobbyControl

„Die von LobbyControl angebrachte Kritik, die Beteiligung von Unternehmen an der dena-Leitstudie führe zu mangelnder wissenschaftlicher Neutralität, teilen wir nicht. Für die dena zählen Transparenz sowie ein möglichst großer und breit gestreuter Partnerkreis zu den zentralen Kernpunkten bei der Studienerstellung und in ihrer Arbeit generell. Dafür steht die dena und dafür steht auch die enge Begleitung durch wissenschaftliche Gutachter und Institutionen. Insbesondere durch die Verortung der dena an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik sieht sie es als ihre Kernaufgaben, den aktiven und breiten Austausch mit unterschiedlichen Stakeholdern zu suchen. So werden vielfältige Erfahrungen und Lösungen in die Studienarbeit einbezogen und einseitige Einflussnahme ausgeschlossen. Pluralität und Praxisorientierung sind dabei wichtige Grundprinzipien.

Die generelle Frage, wie der Ansatz einer Studie aussehen kann, um gleichermaßen objektive wie aussagefähige Ergebnisse zu erzielen, ist natürlich berechtigt. Es gibt unterschiedliche Ansätze für solche Studienprojekte. Eine Möglichkeit ist, die Szenarienbildung rein akademisch anzugehen und Werte zu extrapolieren. Die dena-Leitstudie verfolgt einen integrierten Multi-Stakeholder-Ansatz. Ziel ist es, diese fundamentale Transformationsaufgabe – Klimaneutralität im Jahr 2050 – in der Auseinandersetzung mit zahlreichen Akteuren zu gestalten, die alle beschriebenen Lösungen tatsächlich in der Praxis umsetzen müssen und dies immer im Blick haben. Breite wissenschaftliche Expertise wird so mit dem Experten-Know-how aus der Praxis von Energiewende und Klimaschutz verbunden. Ebenso wichtig für den Diskurs sind die Erfahrungen zivilgesellschaftlicher Gruppen, Umwelt- und Naturschutzverbänden.

Die dena verbindet mit der Leitstudie diese verschiedenen Diskurse und verfolgt mit dem integrierten Ansatz ein all-in-one. Die Einbindung der Partner ist transparent und in einer eigenen Governance-Struktur klar geregelt. Alle mitwirkenden Unternehmen und weiteren Akteure werden veröffentlicht. Transparente Arbeitsprozesse inklusive der Rückkopplung über die verschiedenen Gremien verhindern eine einseitige Beeinflussung. So will die dena einen fundierten Beitrag auf der Suche nach Lösungen für ein klimaneutrales Leben und Wirtschaften leisten.“

->Quellen: