„Champagner der Energiewende“

Australien könnte schon 2023 große Mengen grünen Wasserstoff liefern

Laut einem Artikel vom 31.05.2021 von im Handelsblatt will der australische Milliardär Andrew Forrest in großindustriellem Maßstab in die Produktion von grünem Wasserstoff investieren. Namhafte deutsche Unternehmen könnten bereits 2023 zu den ersten Abnehmern gehören. „Unser Ziel ist es, im Jahr 2030 jährlich mindestens 15 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff zu liefern. Wir arbeiten seit Jahren an diesem Projekt und werden voraussichtlich 2023 mit der Produktion beginnen und sie in den Folgejahren kontinuierlich steigern“, sagte Forrest dem Handelsblatt.

Grüner Wasserstoff wächst langsam auf – Foto © Solarify

30mal deutsche Wasserstoffstrategie

Zur Einordnung: Mit seinem Vorhaben würde Forrest die Ziele der deutschen Wasserstoffstrategie um den Faktor 30 übertreffen. In der Wasserstoffstrategie ist das Ziel festgeschrieben, bis 2030 Kapazitäten aufzubauen, die die jährliche Produktion von 0,5 Millionen Tonnen grünem Wasserstoff in Deutschland ermöglichen. Dazu soll eine Elektrolyseleistung bis 5 GW installiert werden.

Forrest denkt in anderen Dimensionen. Sein Credo ist die konsequente Skalierung und Prozessoptimierung. „Wir werden grünen Wasserstoff industrialisieren. Das gilt für die gesamte Prozesskette“, sagte Forrest. Darin liege „der entscheidende Faktor für eine massive Kostenreduktion“.

Beobachter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nehmen das Vorhaben des Australiers sehr ernst. „Herr Forrest hat einen kühlen strategischen Blick auf das, was die Welt in Zukunft brauchen wird: gigantische Mengen an Wasserstoff“, sagte Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), dem Handelsblatt. „Er will möglichst schnell ein großer Player auf dem Weltmarkt werden.“ Sein Ziel wolle der Australier durch massive Skalierung erreichen. „Wenn er den Beweis erbringt, dass es riesige Potenziale für eine Kostendegression gibt, ist allen geholfen“, sagte Lösch. Lösch kennt Forrest durch das deutsch-australische Kooperationsprojekt „Hysupply“. Das vom Bundesforschungsministerium geförderte Vorhaben, das auf deutscher Seite vom BDI und von der Akademie für Technikwissenschaften (acatech) koordiniert wird, soll die Potenziale einer deutsch-australischen Wasserstoffpartnerschaft ausloten.

Zustimmung aus der Wissenschaft

Aus der Wissenschaft kommt ebenfalls Zustimmung. „Wir brauchen Projekte in dieser Dimension. Es steht außer Frage, dass in Deutschland zigmillionen Tonnen grüner Wasserstoff benötigt werden, um die Industrie zu dekarbonisieren“, sagte Robert Schlögl, Direktor am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin, dem Handelsblatt: „Mit der Eigenproduktion von 0,5 Millionen Tonnen, die in der Nationalen Wasserstoffstrategie für 2030 angestrebt werden, kommen wir nicht weit. Da muss man ganz anders herangehen“, sagte er. Forrests Konzept sei daher „unbedingt der richtige Ansatz“. Der international renommierte Chemiker gehört dem Nationalen Wasserstoffrat an. Das Expertengremium hatte die Bundesregierung im vergangenen Jahr ins Leben gerufen.

Forrest hat sein Projekt deutschen Regierungsvertretern vorgestellt, die sich offiziell zu dessen Plänen bislang nicht geäußert haben. Allerdings betont die Bundesregierung immer wieder, dass Deutschland einen großen Teil seines künftigen Bedarfs an grünem Wasserstoff aus dem Ausland beziehen wird. Wasserstoffpartnerschaften mit Ländern wie Australien unterstützt die Bundesregierung daher ausdrücklich.

Mehreren Unternehmen in Deutschland hat Forrest seine Pläne bereits erläutert. Sie könnten zu den ersten Abnehmern gehören. In Forrests aktueller Projektpräsentation, die das Handelsblatt eingesehen hat, finden sich unter der Überschrift „Potenzielle deutsche Kunden“ die Namen mehrerer Dax-Konzerne sowie weiterer großer Unternehmen.

Unternehmen aus Branchen wie Stahl oder Chemie suchen händeringend nach Möglichkeiten, klimaneutralen Wasserstoff zu beschaffen. Für Stahlhersteller oder Chemieunternehmen stellt klimaneutraler Wasserstoff die einzige Möglichkeit dar, CO2-intensive Prozesse zu dekarbonisieren und dem Ziel der Klimaneutralität einen entscheidenden Schritt näherzukommen.

Kritik an deutscher Herangehensweise

Unter den verschiedenen Varianten von klimaneutralem Wasserstoff favorisiert die Bundesregierung grünen Wasserstoff, der mittels Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse hergestellt wird. Andere Varianten, etwa blauer Wasserstoff, sind umstritten. Blauer Wasserstoff wird auf der Basis von Erdgas mittels Dampfreformierung hergestellt, das dabei frei werdende CO2 wird unterirdisch gespeichert. Forrest setzt bei seinem Großprojekt ausschließlich auf grünen Wasserstoff.

Einige Unternehmen stehen bereits heute oder innerhalb der kommenden zwei oder drei Jahre vor grundlegenden Investitionsentscheidungen. Investitionen in herkömmliche Verfahren – etwa in die klassische Hochofenroute mit dem Einsatz von Kokskohle – kommen wegen der drastisch steigenden Klimaschutzanforderungen nicht mehr in Betracht. Doch für neue, klimafreundliche Verfahren brauchen sie klimaneutralen Wasserstoff – doch den gibt es derzeit noch nicht in nennenswerten Mengen.

Nach Überzeugung Schlögls spricht insbesondere der Zeitfaktor für Forrests ehrgeiziges Vorhaben. „Wir brauchen den grünen Wasserstoff jetzt – und nicht in fünf oder zehn Jahren.“ Forrest verspreche, bereits ab 2023 grünen Wasserstoff in relevanten Mengen liefern zu können. „Das macht sein Vorhaben besonders interessant“, sagte Schlögl.

Schlögl verbindet diesen Hinweis mit einer grundsätzlichen Kritik an der deutschen Vorgehensweise: „In Deutschland geht es viel zu langsam voran. Deutschland droht die Dinge zu verschlafen. Das belegt ein Blick zu unserem niederländischen Nachbarn. Der Hafen von Rotterdam will zur Drehscheibe für Wasserstoff werden. Wilhelmshaven und Brunsbüttel könnten diese Rolle auch übernehmen, aber es tut sich leider viel zu wenig.“ Rotterdam als logistisches Drehkreuz spielt auch in den Überlegungen Forrests eine Rolle.

Wasserstoff-Herstellung effizienter gestalten

Forrest ist in Europa so gut wie unbekannt. In seiner Heimat dagegen genießt er hohes Ansehen, auch mit der australischen Regierung steht er in engem Austausch. Forrest hat sein Vermögen mit Fortescue gemacht. Das Unternehmen baut Eisenerz ab und ist nach eigenen Angaben weltweit die Nummer vier der Branche. Der vielfache Milliardär, der in diversen Rankings der reichsten Australier immer wieder einen der Top-fünf-Plätze belegt, hat einen großen Teil seines Vermögens in eine wohltätige Stiftung eingebracht.

Nach Überzeugung Forrests lassen sich die Prozesse zur Herstellung von grünem Wasserstoff noch wesentlich effizienter gestalten. Das gilt etwa für die Elektrolyseure. „Die Produktion von Elektrolyseuren muss aus dem Garagenmaßstab herauskommen.“ Sein Unternehmen werde Großaufträge für Elektrolyseure unter der Bedingung vergeben, dass die Hersteller auf eine robotergestützte, automatisierte Produktion im industriellen Maßstab umstellen, sagte Forrest. Deutsche Unternehmen wie Siemens Energy, thyssenkrupp, MAN oder Linde gehören zu den weltweit führenden Herstellern von Elektrolyseuren.

Den wichtigsten Produktionsfaktor für die Wasserstoffelektrolyse kann Forrest zu niedrigen Kosten beisteuern: Strom aus erneuerbaren Quellen. Sein Unternehmen Fortescue ist Eigentümer von mehreren Zehntausend Quadratkilometer Land in Australien, das sich für die Installation von Photovoltaikanlagen und Windrädern eignet. Ziel des Australiers ist es, bis 2030 Windräder und Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von etwa 150 Gigawatt (GW) zu installieren. Zur Einordnung: In Deutschland sind derzeit Windräder mit 55 GW Leistung sowie Photovoltaikanlagen mit 54 GW Leistung installiert.

Die Kosten des Wasserstofftransports von Australien nach Europa sind aus Sicht Forrests kein Hindernis. Wissenschaftler Schlögl pflichtet ihm bei: „Der Transport von Australien nach Deutschland ist nicht das Problem. Was die Kosten verursacht, ist die Umwandlung des Wasserstoffs in einen transportablen Zustand.“ Die reine Verbringung von A nach B dagegen falle nicht nennenswert ins Gewicht. „Insofern macht es keinen nennenswerten Unterschied, ob man den Wasserstoff von Australien nach Rotterdam oder von Australien nach Japan bringt“, sagte Schlögl.

Der „Champagner der Energiewende“ soll zum Tafelwasser werden

Forrests Ziel ist es, grünen Wasserstoff zu einem weltweit gehandelten Produkt zu machen. Bislang gibt es grünen Wasserstoff nur in homöopathischen Dosen zu hohen Preisen, weshalb er immer wieder als „Champagner der Energiewende“ bezeichnet wird. Der Australier will den Champagner nun so schnell wie möglich zu Tafelwasser werden lassen.

Forrest sagte: „Wir sind dabei, einen Handelsplatz für grünen Wasserstoff einzurichten. Das wird Transparenz in die Preisgestaltung bringen und kleineren Unternehmen Zugang zum Markt für grünen Wasserstoff verschaffen. Es darf nicht sein, dass nur die Unternehmen, die es sich leisten können, große Mengen zu ordern, Zugang zu grünem Wasserstoff bekommen.“ Am Ende wird grüner Wasserstoff Öl, Kohle und Erdgas komplett verdrängen, davon ist Forrest überzeugt: „Ob dies schnell geschieht oder langsam, hängt vom Willen der Regierungen ab, die Subventionen für Öl und Gas zu streichen oder sie für grünen Wasserstoff auszugleichen. Das Spielfeld muss geebnet werden.“ Forrest selbst will allerdings nicht warten, bis diese Bedingung erfüllt ist.

->Quelle: archiv.handelsblatt.com/document/HBON__HB%2027236768