Kernkraft auf dem Rückzug

Die konventionelle Atomenergie hat ausgedient, aber die Kernfusion könnte noch eine Wunderwaffe sein – von Gerard Reid

Kernreaktoren setzen eine erstaunliche Menge an Energie frei. In der Praxis kann ein Kilogramm Uran so viel Energie freisetzen wie 1.500 Tonnen Kohle. Bestehende Kernkraftwerke sind außerdem billig im Betrieb und CO2-frei, was den zusätzlichen Vorteil hat, dass sie keine Luftschadstoffe ausstoßen. Das eigentliche Problem bei der Kernenergie ist jedoch, dass die Kosten für den Bau neuer Anlagen im Laufe der Jahre gestiegen sind, ebenso wie die Kosten für die Stilllegung bestehender Anlagen. Hinzu kommt, dass die öffentliche Unterstützung für die Kernenergie nach einer Reihe von Unfällen – zuletzt in Fukushima – nachgelassen hat und die Atomindustrie nicht in der Lage ist, neue Anlagen fristgerecht oder innerhalb des Budgets zu bauen. Und schließlich ist es sehr schwierig, selbst für Pilotanlagen der nächsten Generation von Kerntechnologien eine Baugenehmigung zu erhalten.

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AKW Cruas, Rhone – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Dies alles wirft die Frage auf: Welche Rolle wird die Kernkraft in Zukunft spielen? Die Atomindustrie wurde in den 1950er Jahren gegründet, und Ende 2020 waren nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) weltweit 443 Reaktoren mit einer installierten Leistung von 393 GW in Betrieb. Etwa 10,3 % des weltweit erzeugten Stroms stammten aus der Kernenergie, wobei Frankreich fast drei Viertel seines gesamten Stroms aus Kernenergie erzeugte. Die Fakten der letzten zehn Jahre sprechen jedoch für sich: Die Kernenergie ist auf dem Rückzug.

2010 wurde mit dem Bau von nur 16 neuen Reaktoren begonnen, was deutlich unter dem Höchststand von 1976 lag, als 43 Reaktoren in Bau gingen. Vergangenes Jahr waren es nur noch fünf. Seit dem Fukushima-Unfall in Japan 2011 wurden außerdem viele Anlagen geschlossen, und trotz des starken Wachstums der Kernenergie in China sind heute weniger Anlagen in Betrieb als vor Fukushima.

Die zunehmenden Anforderungen an die Sicherheit von Kernkraftwerken haben die Kosten in die Höhe getrieben. Ein Beispiel dafür ist das Vereinigte Königreich, wo das neue 3,2-GW-AKW Hinkley Point jetzt voraussichtlich bis zu 27 Mrd. Euro (in Preisen von 2015) kosten wird, gegenüber der ursprünglichen Schätzung von 14 Mrd. € 2012. Wenn es 2026 fertiggestellt ist, wird der Bau mehr als zehn Jahre gedauert haben, und der britische Endkunde wird für diese Energie einen Preis zahlen, der dreimal so hoch ist wie der Großhandelspreis für Strom und doppelt so hoch wie die derzeitigen Kosten für Offshore-Windkraft.

Atomkraft zu teuer

Das andere Argument, das gegen die Kernenergie spricht, sind die kostengünstigeren Alternativen in Form von Wind- und Sonnenenergie. In den letzten zehn Jahren wurden weltweit etwa 50 GW an Kernkraftkapazität in das Netz eingespeist. Im gleichen Zeitraum wurden mehr als 1.300 GW an Wind- und Solarkapazität installiert.
Warum ist das so? Für die Regierungen ist es einfacher, die Kohlenstoffziele mit erneuerbaren Energien zu erreichen, da diese von den Wählern viel positiver gesehen werden und zudem viel schneller zu installieren und kostengünstiger zu bauen und zu betreiben sind. In den USA werden einige Kernkraftwerke geschlossen, weil sie nicht rentabel sind; ihre Betriebskosten sind einfach zu hoch und sie sind im Vergleich zu Erdgas und erneuerbaren Energien nicht wettbewerbsfähig.

Mit Blick auf den Klimawandel wäre es logisch, die bestehenden AKW zu modernisieren und sie so lange wie technisch möglich zu betreiben. Dies ist kostengünstiger als viele andere Alternativen und verschiebt die massiv teuren Stilllegungskosten, die von den Regierungen in aller Welt stark subventioniert werden. Aber selbst dann gibt es öffentlichen Widerstand.

Ein Licht am Ende des Tunnels könnten die so genannten kleinen modularen Reaktoren sein, bei denen es sich im Grunde um verkleinerte Versionen normaler Reaktoren handelt, die, so die Theorie, in Massenproduktion hergestellt werden können und daher billiger sind. Die neuen Konzepte sind sicherer in der Anwendung und verursachen weniger radioaktive Abfälle. Es gibt jedoch mehrere Entwürfe, von denen keiner in großem Maßstab hergestellt wird, so dass es fraglich ist, ob – und nicht nur wann – diese Technologie überhaupt auf den Markt kommen wird.

Das bedeutet, dass die Zukunft der Kernenergie nicht so rosig ist. Wir werden kleine, schrittweise Erweiterungen der weltweiten Atomflotte sehen, aber keine Renaissance der Atomkraft. Heißt das, dass wir die Kernenergie aufgeben sollten? Zweifelsohne nicht. Denn wenn es uns gelingt, die Kernfusion, die Energiequelle der Sonne, zu knacken, dann können wir sicheren, reichlich vorhandenen und kohlenstofffreien Strom haben. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir weiterhin in die Forschung und Entwicklung im Bereich der Kernenergie investieren, denn sie könnte eine Wunderwaffe gegen den Klimawandel sein.

->Quelle: Mailzusendung vom 19.07.2021: Conventional nuclear has had its day