Pkw-Bestand entscheidet über Einhaltung der Klimagrenze

FVV mit sechs Thesen zur Klimaneutralität des europäischen Verkehrssektors – dringend E-Fuels einführen

Strom, Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe: Welche Energieträger im Straßenverkehr der Zukunft eingesetzt werden sollen, ist eine viel diskutierte Frage. Eine am 11.11.2021 veröffentlichte Untersuchung der Forschungsvereinigung Verbrennungskraft­maschinen e.V.  (FVV) zeigt nun: Wie schnell der Verkehr in Europa klimaneutral wird, hängt nicht entscheidend vom Antrieb ab, sondern davon, wie rasch klimaneutrale Energieträger für nachhaltige Mobilität zur Verfügung stehen.

Synthetische Kraftstoffe: Zapfhähne für OME H2 und Solarstrom – Bild © PPP Schlögl, MPI CEC

Was passiert, wenn ab dem Jahr 2033 in Europa nur noch Pkw zugelassen würden, die nicht mehr mit fossilen Kraftstoffen betankt werden und im Betrieb vollständig CO2-neutral sind? Diese Frage beantwortet eine Untersuchung, die das Beratungsunternehmen Frontier Economics und das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) im Auftrag der FVV durchgeführt haben. Die Untersuchung unterscheidet sich von zahlreichen anderen Studien vor allem dadurch, dass sie konsequent alle CO2-Emissionen betrachtet, also nicht nur jene, die aus der Herstellung der Autos und deren Nutzung resultieren, sondern auch all jene, die durch die Erzeugung und Bereitstellung der Energieträger verursacht werden. Die Experten verfolgen dabei einen Budgetansatz, das heißt, das nicht relative Einsparungen, sondern nur die kumulierten Emissionen bis zum Jahr 2050 betrachtet werden – denn letztlich entscheidet die Gesamtmenge an freigesetztem CO2 darüber, ob die in Paris definierten Klimagrenzen eingehalten werden können.

Bei identischer Hochlaufgeschwindigkeit und einer angenommenen Haltedauer von 17 Jahren pro Pkw zeigt sich: Die kumulierten CO2-Emissionen unterscheiden sich zwischen den verschiedenen Kombinationen von Energieträgern und Antrieben lediglich um 14 Prozent. „Daraus kann man schließen“, so FVV-Geschäftsführer Dietmar Goericke, „dass die Antriebsform nur einen sehr geringen Anteil daran hat, ob die Klimaziele erreicht werden. Vielmehr kommt es darauf an, wie schnell wir es schaffen, aus der Nutzung fossiler Energieträger vollständig auszusteigen.“

Sechs Thesen zur Klimaneutralität des europäischen Verkehrssektors

  1. Klimaneutralität im Verkehr muss den gesamten Lebenszyklus von Fahrzeugen und auch der Energiebereitstellung einbeziehen.
  2. Um die Klimaziele zu erreichen ist nicht die Antriebstechnologie, sondern der möglichst schnelle Ausstieg aus fossilen Energieträgern entscheidend.
  3. Die CO2-Bilanz der Bestandsflotte entscheidet über die Einhaltung des Klimabudgets.
  4. Bei Konzentration auf eine einzelne Technologie werden Rohstoffe auch in einer Kreislaufwirtschaft knapp.
  5. Es kann ausreichend Energie produziert werden, um die komplette Mobilität zu defossilisieren.
  6. Um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, müssen ab sofort mehrere Technologiepfade parallel verfolgt werden.

Budget wird selbst bei ausschließlich klimaneutral betriebenen Pkw überschritten

Eine wesentliche Erkenntnis aus der FVV-Studie: Selbst wenn im Jahr 2033 nur noch klimaneutral betriebene Pkw und leichte Nutzfahrzeuge zugelassen werden, übersteigen die kumulierten Emissionen aus der Mobilität das komplette CO2-Budget, das der Europäischen Union für die 1,5-Grad-Grenze noch zur Verfügung steht – und zwar für alle Sektoren. Noch gravierender ist, dass diese Überschreitung in allen modellierten Szenarien bereits in den Jahren 2031 oder 2032 auftritt. Ursächlich dafür ist der hohe Anteil der Bestandsflotte an den Gesamtemissionen. Goericke schließt daraus: „Wir müssen Lösungen finden, die CO2-Emissionen der Bestandsflotte schnell zu senken. Dies ist aus heutiger Sicht nur möglich, wenn es gelingt, synthetische Kraftstoffe rasch in den Markt zu bringen.“

Die Studie betrachtet auch, was die Einführung synthetischer Kraftstoffe – sogenannter E?Fuels – für die Energiewirtschaft bedeuten würde. Eine hundertprozentige Umstellung der gesamten Pkw-Flotte auf synthetische Kraftstoffe, würde demnach den Energiebedarf verglichen mit rein batterieelektrischer Mobilität um das Drei- bis Vierfache erhöhen. Würden die Kraftstoffe jedoch nicht in Europa, sondern in anderen, besonders sonnen- und windreichen Regionen produziert, würde sich die Erzeugungskapazität nur um den Faktor zwei bis drei erhöhen. „Ein 100-Prozent-Szenario ist aber ohnehin nicht wünschenswert“, sagt Goericke. „Vielmehr gilt es, mehrere Technologiepfade parallel zu verfolgen. Dann haben wir eine Chance, die Klimaziele zu erreichen und gleichzeitig individuelle Mobilität bezahlbar zu behalten.“