Weitgehend ungenutzte Reserve

Rechenzentren als Stromspeicher

Rechenzentren werden als Stromfresser angesehen. Dabei können sie mit ihren Speicherreserven wichtige Beiträge zur Energiewende leisten: Eine am 14.10.2021 publizierte Untersuchung (Data Centres and Decarbonisation: Unlocking Flexibility in Europe’s Data Centres) von BloombergNEF, Eaton und Statkraft  analysierte, welche Stromreserven Rechenzentren schon jetzt vorhalten. Zumal in Zeiten, wo dank Atom- und Kohleausstieg mehr und mehr Kraftwerke aus dem Netz genommen werden.

Speicheranlage bei Younicos in Berlin-Adlershof – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Denn nur mit einem enorm flexiblen Stromnetz kann die Energiewende gelingen. Auch bei Dunkelflauten muss genügend Leistung ins Netz eingespeist, müssen Leistungsspitzen ausgeglichen werden. Heute geschieht das dadurch, dass zusätzliche Kraftwerke angefahren werden. Künftig werden wir – so Energieexperten – häufig mit Leistungsspitzen umgehen – zum Beispiel, wenn am frühen Abend die Akkus der Elektroautos aufgeladen werden. Rechenzentren können Strom zwischenspeichern, wenn Sonne und Wind viel produzieren, und wieder ins Netz zurückgegeben, wenn gerade mehr Leistung benötigt wird. „Rechenzentren statt Gaskraftwerke“, lautet das Motto. Der Beitrag der Rechenzentren kann äußerst bedeutsam werden.

„Rechenzentren werden ihren Strombedarf in Europa verdoppeln und könnten eine entscheidende Rolle bei der Ermöglichung von mehr erneuerbarer Energie spielen – Hyperscale- und Colocation-Rechenzentren können eine wichtige Flexibilitätsquelle im europäischen Stromsystem sein und dazu beitragen, dass mehr erneuerbare Energien integriert werden können“ – so die Titel-Zusammenfassung der BNEF– Studie. Denn große Rechenzentren in Großbritannien, Deutschland, Irland, Norwegen und den Niederlanden werden 2030 voraussichtlich 5,4 GW Strom benötigen, gegenüber 3 GW Ende 2021. Diese Zahl basiert auf einem zentralen Szenario; die BNEF– Studie skizziert auch ein aggressiveres Wachstumsszenario, bei dem die IT-Leistung bis 2030 auf mehr als 7 GW ansteigen würde. Obwohl Rechenzentren meist nur als Nachfrager im Stromnetz angesehen werden, stellt der Bericht fest, dass sie auch eine weitgehend ungenutzte Ressource zur Unterstützung des Netzes und der Integration erneuerbarer Energien darstellen.

Die Studie untersucht das Wachstum von Rechenzentren in den fünf Märkten und zeigt auf, wie Rechenzentren die Flexibilität des Stromnetzes unterstützen können. In ganz Europa werden Wind- und Solarenergie bis 2030 voraussichtlich 60 % der gesamten Stromerzeugung ausmachen. Mit dieser steigenden Marktdurchdringung wird auch ein größerer Bedarf an Flexibilität entstehen. Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit eines größeren Bewusstseins für die Flexibilität von Rechenzentren nicht nur bei den Betreibern und Nutzern von Rechenzentren, sondern auch bei Versorgungsunternehmen und Regulierungsbehörden.

Rechenzentren könnten in den fünf untersuchten Märkten insgesamt 16,9 GW an Flexibilität durch ihre unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) vor Ort, Back-up-Erzeugung, Back-up-Batterien und Lastverschiebung bieten. Dies ist mehr als die von den Einrichtungen selbst erwartete Stromnachfrage, da diese Ressourcen im Prinzip unabhängig voneinander Flexibilität für das Stromsystem bereitstellen können, indem sie entweder den Stromverbrauch des Rechenzentrums reduzieren oder Strom exportieren.

Michael Kenefick, Hauptautor des Berichts und Analyst für dezentralisierte Energie bei BNEF, kommentierte: „Rechenzentren können ein Teil der Lösung sein, um einen höheren Anteil an erneuerbaren Energien in Europa zu erreichen. Ihre vor Ort vorhandenen Energieressourcen, wie unterbrechungsfreie Stromversorgungen und Notstromgeneratoren, könnten in Zukunft zur Unterstützung des Netzes eingesetzt werden. Und Rechenaufgaben könnten auch in Zeiten – oder an Orte – mit hohem Wind- und Sonnenaufkommen verlagert werden.

Von den in Betracht gezogenen Ressourcen scheinen USV-Systeme kurzfristig die meistversprechenden Flexibilitäts-Quellen zu sein. Sie basieren auf der Batterietechnologie, sind universell in Rechenzentren installiert und eignen sich besonders gut für die Aufgabe der schnellen Frequenzreaktion (Fast Frequency Response, FFR), einem Dienst, der Netzbetreibern helfen soll, eine stabile Betriebsfrequenz aufrechtzuerhalten. Im Vereinigten Königreich, Irland und Norwegen könnten die USV-Anlagen in Rechenzentren mehr als ausreichen, um den gesamten FFR-Bedarf zu decken. Einige Betreiber von Rechenzentren experimentieren bereits mit der Bereitstellung solcher Dienste über ihre USV-Systeme.

Der Bericht stellt jedoch fest, dass die Betreiber von Rechenzentren noch zögern, diese Ressourcen zur Unterstützung des Stromnetzes einzusetzen. Als Gründe werden Service-Level-Vereinbarungen mit den Kunden, mangelnde Sichtbarkeit und Transparenz in Bezug auf die Vorteile der Bereitstellung von Flexibilität sowie mangelndes Know-how genannt. Aus diesem Grund schätzt BNEF, dass bis 2030 nur 3,8 GW an Flexibilität von Rechenzentren in diesen Märkten zur Verfügung gestellt werden könnten. Das ist weniger als ein Viertel der potenziellen Kapazität von 16,9 GW und entspricht 1,7 % der erwarteten Spitzenlast in den fünf Märkten im Jahr 2030.

Karina Rigby, Chefin Critical Systems, Electrical Sector bei Eaton in EMEA: „Rechenzentren sind einzigartig und vergleichbar mit Microgrids, was die Möglichkeiten angeht, die sie durch ihre Rechenleistung und ihre physische Infrastruktur bieten, insbesondere durch die großen Mengen an Batteriespeichern, die an ihre bestehenden Notstromsysteme angeschlossen sind. Diese Studie verdeutlicht das enorme ungenutzte Potenzial der Flexibilität von Rechenzentren, um wirtschaftliche, regulatorische und klimatische Vorteile zu erzielen. Wir rufen Netzbetreiber, Regulierungsbehörden, Betreiber von Rechenzentren und Nutzer auf, zusammenzuarbeiten, um die Technologie zur Netzstabilisierung von Rechenzentren zu erschließen.“

Ein Vergleich der fünf Länder zeigt, dass jedes Land mit unterschiedlichen Herausforderungen und Chancen in Bezug auf Rechenzentren und das Stromnetz konfrontiert ist. Angetrieben durch die wachsende Nachfrage nach Rechen- und Datenspeicherdiensten, sowohl von Unternehmen als auch von Endnutzern, könnten Hyperscale- und Colocation-Rechenzentren im Jahr 2030 bis zu 24 % des Strombedarfs in Irland, 8 % in den Niederlanden und 5 % im Vereinigten Königreich ausmachen, so das zentrale Szenario. In Norwegen und Deutschland gibt es mehr Spielraum für Wachstum, da der Anteil der Rechenzentren an der Stromnachfrage in beiden Ländern im Jahr 2030 voraussichtlich nur 2 % betragen wird.

Irland ist ein reifer Markt, auf dem Hyperscale-Betreiber seit Jahren investieren, und wird trotz einiger Herausforderungen bei der Integration von Rechenzentren in das Stromnetz wahrscheinlich weiter wachsen. Für Irland, das Vereinigte Königreich, die Niederlande und Deutschland wird zwischen 2021 und 2030 ein Anstieg der Rechenzentrumskapazität um 80-104 % erwartet.

Norwegen, das von der niedrigsten Ausgangsbasis ausgeht, wird von 2021 bis 2030 voraussichtlich einen Anstieg des Strombedarfs für Rechenzentren um 205 % verzeichnen. Dies ist den wettbewerbsfähigen Preisen für Industriestrom und dem im Vergleich zu anderen Märkten sehr hohen Anteil an sauberem Strom zu verdanken, der das Land zu einem attraktiven Ziel für Betreiber von Rechenzentren macht, die einen „grünen Betrieb“ anstreben.

Albert Cheung, Leiter der BNEF-Analyseabteilung: „Die Betreiber von Rechenzentren sind bereits führend bei der Umsetzung von Verträgen über den Bezug von Strom aus erneuerbaren Energien, um ihren Betrieb umweltfreundlicher zu gestalten, und suchen zunehmend nach weiteren Möglichkeiten, ihr Engagement für die Klimaziele zu demonstrieren. In dem Maße, in dem das allgemeine Stromsystem mehr erneuerbare Energien einsetzt, werden sie noch mehr Möglichkeiten haben, nicht nur erneuerbaren Strom zu kaufen, sondern auch Teil der Lösung zu sein, um ihn in das Netz zu integrieren.“

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