Gebäudewärme bis 2035 vollständig erneuerbar möglich

Greenpeace-Untersuchung des Wuppertal-Instituts zeigt Politikmix auf

Die Rufe nach Unabhängigkeit vom Gas werden angesichts der Sicherheitslage in Europa und der enormen Preissteigerung fossiler Brennstoffe immer lauter. Eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie des Wuppertal Instituts zeigt nun, dass eine vollständige Abkehr von fossilen Brennstoffen in diesem Sektor bereits in 13 Jahren möglichen wäre. Haushalte würden dabei sogar noch Kosten sparen, schreibt Marian Willuhn am 03.03.2022 auf pv magazine.

Fernwärmeleitung Berlin – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Der Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine befeuert die Debatte um die Sicherheit der deutschen Energieversorgung. Allein in Deutschland verursachen Gebäude durch ihren Energieverbrauch rund ein Viertel der Treibhausgas-Emissionen. Daher besteht in puncto Energieeffizienz und erneuerbare Energien besonderer Handlungsbedarf. Die Wärmeversorgung der Gebäude in Deutschland – so die Wuppertal-Untersuchung – ließe sich bis 2035 auf der Basis eines Politikmixes des „Forderns und Förderns“ vollständig auf erneuerbare Energien umstellen.

Die Wärmeversorgung ist in Deutschland heute noch vor der Industrie der größte Nachfrager nach Erdgas. „Die kurzfristigen Alternativen zu Erdgas bei der Beheizung der Gebäude sind zwar begrenzt, mittelfristig sind die Möglichkeiten der Umsteuerung aber groß“, sagt Prof. Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, und ergänzt: „Mit einer klugen auf Effizienzsteigerung und den Ausbau erneuerbarer Energien ausgerichteten Strategie reduzieren sich nicht nur die Versorgungsrisiken. Die beschleunigte Wärmewende ist für Haushalte, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen auch wirtschaftlich höchst attraktiv.“

Öl- und Gasausstieg kostet 72 Milliarden – und spart ab 2035 jährlich 11,5 Mio.

Der Ausstieg aus Öl und Gas erfordert zunächst jährlich zusätzliche Investitionen in Höhe von 50 Milliarden Euro sowie 22 Milliarden Euro staatliche Fördergelder. Doch dies ist eine Investition in die Zukunft und aus heutiger Sicht notwendige Vorleistung, um zukünftig Geld einzusparen. 2035 könnten durch dieses Investment jährlich netto 11,5 Milliarden Euro der Kosten eingespart werden. Hinzu kommen erhebliche positive volkswirtschaftliche Effekte. Mit den Maßnahmen könnten eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert werden – davon die Hälfte in der Bauwirtschaft. Schließlich führt die beschleunigte Wärmewende zur Verringerung von 168 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr. „Um die Klimaziele nicht zu verfehlen, muss die Politik jetzt die Weichen für eine schnelle Wärmewende stellen“, betont Manfred Fischedick.

Aktuell liegt die Sanierungsrate bei etwa einem Prozent. Wenn die Wärmewende bis 2035 gelingen soll muss sich die Quote auf drei bis vier Prozent erhöhen. Eine vollständig klimaneutrale Wärmeversorgung im Gebäudesektor inklusive Bestand ist im Jahr 2035 möglich. Die Haushalte würden dabei sogar günstiger wegkommen und ab 2035 jährlich 11,5 Milliarden Euro an Energiekosten einsparen. Mit einem ambitionierten Maßnahmenmix könnte der Gebäudesektor in Deutschland schon 2035 praktisch treibhausgasneutral sein. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Heizen ohne Öl und Gas bis 2035 – Ein Sofortprogramm für erneuerbare Wärme und effiziente Gebäude“.

Sechs-Punkte-Sofortprogramm

In der Studie enthalten ist ein Sechs-Punkte-Sofortprogramm, durch das sich die Wärmewende bis 2035 erreichen lassen würde. Um einen zeitnahen Ausstieg aus Öl und Gas in der Gebäudewärme zu vollziehen, schlagen die Autoren vor, an drei Bereichen jeweils eine ordnungsrechtliche Maßnahme mit einer passenden finanziellen Fördermaßnahme zu flankieren. Die drei Bereiche umfassen

  1. ein Ausstiegsgesetz für fossile Heizungen bei zeitgleicher Förderung von elektrischen Wärmepumpen und Solarthermie. Schon ab dem Jahr 2024 soll der Einbau neuer Gas- und Ölheizungen verboten werden. Bestandsanlagen sollen sukzessive aus dem Verkehr gezogen werden.
  2. Zeitgleich soll ein Förderprogramm für 12 Millionen Wärmepumpen und 70 Millionen Quadratmeter Solarthermie-Anlagen den gewollten Ersatz bezahlbar machen.
  3. Auch soll es eine Pflicht und eine Förderung für die energetische Gebäudesanierung geben. Dabei sollen sie Gebäude entsprechend ihrem Energieeffizienzstandard saniert werden. Bis 2040 sollen alle Gebäude die Effizienzklasse B, also KfW-60, erreichen. Die Sanierungsquote für Gebäude soll auf drei bis vier Prozent steigen. Außerdem sollen Wärmenetze durch konkrete Ziele und Fördermaßnahmen ausgebaut werden. Auch die „grüne“ Wärmeerzeugung für die Wärmenetze soll zusätzlich gefördert werden. Betreiber und Kommunen sollen hierfür gemeinsam Standards formulieren.

Zunächst würde der Ausstieg aus Öl und Gas zusätzliche Investitionen von jährlich 50 Milliarden Euro benötigen. Auch der Staat müsste erst einmal 22 Milliarden Euro jährlich an Fördergeldern aufbringen. Geht die Rechnung auf, könnten die Verbraucher nach der Umstellung insgesamt 11,5 Milliarden Euro jährlich an Kosten einsparen.

Neben den positiven Effekten für das Klima würde eine beschleunigte Wärmewende auch erfreuliche volkswirtschaftliche Effekte mit sich ziehen. Die Autoren der Studie sehen einen Bedarf von 500.000 Fachkräften, die die Maßnahmen umsetzen sollen. Etwas mehr als die Hälfte würde auf das Bauwesen entfallen.

Erst Anfang Januar gab Bundesklimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) bekannt, bis 2030 die Hälfte des Raumwärmebedarfs aus erneuerbaren Energien decken zu wollen. 2019 betrug der gesamte Raumwärmebedarf in Deutschland 792 Terrawattstunden. Davon entfielen 71 Prozent auf private Haushalte. Stand heute beziehen davon fünf Prozent ihre Wärmeenergie aus erneuerbaren Quellen.

Sofortprogramm für die Wärmewende

Die Studie stellt  ein Sofortprogramm vor, mit dem ein beschleunigter Umstieg auf erneuerbare Energien in dem Sektor machbar ist. Als notwendige Ergänzung dazu schlägt die Studie ein Förderprogramm für zwölf Millionen Wärmepumpen und 70 Millionen Quadratmeter Solarthermie-Anlagen vor.

Darüber hinaus müssten Nah- und Fernwärmenetze stark ausgebaut und bis 2035 auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Hierfür sind gesetzliche Ziele und Standards zu formulieren und mit einem Förderprogramm für Betreibende und Kommunen zu kombinieren. Die drei zentralen Maßnahmen-Bereiche benötigen zudem weitere wichtige Instrumente zur Flankierung. Dazu gehören die Stärkung von neuen kostengünstigen Fertigungstechnologien wie das serielle Sanieren, die praktische Unterstützung bei der Umsetzung – etwa durch lokale One-Stop-Agenturen, die Energieberatung, Baubegleitung und Qualitätskontrolle aus einer Hand anbieten –, und eine Qualifizierungsoffensive für mehr Handwerker und Energieberater. Auch eine effizientere Flächennutzung sollte gefördert werden, beispielsweise durch Wohntauschprogramme und Umbauförderung.

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