Arktis teils 20 Grad über „normal“

Beunruhigend hohe Temperaturwerte und tropischer Regen – Hitzeanomalie in der Ostantarktis

An beiden Polen sind im März 2022 beunruhigende Phänomene beobachtet worden: Über dem arktischen Meereis fiel starker Regen aus Wolken, fast so hoch wie in den Tropen; die Oberflächentemperaturen waren teils mehr als 20 Grad höher als normal. Und in der Ostantarktis wurden Temperaturrekorde gebrochen: Eine Wetteranomalie hatte den Jetstream besonders stark abweichen lassen. Zunächst hat das laut Forschern noch nicht unbedingt mit dem Klimawandel zu tun, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz sowie mehrerer Forschungsinstitute, darunter die Universitäten Leipzig, Hamburg und Köln sowie das Alfred-Wegener-Institut (AWI), das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (Tropos).

HALO (High Al­titu­de and Long Ran­ge Re­se­arch Air­craft) – Forschungsflugzeug – Foto © DLRCC BY-NC-ND 3.0

Der Jetstream über der Antarktis zeigte Ende März eine nie zuvor beobachtete Anomalie. An der französisch-italienischen Forschungsstation „Dome Concordia“ wurde ein Temperaturrekord von -11,5 Grad Celsius gemessen. Und die Temperatur um die russische Station Wostok stieg auf -17,7 Grad an – ebenfalls Rekord. Eigentlich müsste die Höchsttemperatur dort jetzt bei -53 Grad liegen. „Diese ‚Hitzewelle‘ in der Antarktis verändert das, was wir für möglich hielten“, schreibt der französische Geowissenschaftler Jonathan Wille  auf Twitter. Torsten Albrecht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung  weist auf die Höhenlage des Dome Concordia (mehr als 3.000 Meter) hin. Auf Deutschland bezogen, sei das „in etwa so, als hätten wir in Deutschland im Frühling 45 Grad Hitze gemessen.“

Zwei Gründe, die das Phänomen begünstigt haben:

  • Der Zeitpunkt: Zu dieser Jahreszeit Mitte März sinken die Temperaturen auf dem antarktischen Plateau naturgemäß schnell. Der Südliche Ozean befindet sich jedoch immer noch in der Nähe seines Wärmemaximums vom Ende des Sommers. Dadurch entsteht ein extrem großer Temperaturkontrast zwischen Ozean und Kontinent.
  • Die trockene Luft und Wärmeleitfähigkeit: Das antarktische Plateau hat knochentrockene Luft und an der Oberfläche niedrige Wärmeleitfähigkeit. Dadurch wird hier zur Erwärmung weniger Energie als in den meisten anderen Gebieten benötigt, folglich  treten große Temperaturschwankungen hier leichter auf.

Sind die Temperaturmessungen ein Indiz dafür, dass sich die globale Klimaerwärmung nun auch in der Ostantarktis stärker auswirkt? Die Frage bleibt offen, ebenso wie die nach dem Einfluss des Klimawandels. Es geht bei den beobachteten Extremen um das Herantragen warmer Luftmassen. Während sich die Westantarktis sogar schneller als der Rest der Welt erwärmt, zeigt der östliche, viel größere Teil des Kontinents bemerkenswerte Stabilität.

Der Temperaturanstieg in der Arktis könnte schwerwiegende Auswirkungen auf ein mögliches frühes Abschmelzen des Meereises haben. Jedoch: „Der direkte Effekt der Klimaerwärmung kann die Messungen nicht erklären“, sagt Markus Rex, Leiter der Abteilung für Atmosphärenforschung am Alfred-Wegener-Institut, zu den Zahlen vom Dome Concordia und aus Wostok. „Das ist ganz klar eine Wetteranomalie, und nicht jede Wetteranomalie wird zwangsläufig vom Klimawandel verursacht.“ In der Westantarktis ist die Eisschmelze bereits in vollem Gange. „Wir wissen nicht, ob wir noch in einem stabilen Zustand sind“, sagt Rex, oder ob ein sogenannter Kipppunkt bereits überschritten worden sei.

Die Messungen wurden mit dem HALO-Flugzeug (Foto) unternommen, an dessen Betrieb das Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie beteiligt ist. Diese Luftmassenänderungen können nicht durch lokale bodengestützte Messungen charakterisiert werden, denn in der zentralen Arktis gibt es nur wenige meteorologische Messstationen. Deshalb werden im Rahmen von HALO-(AC)³ drei deutsche Messflugzeuge zur Beobachtung der Luftmassen auf ihrem Weg in die Arktis hinein bzw. aus der Arktis heraus eingesetzt. Die große Reichweite der Flugzeuge wird genutzt, um die Veränderungen der Luftmassen mit Hilfe der sogenannten quasi-Lagrange‘schen Beobachtungsmethode zu charakterisieren.

Bei dieser Art von Messung wird die Flugroute an die Zugrichtung der Luftmasse angepasst, um die Veränderungen von Wolken, Feuchtigkeit, Temperatur und vieler weiterer Parameter direkt zu vermessen. Die so gewonnenen Daten sollen zur Abschätzung der Genauigkeit von numerischen Wettervorhersagemodellen genutzt werden, die für die Vorhersage zukünftiger Änderungen des arktischen Klimas notwendig sind. Damit wird die Kampagne helfen, eine wichtige Wissenslücke in der Klimaforschung zu schließen, die auch der Weltklimarat IPCC im zweiten Teil seines aktuellen Sachstandsberichts aufzeigt.

Nun werden die Flüge systematisch fortgesetzt. Die Atmosphärenforscher wollen den überdurchschnittlich starken Temperaturanstieg in der Arktis besser verstehen: In den vergangenen 50 Jahren hat er zwei bis drei Grad betragen. Dadurch kann auch das Wetter in den mittleren Breiten beeinflusst werden.

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