Nicht einfach weniger, sondern anders und besser

Nachhaltigkeit im Ernährungssystem

Die Befürworter einer Wirtschaft ohne Wachstum argumentieren seit langem, dass Wirtschaftswachstum als solches der Umwelt schadet. Jetzt haben Forschende gezeigt, dass eine Eindämmung des Wachstums allein unser Ernährungssystem nicht nachhaltig machen würde – wohl aber eine Änderung unserer Ernährung und ein Preisschild für Emissionen in der Landwirtschaft. Zum ersten Mal hat eine Gruppe unter Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung in einer Computersimulation untersucht, welche Auswirkungen so genannte „Degrowth“-Ansätze und Effizienzsteigerungen auf die Treibhausgasemissionen des Lebensmittelsektors haben könnten.

Das derzeitige Ernährungssystem ist nicht wirklich nachhaltig, egal mit welcher Wachstumsrate – eine nachhaltige Transformation des Ernährungssystems würde sich positiv auf die Erde und den Menschen auswirken – Gemüse – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Ihr in Nature Food veröffentlichtes Ergebnis: Eine Kombination aus Ernährungsumstellung, Emissionsbepreisung und internationalen Einkommenstransfers kann die Erzeugung und den Konsum von Lebensmitteln zum Ende dieses Jahrhunderts emissionsneutral machen und gleichzeitig eine gesündere Ernährung für eine wachsende Weltbevölkerung bieten. Die Forscher stellen in dem Artikel laut Abstract „ein quantitatives Modell vor, um die Degrowth-Prinzipien im Lebensmittel- und Landsystem zu testen“. Die Ergebnisse bestätigen aber, „dass die Verringerung und Umverteilung des Einkommens allein im Rahmen der derzeitigen Entwicklungsparadigmen nur zu einer begrenzten Verringerung der Treibhausgasemissionen aus Landwirtschaft und Landnutzungsänderung führt, da der Übergang zu einer nicht nachhaltigen Ernährungsweise bereits bei relativ niedrigen Einkommen stattfindet.“ Stattdessen wird gezeigt,“ dass eine strukturelle, qualitative Transformation des Lebensmittelsystems zu einer stabilen Lebensmittelwirtschaft führen kann, die bis 2100 netto treibhausgasneutral ist und gleichzeitig die Ernährungsergebnisse verbessert. Diese nachhaltige Transformation reduziert den Materialdurchsatz durch eine Konvergenz hin zu einem bedarfsgerechten Lebensmittelsystem, wird durch eine gerechtere Einkommensverteilung ermöglicht und beinhaltet eine effiziente Ressourcenallokation durch die Bepreisung von Treibhausgasemissionen als ergänzende Strategie. Auf diese Weise werden Degrowth- und Effizienzperspektiven integriert.“

„Wenn wir unser System der Produktion und Konsum von Nahrungsmitteln schrumpfen statt wachsen ließen, würde das im Ergebnis dem Klima gar nicht so viel nützen. Stattdessen müssen wir dieses Systems selbst von Grund auf verändern“, sagt Benjamin Bodirsky, Forscher in Potsdam und am World Vegetable Center in Taiwan, einer der Autoren der Untersuchung. „Das bedeutet einerseits, dass die Menschen nur das konsumieren, was sie benötigen, um ihren Nährstoffbedarf zu decken; dass sie weniger Lebensmittel wegwerfen und sich ausgewogener ernähren, mit viel mehr Gemüse und weniger tierischen Produkten. Auf der anderen Seite bedeutet solch eine qualitative Veränderung mehr Effizienz, also Lebensmittel umweltfreundlicher produzieren, zum Beispiel durch gezielteres Düngen  und ertragreichere Pflanzen. Wenn außerdem Kohlenstoff einen Preis bekäme, könnte das Landwirte dazu anreizen, emissionsärmer zu produzieren, einfach weil weniger Emissionen dann geringere Kosten bedeutet.

Zusammengenommen könnte das den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch senken.“Die Art und Weise, wie wir unser Land bewirtschaften und Lebensmittel produzieren, macht vom Acker bis zum Teller bis zu ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen entlang der gesamten Lieferketten aus. „Wir haben uns also angeschaut, wie dieses System in einer hypothetischen Welt ohne Wirtschaftswachstum aussehen würde: Auf der Grundlage verschiedener in der Wissenschaft diskutierter „Degrowth“-Ansätze haben wir eine Reihe von Szenarien erstellt, die wir dann in eine Computersimulation für Ernährungs- und Landsysteme eingespeist haben, um so ihre Auswirkungen zu untersuchen“, erklärt David Chen, Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Autor der Studie. „Wir sind einen Schritt zurückgetreten von den hitzigen normativen Debatten über Post-Wachstum oder ‚Degrowth‘. Unser Ergebnis zeigt, dass das derzeitige Ernährungssystem im Grunde nie wirklich nachhaltig ist, egal mit welcher Wachstumsrate.“

Die Simulationen zeigen, dass eine einfache Drosselung des Wachstums in reichen Ländern keine nennenswerten Vorteile für die Nachhaltigkeit des Ernährungssystems bringen würde. Und Einkommenstransfers von reichen in ärmere Länder könnten die Treibhausgasemissionen sogar erhöhen. Der Grund ist, dass der Konsum umweltschädlicher Lebensmittel dann am deutlichsten steigt, wenn sich Länder von niedrigen zu mittleren Einkommen entwickeln.

Nachhaltiges Essen ist besser für die Gesundheit und die Umwelt

Als die Forschenden jedoch Konsumveränderungen plus Effizienzgewinne durch Emissionsbepreisung in die Computersimulation fütterten, war das Ergebnis eine gesündere Ernährung für alle und geringere Treibhausgasemissionen, sowie in der Folge auch weniger Produktionsaufwand in der Landwirtschaft. „Für das Ernährungssystem können wir sagen: In gewisser Weise wäre ein bisschen ‚Degrowth‘ das Ergebnis der nachhaltigen Transformation, nicht der Ausgangspunkt“, sagt Hermann Lotze-Campen, Mitautor vom Potsdam-Institut. „Im Grunde geht es also nicht einfach um weniger Wachstum, sondern um ein anderes Wachstum.“

Wichtig ist, dass eine nachhaltige Transformation des Ernährungssystems, die alle Kosten für die Umwelt berücksichtigt, einen leichten Anstieg der Lebensmittelpreise nach sich ziehen würde – was vor allem die Armen zu spüren bekämen, so die Forschenden. Deswegen ist es entscheidend, dass jegliche Transformation flankiert wird von einem gut durchdachten Mix aus intelligenten Steuersystemen, sozialem Ausgleich für die Emissionsbepreisung und auch internationalen Ausgleichszahlungen. Denn es erfordert Investitionen, die Landwirtschaft klimafreundlicher zu machen, etwa durch ein besseres Management der Stickstoff-Düngung in den Anbauflächen. Unterm Strich werden diese Kosten werden jedoch wahrscheinlich durch den Wert und die Leistungen intakter Ökosysteme  ausgeglichen.

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