Erneute Abstimmung über EU-ETS – diverses Echo

EU-Parlament für ehrgeizigere Ziele

„Das mühsam ausgehandelte Ergebnis sehen manche schon fast als Verrat“, so der Stern am 20.06.2022. Das Europäische Parlament hatte am Nachmittag nach einem ersten gescheiterten Versuch seine Position zur Weiterentwicklung des Emissionshandels und zur Einführung eines CO2-Grenzausgleichmechanismus mit breiter Mehrheit beschlossen: Neu ist ein alternativer Vorschlag gegenüber den Ideen der EU-Kommission, wie die Sektoren Gebäude und Verkehr in einem eigenen parallelen Emissionshandel einbezogen werden sollen – zunächst nur bei gewerblicher Nutzung.

Dampf, Rauch und CO2 im Berliner Nordwesten – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Interessant sind die Vorschläge für einen strengeren Klimaschutz. Demzufolge wird die kostenlose Vergabe von CO2-Zertifikaten ab 2032 wegfallen und schon ab 2027 nach und nach auslaufen. Aber erst müssen die EU-Länder über ihre Position sprechen. Erst wenn sie sich geeinigt haben, können Verhandlungen beginnen. Die EU-Kommission hatte ihre Vorschläge zum Klimaschutz bereits vergangenen Sommer vorgelegt. Wenn es nach Klimaforschern geht, müssen die weltweiten Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent sinken. Anders wird die gemeinsam gesetzte Grenze von 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit überschritten.

„Der Standpunkt des Parlaments zu den EU-Klimaschutzgesetzen steht. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um mindestens 55% zurückgehen und Arbeitsplätze und Bürger geschützt werden.Nach einer Plenardebatte am 7. Juni 2022 nahm das Parlament am Mittwoch seinen Standpunkt zu drei zentralen EU-Gesetzen an, die zum Klimaschutzpaket „Fit für 55 bis 2030“ gehören. Mit dem Paket will die EU die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 senken und im Einklang mit dem Europäischen Klimagesetz bis 2050 Netto-Null-Emissionen (Klimaneutralität) erreichen. Das Parlament beginnt nun die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten über die endgültigen Fassungen der Gesetze. Das Paket ist für die EU wichtig, damit sie schon lange vor 2030 von teuren und umweltschädlichen fossilen Brennstoffen aus Russland unabhängig werden kann.“ (europarl.europa.eu/klimawandel-eu-soll-schneller-handeln-und-energieunabhangig-werden)

VKU-Chef Ingbert Liebing: „Der Kompromiss verheddert sich in Komplexität“

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), der Stadtwerke und kommunale Energieversorger vertritt, sieht Nachbesserungsbedarf. VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing: „Der EU-Emissionshandel ist ein zielgerichtetes und kosteneffizientes Klimaschutz-Instrument. Deswegen ist es richtig, ihn schrittweise auf diejenigen Sektoren mit dem größten verbliebenen Klimaschutzpotenzial, auf den Gebäude- und Verkehrssektor, auszuweiten. Doch der Kompromiss verheddert sich in Komplexität. Hier muss nachgebessert werden. Besser wäre es beispielsweise, die bestehenden nationalen Verwaltungsstrukturen weiter nutzen zu können, statt neue, parallele Strukturen zu schaffen. Offen bleibt auch, wie die Emissionen im privaten Gebäudesektor adressiert werden können, die seit Jahren kaum gesunken sind. Dazu fehlen bisher überzeugende, alternative Konzepte.“

VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing: „Der EU-Emissionshandel ist ein zielgerichtetes und kosteneffizientes Klimaschutz-Instrument. Deswegen ist es richtig, ihn schrittweise auf diejenigen Sektoren mit dem größten verbliebenen Klimaschutzpotenzial, auf den Gebäude- und Verkehrssektor, auszuweiten. Doch der Kompromiss verheddert sich in Komplexität. Hier muss nachgebessert werden. Besser wäre es beispielsweise, die bestehenden nationalen Verwaltungsstrukturen weiter nutzen zu können, statt neue, parallele Strukturen zu schaffen. Offen bleibt auch, wie die Emissionen im privaten Gebäudesektor adressiert werden können, die seit Jahren kaum gesunken sind. Dazu fehlen bisher überzeugende, alternative Konzepte.“

Ein Beispiel für die Komplexität: Zunächst sollen nur gewerbliche Gebäude und der gewerbliche Verkehr einbezogen werden. 2029 sollen dann Privathaushalte und privater Verkehr folgen. „Für Stadtwerke und kommunale Versorger vor Ort ist eine solche Unterscheidung zwischen gewerblichen und privaten Akteuren kaum umsetzbar“, so Liebing, „und versursacht für die Energielieferanten einen unnötigen Zusatzaufwand, um Energielieferungen für solche Gebäude zu bepreisen, die gewerblichen und privaten Wohnraum vereinen. Diese praktischen Fragen zur Umsetzung betreffen ja keine Ausnahmen, sondern klassische Wohnviertel in unseren Städten.“

Besonders kritisch sieht Liebing die Nicht-Weitergabe von CO2-Kosten: „Der Wunsch, die Weitergabe der CO2-Kosten an private Endverbraucher auf die Hälfte zu deckeln, ist gerade in Zeiten steigender Energiepreise zwar nachvollziehbar. Doch EU-Kommission und Europäisches Parlament geben keine Antwort darauf, wer die restlichen 50 Prozent tragen soll – ganz abgesehen davon, wie so eine volle Lenkungswirkung zum Verzicht auf fossile Energieträger erzielt werden soll, zumal der Krieg in der Ukraine uns allen zeigt, welche folgenschweren gesamtwirtschaftlichen Risiken eine Abhängigkeit von fossilen Energieträgern mit sich bringt. Wir müssen schneller werden beim Umstieg auf erneuerbare Energien und klimaneutrale Gase und Energieeffizienzmaßnahmen stärker anreizen.”

Das Parlament schlägt zudem eine Prüfung vor, inwiefern auch die Abfallverbrennung ab 2026 in den Emissionshandel miteinbezogen werden kann. Dafür sollten aus Sicht der kommunalen Abfallwirtschaft auf jeden Fall zwei Bedingungen gelten: erstens eine gründliche Analyse der abfallwirtschaftlichen Folgen und zweitens die Gleichbehandlung aller Behandlungsverfahren. Sonst würden Siedlungsabfälle wieder vermehrt auf Deponien landen. Das wäre klimaschädlicher als die Verbrennung und ist hierzulande deswegen seit 2005 verboten. Auch ist nun die Bundesregierung gefordert: Denn dieser EU-Vorschlag und ein zusätzlicher, nationaler Emissionshandel für Abfälle sind nicht vereinbar – weder bei Preisregulierung noch Zertifikaten. Ein solcher nationaler Alleingang würde nur Müllexporte befeuern und muss daher unterbleiben.

WWF: Nicht weit genug

Harsche Kritik kam weiter von der Umweltschutzorganisation WWF, dem die Vorschläge nicht weit genug gehen. Die Parlamentarier hätten Klima und Bürger im Stich gelassen. Das Parlament sei mitschuldig an der Aushöhlung des mächtigsten Instruments der EU, um die Industrie zum Abschied von Öl, Gas und Kohle zu bewegen.

Aus Sicht von Germanwatch wird das Europaparlament mit dem heutigen Kompromiss seiner wichtigen Klimavorreiterrolle nur eingeschränkt gerecht. „An mehreren Stellen geht das Parlament leicht über den Kommissionsvorschlag hinaus, an anderen bleibt es dahinter zurück. Insgesamt ist das ein zu kleiner Schritt für den jetzt notwendigen Klimaschutz, gerade vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Dringlichkeit, Europa unabhängig vom Import fossiler Energie zu machen“, so Anne Gläser, Expertin für CO2-Preise bei Germanwatch.

Rückenwind für Einführung des CO2-Grenzausgleich, aber mit Zugeständnissen an Industrie

Enttäuschend ist laut Germanwatch, dass Unternehmen noch zehn Jahre lang kostenlose Emissionszertifikate bekommen sollen. Dieser Kompromiss wird der gewaltigen Herausforderung einer schnellen Industrietransformation nicht gerecht“, so Gläser. „Immerhin wird die kostenlose Zuteilung an strengere Kriterien geknüpft. Dennoch entgehen der EU und den Mitgliedstaaten durch das Verschenken der Zertifikate Milliardensummen, die sonst als Investitionshilfen die Industrietransformation beschleunigen könnten.“ Begrüßenswert ist aus Germanwatch-Sicht dagegen die Einigung zur Aufnahme der Müllverbrennung in den Emissionshandel ab 2026 und zu strengeren Regeln für die Schifffahrt.

Positiv hervorzuheben sei ebenfalls die Einigung auf einen breiten Anwendungsbereich für den CO2-Grenzausgleich. Gläser: „Das gibt dem Kommissionsvorschlag zum wichtigen Grenzausgleich so viel Rückenwind, dass dessen Einführung nun sehr wahrscheinlich ist. Insbesondere die Position, den Ausgleich bis 2030 auf alle vom Emissionshandel abgedeckten Bereiche der Wirtschaft anzuwenden, ist ein starkes Signal, dass das Parlament hinter einem ernst gemeinten und funktionierenden Grenzausgleich steht“.

Was einen CO2-Preis fürs Heizen und Tanken betrifft, waren die Abgeordneten enttäuschend vorsichtig. „Statt für ein wirkungsvolles Preissignal in den Bereichen Gebäudewärme und Straßenverkehr in Kombination mit einem gut ausgestatteten Klimasozialfonds, votierten die Abgeordneten für einen völlig ausgehöhlten Mini-Emissionshandel: Nämlich für einen CO2-Preis nur für gewerbliche Emissionen und einen entsprechend geschrumpften Sozialausgleich“, so Gläser.

Bundesregierung muss vor Umweltrat EU-Klimapaket engagiert voranbringen

Nach diesem Votum des Parlaments steht nun die Bundesregierung in der Verantwortung, sich mit mehr Elan als bisher für ein starkes EU-Klimapaket einzusetzen. Während das Wirtschafts- und Klimaministerium den wichtigen EU-Themen zumindest bis jetzt nicht ausreichend Aufmerksamkeit schenkt, bremsen Kanzleramt und Finanzministerium an entscheidenden Stellen sogar. Gläser: „Wir erwarten mit Blick auf den entscheidenden EU-Umweltrat am Dienstag ein deutlich stärkeres Engagement der Bundesregierung für das Fit-for-55-Paket. Insbesondere bei zwei Punkten erwarten wir eine klare Unterstützung der Bundesregierung. Wir brauchen einen wirkungsvollen und solidarischen Klimasozialfonds als Ergänzung zu einem CO2-Preis für Gebäude- und Verkehrsemissionen. Und nachdem das EU-Parlament sich nur für eine begrenzte Rolle des CO2-Preises für Gebäude und Verkehr ausspricht, sind nun verbindliche Ziele für die Mitgliedstaaten für diese Sektoren wichtiger denn je. Die Bundesregierung sollte hier einlenken und sich auch für eine Verbesserung des Kommissionsvorschlags zur Klimaschutzverordnung einsetzen.“

Industrie gespalten

Geteiltes Echo kam aus der Industrie: „Mit der Zustimmung zur Ausweitung des Emissionshandels hat das EU-Parlament eine wichtige und richtige Entscheidung getroffen“, sagte etwa Hildegard Müller vom Verband der Automobilindustrie. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) befürchtet, dass eine Transformation der Branche behindert statt gefördert werde. Enttäuscht zeigte sich auch der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft.

BEE: „EU muss mutige und konkrete Maßnahmen für umfassende und zügige Treibhausgasminderung bis 2030 beschließen“

„Nur 14 Tage nach der gescheiterten Abstimmung über den EU-ETS hat das EU-Parlament einen Kompromiss gefunden. Er bringt das Emissionshandelssystem zwar einen großen Schritt weiter, bleibt aber hinter den Klimazielen von Paris zurück“, so Dr. Simone Peter, Präsidentin des BEE. „Die Ausweitung des CO2-Handelssystems auf Wärme und Verkehr, der sogenannte ETS 2, ist eine wichtige Bedingung für den fairen Wettbewerb zwischen fossilen und Erneuerbaren Energien. Das Preissignal fällt aber noch zu schwach aus. Die Abschmelzung des Kontingents an kostenlosen Zertifikaten ab 2027 im Emissionshandel für Industrie und Energie kommt außerdem zu spät und sollte stattdessen so schnell wie möglich beginnen. Spätestens 2030 dürfen keine freien CO2-Zertifikate mehr im Markt sein.“

Mit Blick auf die Verhandlungen im Europäischen Rat diesen Herbst warnt Peter: „Der Kompromiss geht schon jetzt nicht weit genug und darf in Zukunft nicht noch weiter aufgeweicht werden. Um den Transformationspfad hin zur Klimaneutralität auf dem europäischen Kontinent so schnell wie möglich zu beschreiten, müssen wir jetzt faire Wettbewerbsbedingungen für die Erneuerbaren schaffen, statt alte Industrien zu schützen. Ein ambitionierter europäischer CO2-Handel ist ein zentrales Instrument für den Markthochlauf der Zukunftstechnologien und für die gerechte Kostenumverteilung auf fossile Energien. Nur wenn die EU mutige und konkrete Maßnahmen für eine umfassende und zügige Treibhausgasminderung bis 2030 beschließt, kann sie ihre Klimaziele einhalten, die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit sowie Arbeitsplätze sichern und den Ausbau der Erneuerbaren entfesseln.“

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