Klimaforscher warnen: Endzeit-Szenarien drohen real zu werden

Versäumnis des IPCC: Im schlimmsten Fall Aussterben der Menschheit

Der Klimawandel könnte im schlimmsten Fall zum Aussterben der Menschheit führen. Es sei jedoch noch genug Zeit, um das Ruder herumzureißen, schreibt Mona Wenisch, am 02.08.2022 in einem dpa-Artikel auf zdf.de. Bisher wisse man zu wenig über derartige Endzeit-Szenarien und die Wahrscheinlichkeitihres Eintretend, schreibt ein internationales Team in denProceedings“ der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“) unter der Überschrift „Klima-Endspiel: Erforschung katastrophaler Szenarien des Klimawandels – Climate Endgame: Exploring catastrophic climate change scenarios)“.

Wasserdampf-, CO2– und Rauchausstoß in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

„Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass der Klimawandel katastrophale Ausmasse annehmen könnte“, schreiben unter anderen Hans Joachim Schellnhuber und Johan Rockström (PIK-Potsdam- siehe auch: solarify.eu/klima-endspiel-agenda) im Abstract der Untersuchung: „Ein umsichtiges Risikomanagement erfordert die Berücksichtigung von Szenarien, die vom ungünstigsten bis zum schlimmsten Fall (bad-to-worst-case scenarios) reichen. Im Hinblick auf den Klimawandel sind solche potenziellen Zukunftsszenarien jedoch nur unzureichend erforscht,“ stellen sie nüchtünde für die Vermutung, dass der Klimawandel zu einer globalen Katastrophe führen könnte. Die Analyse der Mechanismen für diese extremen Folgen könnte dazu beitragen, Maßnahmen zu ergreifen, welche die Widerstandsfähigkeit verbessern und die Politik, einschließlich der Notfallmaßnahmen, informieren. „Wir skizzieren den aktuellen Wissensstand über die Wahrscheinlichkeit extremer Klimaveränderungen, erörtern, warum das Verständnis der schlimmsten Fälle von entscheidender Bedeutung ist, formulieren Gründe für die Besorgnis über katastrophale Folgen, definieren Schlüsselbegriffe und legen eine Forschungsagenda vor.“

Die vorgeschlagene Agenda umfasse vier Hauptfragen:

  1. Wie groß ist das Potenzial des Klimawandels, ein Massenaussterben zu verursachen?
  2. Welches sind die Mechanismen, die zu menschlicher Massensterblichkeit und -morbidität führen könnten?
  3. Wie anfällig sind menschliche Gesellschaften für durch den Klimawandel ausgelöste Risikokaskaden, z. B. durch Konflikte, politische Instabilität und systemische Finanzrisiken?
  4. Wie können diese vielfältigen Erkenntnisse – zusammen mit anderen globalen Gefahren – sinnvoll zu einer „integrierten Katastrophenbewertung“ zusammengeführt werden?

„Es ist an der Zeit, dass sich die wissenschaftliche Gemeinschaft mit der Herausforderung auseinandersetzt, den katastrophalen Klimawandel besser zu verstehen.“ Denn trotz 30-jähriger Anstrengungen seien die anthropogenenen Treibhausgas-Emissionen immer weiter gestiegen. „Selbst wenn man den schlimmsten Fall von Klimaänderungen außer Acht lässt, ist die Welt auf dem besten Weg, bis  2100 einen Temperaturanstieg zwischen 2,1 und 3,9 Grad zu erleben.“

Erstaunlich ein Faktum: Die Folgen einer Erwärmung um 3 Grad seien bisher nicht ausreichend untersucht. Die Forschung schaue auf Szenarien mit mehr oder weniger moderaten Folgen des Klimawandels. „Sich einer Zukunft mit beschleunigtem Klimawandel zu stellen, ohne die schlimmsten Szenarien zu bedenken, ist bestenfalls naives Risikomanagement und schlimmstenfalls fatal töricht“, so die PNAS-Autoren. Denn dass ganze Landstriche unbewohnbar würden, sei durchaus wahrscheinlich.

Die fortschreitende Ausweitung von Gebieten mit extremer Hitze – also mehr als 29° C Durchschnittstemperatur – betreffe im Augenblick bereits 30 Millionen Menschen in der Sahara und an der Golfküste. Bis 2070 könnten es zwei Milliarden Menschen sein. Und: „Bis 2070 werden diese Temperaturen und die sozialen und politischen Folgen zwei Atommächte und sieben Hochsicherheitslabore, in denen die gefährlichsten Krankheitserreger untergebracht sind, direkt betreffen“, sagt Ko-Autor Chi Xu von der chinesischen Universität Nanjing. „Es besteht ein ernsthaftes Potenzial für katastrophale Folgewirkungen.“ Und ein weiteres: Migration, sozialen Unruhen und internationalen Konflikte sind zu erwarten.

Erst vor kurzem hat Solarify einen Text vom Juli 2015 (leicht aktualisiert) erneut eingestellt, in dem anhand des Films „Der Marsch“ das Phänomen Klimamigration sehr anschaulich (manchen zu realistisch) beschrieben wurde – siehe: solarify.eu/klima-krieg-und-flucht): Der junge, charismatische Issa Al-Mahdi steht an der Spitze einer unübersehbaren Karawane bitterarmer Menschen aus nordostafrikanischen Flüchtlingslagern, die in Richtung Europa ziehen. Dort sieht er die letzte Chance, seine Landsleute vor dem Hungertod zu retten. Denn dieser droht auf Grund der bitteren Armut, ausgelöst und verschlimmert durch die infolge des Klimawandels eingetretene ökologische Katastrophe in der Region. Fünf lange Jahre hat es laut Drehbuch in Äthiopien und Somalia, im Tschad und im Sudan nicht mehr geregnet. Heute (Sommer 2022) hat es dort drei Jahre nicht geregnet. Die Hilfen aus Europa und den USA sind im Filz der korrupten afrikanischen Regime versickert. Auf dem Marsch nach Norden schwillt der Strom der Hunger-Flüchtlinge auf Hunderttausende an. Verzweiflung, nicht Aggression treibt sie nach Norden.

Das Versäumnis des Weltklimarats

Nach Ansicht der Autoren hat sich selbst der Weltklimarat (IPCC) noch nicht ausreichend mit den möglichen Folgen einer Klimakatastrophe beschäftigt. Keiner der 14 Sonderberichte des IPCCs behandele extreme oder katastrophale Klimaveränderungen. Für den aktuellen IPCC-Bewertungszyklus wurde ein Sonderbericht über „Kipp-Punkte“ vorgeschlagen, und die PNAS-Autoren wollen diese Bericht erweitert haben, um alle wichtigen Aspekte des katastrophalen Klimawandels zu berücksichtigen.

„Dies scheint nach dem Entscheidungsrahmen des IPCC gerechtfertigt. In einem solchen Bericht könnte untersucht werden, wie die Rückkopplungen im Erdsystem die Temperaturverläufe verändern könnten und ob diese unumkehrbar sind. Ein Sonderbericht über den katastrophalen Klimawandel könnte dazu beitragen, weitere Forschungen anzustoßen, so wie es der Sonderbericht ‚Globale Erwärmung um 1,5° C‘ tat.

  • „Unser Klima verändert sich vor unseren Augen“, klagte WMO-Präsident Petteri Taalas bei der Vorlage des Klimazustandsbericht 2021 („The State of the Global Climate“) der Weltorganisation für Meteorologie am 18.05.2022. Klimaexperte Hans-Josef Fell kommentierte ernüchtert: „Klarer denn je ist: Uns bleibt keine Zeit mehr zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze und damit zur Rettung unseres Planeten.“
  • Dem Copernicus Climate Change Service zufolge lag die Temperatur im vergangenen Jahr fast 0,7 Grad über dem Durchschnitt. Als sei der bei der COP21 in Paris beschlossene Temperaturwert von 1,5 Grad selbst das Ziel und nicht die Vermeidung, ihn zu erreichen, „bewegt sich die Erde schneller als gedacht auf die Marke von 1,5 Grad plus zu,“ schreibt der Wiener Standard am 10.07.2020. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent würden die globalen Durchschnittstemperaturen diesen Wert schon zwischen 2020 und 2024 erreichen. Dass sie während dieser Zeit in mindestens einem Monat auf mehr als 1,5 Grad über vorindustrielles Niveau (1850-1900) klettern, soll sogar eine 90-prozentige Chance haben – so die Weltwetterorganisation (WMO) am 09.07.2020.
  • Schon 1974 hatte der spätere (2018) Nobelpreisträger William D. Nordhaus, ein makroökonomisches Modell des langfristigen Wachstums entworfen. Seine bahnbrechende Arbeit „Resources as a Constraint on Growth“, erschienen in der American Economic Review, enthielt als erste eine Darstellung der Kohlendioxidkonzentration und des Klimas in einem solchen makroökonomischen Rahmen und analysierte, wie der Klimawandel zu möglichst geringen Kosten eingedämmt werden konnte – weiterentwickelt 1975 unter dem Titel „Can we conrol carbon dioxide?“. 1977 definierte Nordhaus die sogenannte Zwei-Grad-Grenze (solarify.eu/zwei-grad-grenze – s.u.).
  • Der am 08.10.2018 in Incheon, Südkorea, veröffentlichte IPCC-Sonderbericht, zeigt, dass bereits bei 1,5 Grad Celsius globaler Erwärmung weltweit hohe Risiken durch die Klimafolgen bestehen, so eine gemeinsame Medienmitteilung von BMBF und BMU. Der in Paris anlässlich der COP21 in Auftrag gegebene Bericht fasst den wissenschaftlichen Kenntnisstand über die Folgen einer Erwärmung von 1,5°C  und darüber zusammen und definiert die damit einhergehenden nötigen Emissionsverringerungen. Er untersucht außerdem konkrete Maßnahmen zur Verstärkung und Beschleunigung des Kampfes gegen den Klimawandel.

Der IPCC-Bericht habe – so der PNAS-Artikel – zwar eine Welle der öffentlichen Besorgnis über die Schwere der Auswirkungen in niedrigeren Temperaturbereichen ausgelöst. Die Auswirkungen eines Berichts über katastrophale Klimaveränderungen könnten sogar noch deutlicher sein. Er könnte dazu beitragen, den Blick dafür zu schärfen, wie viel in einem Worst-Case-Szenario auf dem Spiel steht. Die weitere Finanzierung der Forschung über katastrophale und schlimmstmögliche Klimaveränderungen ist von entscheidender Bedeutung.

Kein Zweifel: Eine wirksame Kommunikation der Forschungsergebnisse wird entscheidend sein. Es wird zwar befürchtet, dass angstmachende Botschaften nicht hilfreich sind und zu Lähmungen führen, aber die Erkenntnisse über hoffnungsvolle bzw. angstmachende Botschaften sind uneinheitlich, selbst in Metaanalysen. Die Rolle von Emotionen ist komplex, und es ist strategisch sinnvoll, Botschaften für bestimmte Zielgruppen anzupassen. In einem 2019 erschienenen Bericht über die Klimadebatte wurde hervorgehoben, wie wichtig es ist, politische Bündelungen zu vermeiden, vertrauenswürdige Botschafter auszuwählen und wirksame Rahmen zu wählen. Diese Art von Überlegungen sind entscheidend für eine nützliche und korrekte Diskussion in der Öffentlichkeit.

Schlussfolgerungen des PNAS-Artikels

„Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass der Klimawandel katastrophale Ausmaße annehmen könnte. Schon bei einer geringen Erwärmung könnten wir in solche ‚Endspiele‘ geraten. Ein Verständnis der extremen Risiken ist wichtig für eine solide Entscheidungsfindung, von der Vorbereitung bis hin zur Erwägung von Notfallmaßnahmen. Dazu müssen nicht nur Szenarien mit höheren Temperaturen untersucht werden, sondern auch das Potenzial der Auswirkungen des Klimawandels, zu systemischen Risiken und anderen Kaskaden beizutragen. Wir schlagen vor, dass es an der Zeit ist, ernsthaft zu prüfen, wie wir unseren Forschungshorizont am besten erweitern können, um diesen Bereich abzudecken. Die vorgeschlagene ‚Climate Endgame‘-Forschungsagenda bietet eine Möglichkeit, sich in diesem zu wenig untersuchten Bereich zurechtzufinden. Sich einer Zukunft mit beschleunigtem Klimawandel zu stellen, während man blind für Worst-Case-Szenarien ist, ist bestenfalls naives Risikomanagement und schlimmstenfalls tödlich dumm.“

->Quellen:

  • zdf.de/klimawandel-menschheit-bedrohung
  • Luke Kemp, Chi Xu, Joanna Depledge, Kristie L. Ebi, Goodwin Gibbins, Timothy A. Kohler, Johan Rockström, Marten Scheffer, Hans Joachim Schellnhuber, Will Steffen, and Timothy M. Lenton, Edited by Kerry Emanuel, Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, MA: Climate Endgame: Exploring catastrophic climate change scenarios, in: PNAS – Perspective – Earth, Atmospheric, and Planetary Sciences, 01.08.2022, 119 (34) e2108146119 – pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.2108146119doi.org/10.1073/pnas.2108146119