Forscher entdecken dem Gehirn vergleichbar lernfähiges Material

Verblüffender Memoryeffekt: Material mit Gedächtnis

Ein Doktorand am EPFL-Forschungslabor für Leistungs- und Breitband-Elektronik (POWERlab), Mohammad Samizadeh Nikoo, machte während seiner Forschung über Phasenübergänge in Vanadiumdioxid (VO2) eine zufällige Entdeckung: Die in der Elektronik verwendete Verbindung konnte sich frühere äußere Reize „merken“ – so eine Medienmitteilung der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) vom 24.08.2022. Dies sei das erste Material, dem diese Eigenschaft zugeschrieben werde, obwohl es noch weitere geben könnte.

VO2 hat eine isolierende Phase, wenn es bei Raumtemperatur entspannt ist, und durchläuft bei 68 °C einen steilen Übergang vom Isolator zum Metall, wobei sich seine Gitterstruktur ändert. Klassischerweise weist VO2 ein flüchtiges Gedächtnis auf: „Das Material kehrt in den isolierenden Zustand zurück, sobald die Anregung entfernt wird“, sagt Samizadeh Nikoo. In seiner Diplomarbeit wollte er herausfinden, wie lange VO2 braucht, um von einem Zustand in den anderen überzugehen. Doch seine Forschung führte ihn auf einen anderen Weg: Nach Hunderten von Messungen stellte er einen Memory-Effekt in der Struktur des Materials fest.

Eine unerwartete Entdeckung

In seinen Experimenten legte Samizadeh Nikoo einen elektrischen Strom an eine Probe von VO2 an. „Der Strom bewegte sich durch das Material und folgte einem Pfad, bis er auf der anderen Seite wieder austrat“, erklärt er. Während der Strom die Probe erwärmte, veränderte das VO2 seinen Zustand. Und sobald der Strom vorbei war, kehrte das Material in seinen Ausgangszustand zurück. Samizadeh Nikoo wendete dann einen zweiten Stromimpuls auf das Material an und stellte fest, dass die Zeit, die es brauchte, um den Zustand zu ändern, direkt mit der Geschichte des Materials zusammenhing. „Das VO2 schien sich an den ersten Phasenübergang zu ‚erinnern‘ und den nächsten vorwegzunehmen“, erklärt Prof. Elison Matioli, der das POWERlab leitet. „Wir haben diese Art von Gedächtniseffekt nicht erwartet, und er hat nichts mit elektronischen Zuständen zu tun, sondern mit der physikalischen Struktur des Materials. Das ist eine neue Entdeckung: Kein anderes Material verhält sich auf diese Weise“.

Ein Gedächtnis von bis zu drei Stunden

Die Forscher fanden weiter heraus, dass VO2 in der Lage ist, sich bis zu drei Stunden lang an den letzten äußeren Reiz zu erinnern. „Der Gedächtniseffekt könnte in der Tat mehrere Tage anhalten, aber wir verfügen derzeit nicht über die notwendigen Instrumente, um das zu messen“, sagt Matioli.

Die Entdeckung des Forscherteams ist wichtig, weil der von ihnen beobachtete Gedächtniseffekt eine „angeborene“ Eigenschaft des Materials selbst ist. Ingenieure sind bei allen Arten von Berechnungen auf Speicher angewiesen, und Materialien, die den Berechnungsprozess durch höhere Kapazität, Geschwindigkeit und Miniaturisierung verbessern könnten, sind sehr gefragt. VO2 erfüllt alle drei Kriterien. Darüber hinaus unterscheidet es sich durch sein kontinuierliches, strukturelles Gedächtnis von herkömmlichen Materialien, die Daten als binäre Informationen speichern, die von der Manipulation elektronischer Zustände abhängen.

Die Forscher führten eine Vielzahl von Messungen durch, um zu ihren Ergebnissen zu gelangen. Sie bestätigten ihre Ergebnisse auch, indem sie die neue Methode auf verschiedene Materialien in anderen Labors auf der ganzen Welt anwandten. Diese Entdeckung lässt sich gut mit den Vorgängen im Gehirn vergleichen, da VO2-Schalter genauso wie Neuronen funktionieren.

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