Mehr Diversität in der Wissenschaft gefordert

Wissenschaftsbetrieb keine attraktive Arbeitsperspektive mehr

Ein Großteil des wissenschaftlichen Nachwuchses sieht im Wissenschaftsbetrieb keine attraktive Arbeitsperspektive mehr, wie eine aktuelle Umfrage unter Doktoranden zeigt. Ursachen dafür sehen Sachverständige – so der parlamentseigene Pressedienst heute im bundestag – in einer Befristungspraxis wissenschaftlicher Stellen, dem immer noch zu geringen Frauenanteil und einem Mangel an Diversität an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen.

Hörsaal EW 201 der TU Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Hier müsse dringend nachgebessert werden, so am 19.10.2022 das Fazit eines Fachgesprächs zum Thema „Diversität in der Personalstruktur, bei Karrierewegen und wissenschaftlichen Spitzenleistungen“ des Bundestags-Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Das Wissenschaftssystem müsse Frauen auf dem Weg zur Professur stärker unterstützen und mehr Vielfalt ermöglichen.

Vier große Baustellen sa Alina Fahrenwaldt vom Vorstand des Netzwerks von Promovierendennetzwerken an außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Dazu zähle in erster Linie die Abschaffung des Stipendienwesens. Ein Stipendium bedeute in der Regel 500 Euro weniger im Monat und keine Krankenversicherung. Statt Stipendien sollte es daher sozialversicherungspflichtige Arbeitsverträge geben. Außerdem sollten Promotionsstellen auf eine Dauer von mindestens vier Jahre angelegt sein. Zu kurze Vertragslaufzeiten benachteiligten etwa Doktorandinnen, die Care-Arbeit leisten. Als weiteren Punkt nannte Fahrenwaldt Prävention gegen Machtmissbrauch. Denn viele Doktorandinnen und Doktoranden fühlten sich aufgrund ihres Geschlecht oder ihrer Herkunft diskriminiert. Nicht zuletzt sollten Promovierende an außeruniversitären Forschungseinrichtungen die volle Verantwortung für ihre Arbeitsfelder übertragen werden.

Um Wissenschaft als Arbeitsplatz attraktiver für den Nachwuchs zu gestalten, forderte Fahrenwaldt den Ausbau der Tenure Track-Stellen, das heißt, die Chancen zu verbessern, nach Ablauf einer wissenschaftlichen Bewährungsphase eine Lebenszeitprofessur zu erhalten. Gleichzeitig mahnte die Vertreterin des Netzwerks aber auch den Ausbau von akademischen Dauerstellen unterhalb der Professur an; auch das könnte die Forschungseinrichtungen attraktiver machen. Auch seien viele Promovierende mit den Arbeitsbedingungen nicht zufrieden, sie klagten über Überstunden und hohen Druck. Sie wünschten sich auch eine bessere Beratung und Unterstützung für ihre Forschungsarbeit.

Die Junior-Professur mit Tenure Track, wandte Anneliese Niehoff vom Vorstand der Bundeskonferenz der Frauen-und Gleichstellungsbeauftragten ein, weise allerdings einen geringeren Frauenanteil auf als die klassischen Stellen ohne Tenure. Jedoch plädierte sie ebenfalls für einen Ausbau des Tenure Track, damit wissenschaftliche Karrierewege planbarer würden. Das Wissenschaftssystem sei immer noch vom Leitgedanken geprägt: „Leistung setzt sich durch. Das System findet die Besten.“ Dabei werde übersehen, dass es strukturell ungleiche Karrierechancen durch sexualisierte und rassistische Diskriminierungen gebe sowie durch unbewusste Stereotype in Auswahlverfahren. Dies müsse stärker berücksichtigt werden. Die Unsicherheit, ob Post-Docs einen dauerhaften Arbeitsplatz finden, mache Hochschulen und Forschungseinrichtungen gerade für Frauen wenig attraktiv. Die statistische Erfassung zeige, dass mehr Wissenschaftlerinnen als ihre männliche Kollegen das System verließen.

„Die Diversität ist tief in unserem Mind-Set angekommen“, betonte der Präsident der Max Planck-Gesellschaft (MPG), Professor Martin Stratmann. Zwei Drittel der Berufungen gingen derzeit an Wissenschaftler aus den USA, Großbritannien und der Schweiz. Er habe sich in allen Positionen bemüht, die MPG so weiter zu entwickeln, dass sie „extrem divers und international attraktiv“ werde. Die MPG habe 4.000 Doktorandenstellen und 4.000 Post-Doc-Stellen vorzuweisen. Trotzdem sei aber klar, dass nicht jeder in der Wissenschaft bleiben könne, deshalb sei es wichtig, alternative Karriereperspektiven zu eröffnen. So habe die MPG ein Programm, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Unternehmen zusammenbringe.

Ein Problem auch für die Nachwuchsförderung sei allerdings der derzeitige gewaltige Anstieg der Energiekosten. „Wir haben in diesem Jahr 100 Millionen Euro mehr allein an Strom und rechnen in den nächsten drei bis vier Jahren mit 300 bis 400 Millionen Euro mehr,“ so Stratmann. Dafür müsse die MPG ihre gesamten Rücklagen aufbrauchen, „dann sind wir blank“. Deshalb sei zu befürchten, dass die MPG ihre Aktivitäten reduzieren müsse, etwa die Praxis beenden, jährlich tausend Doktoranden einzustellen, gegebenenfalls auch Institute schließen: „Wir sind so erfolgreich wie nie zuvor, wir rekrutieren junge Menschen aus der ganzen Welt, die braucht das Land. Ich hoffe sehr auf Beschlüsse der Bundesregierung, um für die Wissenschaft etwas zu tun.“ (hib/HARI)

->Quelle: bundestag.de/hib/kurzmeldungen-917130