„Bundesforschungsministerium sollte Zukunftsstrategie nachjustieren“

Zu wenig Impulse, um nötigem gesellschaftlichem Wandel mit erforderlicher Dynamik gerecht zu werden

Führende Institute aus der Nachhaltigkeits- und Zukunftsforschung begrüßten in ener laut einer Medienmitteilung vom 14.11.2022 die Entwicklung einer „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“ des Bundesforschungsministeriums. Gleichwohl weisen sie darauf hin, dass der vorgelegte Entwurf zwar wichtige Impulse setzt, doch den gesellschaftlichen Herausforderungen und dem notwendigen Handlungsdruck nicht hinreichend gerecht wird. Der Entwurf konzentriere sich bislang auf technische Innovationen, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und die Entwicklung neuer, marktbasierter Geschäftsmodelle. Diese seien zwar wichtig, reichten aber allein aufgrund der starken gesellschaftlichen Bezüge der aktuellen Transformationsherausforderungen nicht aus.

– Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Die Minderung der Klimakrise, der Schutz von Biodiversität, sozialer Zusammenhalt und Teilhabe, Daseinsvorsorge sowie globale Gerechtigkeit erforderten weit mehr als technisch-ökonomische Antworten. Die Institute des Ecological Research Network (Ecornet) begrüßen daher, dass das BMBF in seiner Strategie die Bedeutung von sozialen Innovationen hervorhebe. Sie gehören deutlich stärker ins Zentrum einer Zukunftsstrategie, ebenso wie Methoden der transdisziplinären Forschung, die die Gesellschaft einbinden. Die Institute empfehlen dem BMBF daher, die Schwerpunktsetzung der Strategie nachzubessern.

„Der Entwurf der Zukunftsstrategie sollte partizipativer ausgerichtet werden“, so Klima- und Energieforscherin Camilla Bausch, Direktorin des Ecologic Instituts und Sprecherin von Ecornet. „Wir brauchen ein Forschungs- und Innovationssystem, das der Notwendigkeit des Wandels noch stärker gerecht wird. Noch ist unklar, wie die Strategie weiter ausgearbeitet werden soll. Wir empfehlen einen transparenten Prozess und eine öffentliche Debatte unter Einbindung von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.“

Zukunftsorientierung ist mehr als Fokus auf Innovation und Technologien

„Die Zukunftsstrategie sollte stärker auf Innovationen fokussieren, die zur Lösung aktueller und zukünftiger gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen. Denn nicht jede Innovation ist auch ein Fortschritt. Dafür sollte die Strategie konsequent an der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und den Anforderungen des Pariser Klimaschutzabkommens ausgerichtet sein“, sagt Ecornet-Sprecher Thomas Korbun, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). „Der Entwurf der Strategie sollte dem innovativen Potenzial von Zivilgesellschaft, öffentlichen Institutionen oder Nutzer*innen stärkeres Gewicht geben. Denn Innovationen entstehen nicht nur in Wissenschaft und Wirtschaft.“

Mehr systemisches Denken und Perspektivenvielfalt

Zwar finden sich im Entwurf gute Ansätze, wie gesellschaftliche Akteur*innen in Forschungs- und Innovationsprozesse eingebunden werden sollen. Doch zielt das Verständnis von Beteiligung häufig allein darauf, Akzeptanz zu schaffen und Risikoaversionen in der Gesellschaft zu überwinden.
Camilla Bausch ergänzt: „Um die komplexen und verwobenen gesellschaftlichen Krisen zu lösen, braucht es mehr vernetztes, systemisches Denken. Technologische und soziale Innovationen sollten als Teil eines gesellschaftlichen Gestaltungsprozesses verstanden werden. Daher sollte in der Zukunftsstrategie der Aspekt der transdisziplinären Forschung deutlich gestärkt werden.“

Vorhandenes Wissen berücksichtigen

Im Rahmenprogramm zur Forschung für Nachhaltigkeit (FONA) und insbesondere im Förderschwerpunkt Sozial-Ökologische Forschung (SÖF) seien in den letzten Jahrzehnten international herausragende Erfahrungen bei der Erforschung sozial-ökologischer Krisen und Transformationspfade erarbeitet worden. Diese beträfen auch das Forschungs- und Innovationssystem selbst. Der Strategieentwurf greife kaum auf diese Erfahrungen zurück. Im Gegenteil: Das Forschungsministerium habe in diesen Programmen seine Förderung deutlich gekürzt.

„Um die Leistungsfähigkeit der deutschen Innovationslandschaft langfristig abzusichern und Fehlentwicklungen zu vermeiden, ist es wichtig, technologische Schwerpunkte der Strategie mit den Erkenntnissen aus FONA und SÖF anzureichern – zum Beispiel in Bezug auf nachhaltige Mobilitätskonzepte“, so Korbun. „Auch sollte die Strategie bestehendes Wissen zu methodischen Zugängen, zur Integration unterschiedlicher disziplinärer Zugänge, zu Prozessdesign und Zielorientierung im Innovationsprozess stärker verankern und für Förderformate nutzbar machen. Dazu zählen insbesondere transdisziplinäre Forschungsansätze, die sozialwissenschaftliche Perspektiven und gesellschaftliche Praxis in Innovationsprozesse integrieren sowie technische Entwicklungen kritisch und konstruktiv begleiten.“

Innovationen nicht allein am Markterfolg bemessen, soziale Innovationen gleichberechtigt konzipieren

Sozial-ökologischer Wandel erfordere, dass technische und soziale Innovationen Hand in Hand gehen, um angemessen auf die multiplen Krisen reagieren zu können. „Wir begrüßen, dass soziale Innovationen stärker gefördert werden sollen. Dabei könnte der Strategieentwurf noch konkreter aufzeigen, wie soziale Innovationen mit gesellschaftlichen Herausforderungen und auch technologischen Innovationen zusammenhängen“, so Bausch. „So könnte die Zukunftsstrategie technische und soziale Fragen konsequenter zusammendenken.“

Um bestehende Pfadabhängigkeiten aufzubrechen und bereits in Nischen existierenden sozialen und technischen Innovationen zum Durchbruch zu verhelfen, sei es wichtig, dass die Förderung sozialer Innovationen auch institutionelle Innovationen in den Blick nimmt. Ecornet empfiehlt dem Bundesforschungsministerium, in der Strategie ein Innovationsverständnis zu entwickeln, das erfolgreiche Innovationen nicht allein am Markterfolg misst.

Die Institute weisen zudem darauf hin, dass nicht nur Wissen fehle, sondern auch Know-how darüber, wie Fähigkeiten und Kompetenzen auch im Sinne einer „transformative literacy“ verbessert werden könnten. Hier brauche es weitergehende Ansätze, als sie die Zukunftsstrategie bislang mit Bezugnahme auf die Bildungskampagne „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ beschreibt.

Über das Ecological Research Network (Ecornet):

Ecornet ist ein Netzwerk aus acht Forschungseinrichtungen mit zusammen über 900 Mitarbeiter*innen. Die Institute forschen praxisnah an der Lösung gesellschaftlicher Probleme, mit dem Ziel eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Sie teilen einen konsequent transdisziplinären Forschungsansatz: Sie verbinden das Wissen und die Werkzeuge verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen zu neuen Erkenntnissen und Forschungsmethoden und beziehen von Beginn an Akteur*innen aus Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft in den Forschungsprozess ein.

Mitglieder im Ecornet sind:

  • Ecologic Institut
  • ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg
  • ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung
  • Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
  • IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung
  • Öko-Institut e.V.
  • Unabhängiges Institut für Umweltfragen (UfU)
  • Wuppertal Institut

->Quellen: